-
(pu)
Glück (2) In diesem hehren Augenblick, da der Mensch, wie Sisyphos, der zu seinem Stein zurückkehrt, sich wieder seinem Leben zuwendet, betrachtet er jene Folge zusammenhangloser Handlungen, die zu seinem Schicksal wird, das, von ihm selber geschaffen, in seiner Erinnerung zusammenschießt und alsbald durch seinen Tod besiegelt wird. Überzeugt, daß alles Menschliche nur menschlichen Ursprungs ist, bleibt er, ein Blinder, der sehen möchte und weiß, daß die Nacht kein Ende hat, immer unterwegs.
Wieder rollt der Stein. Ich verlasse Sisyphos am Fuß des Berges. Seine
Last findet man immer wieder. Doch Sisyphos lehrt die höhere Treue, die
die Götter leugnet und die Steine bewegt. Auch
er glaubt, daß alles gut ist. Dieses Universum, von nun an ohne Herren,
erscheint ihm weder unfruchtbar noch nichtig. Jedes Gran dieses Gesteins,
jeder Mineralsplitter dieses Berges voller Nacht ist eine Welt
für sich. Der Kampf um die Gipfel allein kann ein Menschenherz ausfüllen.
Man muß sich Sisyphos glücklich denken. - Albert Camus, Der Mythos
von Sisyphos
Glück (3) Ich habe mir nie die Mühe genommen, das Glück zu suchen; dafür hat es sich oft, sehr oft die Mühe genommen, mich muthwillig zu necken, und dadurch bin ich endlich vollends gleichgiltig dagegen geworden.
Seit langer Zeit ist es mir ziemlich einerlei, ob ich Minister oder Bettelvogt bin, ob ich einen Demantstern am Sammetrocke oder einen Flecken an der Theerjacke trage.
Ich bin zuweilen ausgegangen, einen Bekannten zu besuchen, und habe fünfe nach der Reihe nicht angetroffen; dafür nahm mir's der sechste übel, daß ich nicht gekommen war, ohne sich je um meine Klause bekümmert zu haben.
Einst wollte ich einige Worte mit dem alten Weiße sprechen und erfahre
in seiner Wohnung, er sei aufs Land gefahren. Ich gehe aufs Land und höre,
er sei eben zurückgefahren, weil er etwas vergessen habe. Ich gehe in die
Stadt und vernehme, er hat das Buch eingesteckt und sich wieder in den
Wagen gesetzt. Meine Botschaft war mir wichtig, ich gehe also wieder hinaus
auf sein Gut. Weiße war spazieren gegangen, und nach langem Suchen fand
ich ihn endlich hinter dem Garten unter seiner alten Linde schlummern.
Nun waren alle Neckereien des Glücks vergessen; ich setzte mich neben ihn,
zog meinen Tacitus aus der Tasche und las, bis er erwachte. -
(seume)
Glück (4) Das Glück, sagte
Herr ***, ist eine schwierige Sache. In uns finden wir es nur schwer und
außer uns gar nicht.
- (
Chamfort
)
Glück (5)
Die
Vielfalt der Chancen ist unendlich, die einen kommen früh, die anderen
spät; manchmal wirken sie langsam und nacheinander, manchmal ist ihre Wirkung
plötzlich und von direkten Folgen für das Schicksal. Vielleicht gibt es
kein merkwürdigeres Beispiel für den reinen Einfluß des Zufalls
als die folgende historische Begeben heit, die wir als typisch für diese
genannte Art des Zufalls festgehalten haben:
In der Zeit der Régence lebte ein finsterer Intrigant namens Chavigny. Er hatte zahlreich fruchtlose Versuche unternommen, sich bei Hof einzuschleichen. Als ihm keinerlei Gunst zuteil geworden war, wurde er des Kämpfens müde, löste seine Wohnung auf und begab sich in familiären Angelegenheiten nach Holland.
