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cane
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Palast (2) Beim ersten Anblick von Karnak denkt
man an einen Palast für Riesen; das Ausmaß der Steingitter,
die noch in den Fenstern stehen, verweist auf kolossale Wesen; beim Gang durch
diesen