Kaum war er in Den Haag eingetroffen, wurde er krank und mußte in einer Herberge Zuflucht suchen. Wer einmal dieses Land bereist hat, weiß, daß man hier von Kammermädchen bedient wird, die alles andere als spröde sind. In jenem Gasthaus, in das ihn der Zufall geführt hatte, wurde Chavigny nun mit der allergrößten Hingabe von einem Zimmermädchen gepflegt, und nach seiner Genesung schickte er sich an, ... nun, sich ihr als dankbar zu erweisen ... Man ahnt bereits, daß dieses Abenteuer nicht von der gewöhnlichen Sorte ist; aber wie fand er nun sein Glück? Eines Tages hielt er sich mit dem Fräulein in einem Zimmer des Gasthauses auf, als er hörte, wie die Herrin des Hauses auf dieses Zimmer zuging und nach ihrer Bediensteten rief. Dieser blieb gerade noch die Zeit, um hinauszugehen und die Tür zu schließen. Die Herrin ordnete an, nun ausgerechnet dieses Zimmer für zwei ausländische Minister herzurichten, die eben eingetroffen waren und ungestört speisen wollten. Ghavigny noch schnell hinauszuschmuggeln war unmöglich. Da kam sie auf den Einfall, ihn in einem Schrank zu verstecken, und schloß ihn dort ein.
Es war höchste Zeit. Kaum hatte sie den Schlüssel abgezogen, kamen bereits die beiden Reisenden herein. Da sie sich allein wähnten, verständigten sie sich ohne Umschweife über eine politische Intrige, die das Ziel ihres Treffens war. Die Sache war nicht unbedeutend, es handelte sich um ein Komplott, dem kein geringerer als der Herzog von Orléans zum Opfer fallen sollte, den man aus der Regentschaft verdrängen wollte. Einer der beiden Reisenden war ein vom Kardinal Alberoni gedungener Abenteurer, der ursprünglich den Regenten in den Bois de Boulogne locken sollte. Da sein Plan gescheitert war, floh er nach Den Haag, um hier ein neues Komplott zu schmieden, als sie sich trennten, vereinbarten die beiden eine weiteres Treffen am selben Ort.
Chavigny spürte sofort, daß seine Entdeckung für ihn von großem Nutzen sein konnte. Es fiel ihm nicht schwer, das Zimmermädchen dazu zu bewegen, ihn am angegebenen Tag im selben Zimmer zu verstecken. Die Begegnung fand statt, und das Gespräch fiel noch deutlicher aus.
Chavigny war nun im Besitz ihres Geheimnisses und schrieb dem Regenten, er habe ihm eine Eröffnung von allergrößter Wichtigkeit zu machen, kehrte dann nach Paris zurück und erhielt eine Audienz beim Herzog von Orléans.
Allerdings hütete sich Chavigny, die Umstände zu erläutern, unter
denen er seinen glücklichen Fund gemacht hatte. Seine Erkenntnisse erklärte
er mit Beziehungen auf höherer Ebene. Der Fürst beschimpfte ihn als Phantasten
und wollte ihn des Raumes verweisen. Aber Chavigny ließ sich nicht
verunsichern und blieb bei dem, was er gesagt hatte. Dem Regenten machte
er den Vorschlag, ihn in die Bastille werfen zu lassen, wenn das Angekündigte
nicht eintreffen sollte. Damit war der Fürst einverstanden, alles geschah,
wie Chavigny gesagt hatte, und von diesem Tag an war sein Glück
gemacht. - (joli)
Glück (6)
- Charles. M. Schulz, Good Ol' Snoopy. London 1971 (Coronet Books)
Glück (7) Epikur
aus Gargettos pflegte lautstark zu verkünden: "Wer nicht mit wenigem
zufrieden ist, ist mit nichts zufrieden!" Er sagte auch, er sei bereit,
sich selbst mit Zeus zu streiten, wer glücklicher sei, wenn er nur Brot
und Wasser habe. Was Epikur meinte, wenn er bei solchen Ansichten
die Lust pries, werden wir an anderer Stelle erfahren.
- (ael)
Glück (8)
Das Glück |
|
- Friedrich
Schiller
Glück (9) Über dem Eingang
zu seinem Landhaus hatte der berühmte Quantenphysiker Nils Bohr
ein Hufeisen als Glücksbringer angebracht. "Glauben Sie etwa daran?",
fragte ihn ein strenger wissenschaftlicher Besucher einmal verwundert.
"Nein", antwortete Bohr, "aber es funktioniert auch,
wenn man nicht daran glaubt." -
(
Quelle
)
Glück (10) Ich schließe dieses Buch mit dem Gefühl, daß ich etwas ausgelassen habe, etwas sehr Wichtiges, und das habe ich. Es ist Individualität, es ist das Glück des Schreibens, das sich eigentlich gar nicht schildern läßt, das man nicht in Worte fassen und an einen anderen weitergeben kann, damit er es mit einem teile oder es benutze. Es ist die seltsame Macht der Arbeit, die für den Schriftsteller, der dort gearbeitet, geschwitzt, geflucht und vielleicht ein paar Minuten Triumph und Befriedigung erlebt hat, einen Raum - jeden Raum - in etwas ganz Besonderes verwandeln kann. In meiner Erinnerung leben viele solche Räume: ein ganz kleines Zimmer in Ambach bei München, wo die Decke so niedrig war, daß ich an dem einen Ende nicht aufrecht stehen konnte; das frühere Mädchenzimmer in einem Gasthaus; ein eiskaltes, feuchtes Zimmer in einer englischen Küstenstadt, wo ich verzweifelt immer die Risse ausstopfte, als wäre ich auf einem sinkenden Schiff; ein Zimmer in Florenz mit einem Holzofen, in dem absolut nichts brennen wollte; ein Zimmer in Rom, dessen Einrichtung, wenn ich daran denke, in mir die Erinnerung an eine merkwürdige Kombination von harter Arbeit und Tollhaus wachruft. Es liegt an der Einsamkeit des Schreibens, daß man diese starken Erinnerungen und Gefühle mit niemandem teilen kann.
Auf der erfreulichen Seite steht das Bewußtsein, daß man während des Schreibens vollständig und glücklich in das Buch vertieft ist, egal ob das Schreiben sechs Wochen, sechs Monate oder noch viel länger dauert. Man muß das Buch auch beschützen, während man es schreibt; es ist zum Beispiel ein großer Fehler, einen Teil des Buches jemandem zu zeigen, bei dem man mit einer scharfen Kritik rechnen muß, wodurch möglicherweise das eigene Selbstvertrauen Schaden erleidet. Auf seine Weise wird aber andererseits das Schreiben des Buches den Schreibenden vor mancherlei vernichtenden emotionalen Schlägen schützen, die ihn sonst verletzen und vom Schreiben ablenken würden.
Das unsichere und isolierte Leben eines Schriftstellers zeigt seine
Kehrseite, wenn der Glückspegel ein wenig ansteigt: der Schreiber kann
dann in der Nachsaison nach Mallorca fliegen und ein paar Wochen in der
Sonne baden, wenn alle Bekannten in der Großstadt festsitzen. Oder er kann
sich einem Freund anschließen, der in einem wackligen Segelboot von Acapulco
nach Tahiti segelt, und braucht sich keine Sorgen zu machen über die Länge
der Reise, bei der vielleicht auch noch ein Buch für ihn herauskommt. Ein
Schriftsteller hat ein ungebundenes und freies Leben; gibt es Härten, so
ist es ein Trost zu wissen, daß man damit nicht allein ist und niemals
allein sein wird, solange es Menschen gibt. Die Finanzen sind gewöhnlich
ein Problem, das Schriftsteller immerwährend belastet, aber das gehört
bei diesem Spiel dazu. Und das Spiel hat eigene Regeln. Die meisten Schriftsteller
und Künstler müssen in der Jugend zwei Jobs auf sich nehmen: einen Job
zum Geldverdienen und einen für die eigene Arbeit. In Wirklichkeit ist
es noch etwas schlimmer. Der Autorenverband hat festgestellt, daß in Amerika
fünfundneunzig Prozent aller Schriftsteller ihr Leben lang einen Brotjob
behalten müssen, um über die Runden zu kommen. Wenn die Natur einem die
Extrakraft dazu nicht gibt, dann wird die Liebe zum Schreiben und der Drang
zum Schreiben sie geben. Man wird vielleicht ab dreißig beginnen abzuschlaffen,
also nicht mehr mit vier Stunden Schlaf auskommen; dann fängt man an, über
Steuern zu schimpfen, und behauptet, im Grunde sei doch der Regierung nur
daran gelegen, alle Künstler in den Ruin zu treiben. Dann sollte man sich
daran erinnern, daß Künstler - genau wie Schnecken und Coelacanthen (Hohlwirbelfische)
und andere bleibende Formen organischen Lebens - schon gelebt und sich
durchgeschlagen haben, als man von Regierungen noch gar nicht träumte.
- Patricia Highsmith, Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt.
Zürich 1990 (zuerst 1966)
Glück (11) Im vormals berühmten, inzwischen wohl eher berüchtigten Fragebogen à la Marcel Proust wird die Frage individuell und ohne Definitionszwang gestellt: Was wäre für Sie das vollkommene irdische Glück? Die unerschrockenen Frommen haben es am leichtesten zu antworten: Gibt es nicht. Es ist doch aber im Konjunktiv gefragt und das Bekenntnis, man halte es mit einem anderen als irdischem Glück, daher ganz überflüssig. Mich überraschen viel eher die Bescheidenheiten der meisten Antworten; unter diesen am meisten der Irrealis eines Prominenten: Ein Leben ohne Zahnschmerzen. Der Zahnarzt, obwohl kaum jemals Erretter eines Menschen vor dem sicheren Tod oder wesentlicher Verlängerer des Lebens, ist doch unter dem Aspekt des minimalisierten Glücksbegriffs eine solide >Errungenschaft< des Fortschritts, gar nicht zu reden davon, wieviele Heldinnen und Helden, denen wir weniger aufs Maul als in den Mund zu schauen angeleitet werden, uns dieses Vergnügen schuldig bleiben müßten. Die Fortschrittskritiker allerdings, die sich gern jahrelang auf die Couch legen, um ihren Ödipuskomplex - oder was sie dafür halten - zu pflegen, haben nur ein Lächeln, wenn als Stigma des >Fortschritts< die Überwindung des Schmerzes durch Anästhesie im weitesten Sinn angeführt wird. Ich habe das mal vor vielen Jahren gegenüber einem Kongreß reumütiger Ingenieure versucht - ein mäßiger Heiterkeitserfolg im Vergleich zu dem Unheil, das sie sich gerne selber zugeschrieben hätten, um Bußfertigkeit zu exhibitionieren (21. November 1970, Ludwigshafen, VDI). Da war es gerade ein gutes Jahrhundert her, daß akuter Schmerz bekämpft, unter Narkose operiert werden konnte. Man denke und schaudere: Am Auge kann gerade erst seit Kollers Kokainanwendung 1884 ohne schmerzhafteste Gewalt am empfindlichsten aller Organe ärztlich gearbeitet werden. Hat jemals ein Philosoph dem Sieg der Vernunft über den Schmerz eine Zeile gewidmet? Nein, die haben es mit Größerem zu tun, etwa mit den Untergängen der Welt oder nur des Abendlandes.
1781 entdeckte William Herschel den Uranus. Zum erstenmal seit
der Antike, ja seit der Astronomie der Babylonier,
war die Zahl der sichtbaren Planeten um einen teleskopischen vermehrt worden
- eine gegen die kanonische Weltordnung nahezu lästerliche Entdeckung ersten
Ranges. Man durfte sich wieder etwas vom Himmel versprechen. Lichtenberg
auf seiner Göttinger Sternwarte, kaum so zu
nennen, träumte auch ein wenig den neuen Entdeckertraum, Als die Herschel-Nachricht
kam, schrieb er dennoch in seiner tapferen Nüchternheit ins Sudelheft:
Ein untrügliches Mittel gegen das Zahnweh zu erfinden, wodurch es in
einem Augenblick gehoben würde, möchte wohl so viel wert sein und mehr,
als noch einen Planeten zu entdecken. - (
blum2
)
Glück (12) Dumm
sein und Arbeit haben, das ist das Glück. -
Gottfried Benn
Glück (13) Ich
meine, es sei besser, ungestüm als vorsichtig zu sein, denn das Glück ist
ein Weib; wer es bezwingen will, muss es prügeln
und stoßen. Die Erfahrung lehrt, dass es sich leichter
von denen, die so verfahren, bezwingen lässt, als von jenen, die mit kühlem
Kopf vorgehen. Darum ist es, wie ein Weib, stets jungen Leuten gewogen,
weil diese unbesonnener, aber desto stürmischer und kühner sind. -
Niccolo
Machiavelli
Glück (14) Hätte
ihn nicht der Tod überrascht und hätte nicht Thrasyllus - mit Absicht, wie es
heißt - ihn überredet, manche Hinrichtungen in der Hoffnung auf ein längeres
Leben aufzuschieben, so hätte Tiberius, wie man glaubt, noch weit mehr Menschen
getötet, ja selbst seine noch übrigen Enkel nicht verschont; denn auf Gajus
war bereits sein Verdacht gefallen und Tiberius verachtete er, da er in ihm
einen einem ehebrecherischen Verhältnis entsprossenen Bastard
sah. Diese Behauptung ist nicht so unwahrscheinlich, denn häufig pflegte er
sich zu äußern: "Wie glücklich ist doch Priamus gewesen, der alle die Seinen
überlebt hat!" - (
sue
)
Glück (wahres) Wir sehen die Großen dieser Erde im Besitze der Güter dieser Welt. Sie leben in Herrlichkeit und Überfluß, die Schätze der Kunst und der Natur scheinen sich um sie und für sie zu versammeln, und darum nennt man sie Günstlinge des Glücks. Aber der Unmut trübt ihre Blicke, der Schmerz bleicht ihre Wangen, der Kummer spricht aus allen ihren Zügen.
Dagegen sehen wir einen armen Tagelöhner, der im Schweiße seines Angesichts
sein Brot erwirbt; Mangel und Armut umgeben ihn, sein ganzes Leben scheint ein
ewiges Sorgen und Schaffen und Darben. Aber die Zufriedenheit blickt aus seinen
Augen, die Freude lächelt auf seinem Antlitz, Frohsinn und Vergessenheit umschweben
die ganze Gestalt. - Heinrich von Kleist
Glück (16) Es gibt
keine zwei glückbringenderen Eigenschaften, als etwas vom Narren
und nicht zuviel vom Ehrenmann an sich zu haben.
- Francis Bacon, nach (
ej
2)
Glück (17) In
der Erzählung La Dea cieca e veggente (Die blinde, sehende Göttin) schreibt
ein Dichter, der aufs Geratewohl seine Wörter aus einer Lostrommel zieht, schließlich
das Wort L'infinito (Das Unendliche) und fragt am Ende (ähnlich wie jene
Figur bei Borges, die sich für den Autor des Quijote hält), ob
dies Werk nicht vielmehr von ihm, statt von Leopardi sei. Angesichts
seines Glücks, in eine so ganz und gar unwahrscheinliche Erbfolge geraten zu
sein, will er sein Glück auch im Roulett versuchen; eine Katastrophe; am Ende
verliert er alles. - Italo Calvino, Vorwort zu (
land
)
Glück (18) Ein
junges Frauenzimmer habe ich sagen hören: »Glücklich ist man nur, wenn man schläft
oder wenn man tanzt.« - (
gon
)
Glück (19) tagelang hatte goldenberg sich mit dem lautgebilde "knaulpferch" herumgeschlagen, endlich verliess es ihn so plötzlich wie es ihn befallen hatte und goldenberg konnte es anfangs garnicht glauben.
oft gröhlte goldenberg anscheinend sinnlos vor sich hin. dann konnte ihn niemand leiden und man mied ihn so gut es ging, trotzdem suchte goldenberg oft oder gerade in diesem zustand die gesellschaft von menschlichen wesen um zu gröhlen.
"la la la", sang goldenberg. "bla bla bla", antwortete braunschweiger.
hierauf waren beide, braunschweiger und goldenberg, minutenlang glücklich. - Konrad Bayer, der sechste sinn. Roman. Reinbek bei Hamburg 1969
Glück (20) Das Glück liegt 16,5 Millimeter vom oberen
Teil des Harnröhrenausgangs entfernt. Es liegt in einer sackähnlichen Struktur,
deren Wände erektilem Gewebe ähneln und deren Oberfläche bläuliche Unregelmäßigkeiten
zeigt, die aus dem Inneren durchscheinen. Es hat die Form einer Traube und ist
rund acht Millimeter lang, bis zu knapp vier Millimeter breit und nur 0,4 Millimeter
hoch. Drei Teile lassen sich deutlich unterscheiden: eine Art Kopf von 3,4 mal
3,6 Millimetern, ein 3,1 mal 3,3 Millimeter großer Mittelteil und ein Schwanz,
der 3,3 mal 3,0 Millimeter groß ist. Von seinem Ende erstreckt sich ein seilartiges
Blutgefäß, das im umgebenden Gewebe verschwindet. -
Matthias Gräbner, Telepolis vom 25.04.2012
Glück (21) Der
Kranke muss feststellen, dass er ein einziges Mal in den letzten Jahren ein
Gefühl der Ruhe, Gelassenheit, beinahe des Glücks im Sinne einer Zufriedenheit
verspürte, als er in einem Traum mit seinen Eltern in ein abgelegenes Dorf fuhr,
um seine Eltern dort in einer Art Hotel oder Krankenhaus zurückzulassen und
mit Gernika in einem von ihr gesteuerten Wagen zu einem Schießplatz zu fahren.
Seine Eltern waren versorgt, gingen in eine mit bunten Bleiglasfenstern ausgestattete
Kapelle, während er auf dem Rücksitz im Auto seiner Freundin nach vielen Jahren
zum ersten Mal vorsichtig das Thema Heirat ansprach, worauf sie nicht sofort
abweisend reagierte, was für ihn ausreichte, sich von einem seltenen Glücksgefühl
durchflutet nach vorn zu beugen und auch von einem Kind zu sprechen, was sie
ebenfalls nicht ausschloss. Das Glücksgefühl aber bestand darin, sein Verhalten
weder von Angst oder Niedergeschlagenheit noch von Unruhe und sexueller Begierde
bestimmt zu wissen, sondern vielmehr in der Lage zu sein, die Umstände so zu
akzeptieren, wie sie sich ihm boten, seine Eltern, gealtert, abgeben zu können
Und auf dem Rücksitz eines von Gernika gesteuerten Wagens in einer ihm völlig
fremden Welt dahinzufahren, bis sie an dem Schießplatz anhielten, wo er in weiter
Entfernung eine winzige Zielscheibe mit mehreren Schüssen durchlöcherte und
sogar mehrfach ins Schwarze traf, ohne je zuvor in seinem Leben ein Gewehr in
der Hand gehabt zu haben und ohne diese Scheibe genau ausmachen zu können. Das
Glück aber, um es ein letztes Mal zu beschreiben, war die eigene Unbeteiligtheit
an dem, was mit ihm und um ihn herum geschah. Es war das Einverständnis mit
dem anderen. Die Akzeptanz und Annahme des Fremden, was immer es auch sei, und
die gleichzeitige Bereitschaft, ohne Sehnsucht, Wehmut, Verzweiflung, Heimweh,
Reue, Schuld, Panik, Zweifel oder eben sinnlose Begierde in diesem Fremden zu
leben. Selbst die Erektion, mit der der Kranke aus diesem Traum erwachte, war
angenehm und nicht schmerzhaft wie sonst oft, weshalb er sie vergehen lassen
konnte, ohne sie in eine der üblichen Erregungen umzulenken. -
(raf)
Glück (22) Ichi bin ein einziges
Mal glücklich gewesen und das im Traum. In der Nähe von Llangollen, in Worlds
End, träumte ich vor Jahren allein im feuchten VW-Bus, daß ich mit meiner Geliebten
gerade einen Autounfall hinter mir hatte und jetzt gleich im Hospital aufwachen
würde. Ich wagte nicht die Augen zu öffnen, denn ich war zwar am Leben aber
sie?? Da spürte ich sie links von mir. Behutsam lüftete ich die gemeinsame Zudecke.
Ich hatte nur noch ein rechtes Bein und ihr war das linke geblieben. Völlig
weiß waren wir beide bis zum Hals verbunden. Da sah ich, daß sich ihre Brust
hob und senkte ... und wäre ich nicht aufgewacht, hätte ich vor Glück geweint,
so habe ich nie vor Glück geweint, nur aus Unglück und das zweimal: nachdem
ich im Film tot auf der Straße gelegen und in den Himmel gestarrt und als ich
den Drehort verließ, wo mir die Hauptdarstellerin jeden Abend vom Trinken abriet,
um dann mitzutrinken. Wir wählten in der Musikbox immer wieder »Don't Let Me
Down«. Auf dem Filmfestival von Sorrent bei Neapel sah ich sie wieder. Glück
ist nur einen Atemzug vom Leben entfernt, aber du weißt nie, sollst du als nächstes
ein oder ausatmen, damit du es hast. - Herbert Achternbusch, Die
Stunde des Todes. Frankfurt am Main 1975
Glück (23) Einen
einzigen Abend in einer Laube im Genuß seiner eigenen Empfindung,
wie es Wieland nennt, zuzubringen, war für ihn das Beste und Höchste,
darnach schätzte er die Größe und das Glück der Menschen,
damit wog er Taten auf wovon das Gerücht durch Jahrtausende durchhallt.
- (licht)
Glück (24) In dem großen Strudei von Kräften steht der Mensch und bildet sich ein, jener Strudel sei vernünftig und habe einen vernünftigen Zweck: Irrtum! Das einzig Vernünftige, was wir kennen, ist das bißchen Vernunft des Menschen: er muß es sehr anstrengen, und es läuft immer zu seinem Verderben aus, wenn er sich etwa „der Vorsehung" überlassen wollte.
Das einzige Glück liegt in der Vernunft, die ganze übrige Welt ist
triste. Die höchste Vernunft sehe ich aber in dem Werk des Künstlers,
und er kann sie als solche empfinden; es mag etwas geben, das, wenn es
mit Bewußtsein hervorgebracht werden könnte, ein noch größeres Gefühl
von Vernunft und Glück ergäbe: zum Beispiel der Lauf des Sonnensystems,
die Erzeugung und Bildung eines Menschen.
Glück liegt in der Geschwindigkeit des Fühlens und Denkens: alle übrige
Welt ist langsam, allmählich und dumm. Wer den Lauf des Lichtstrahls
fühlen könnte, würde sehr beglückt sein, denn er ist sehr geschwind.
An sich denken gibt wenig Glück. Wenn man aber viel Glück dabei hat,
liegt es daran, daß man im Grunde nicht an sich, sondern an sein Ideal
denkt. Dies ist ferne, und nur der Geschwinde erreicht es und freut
sich. -
Friedrich Nietzsche, Notizen zu Unzeitgemäße Betrachtungen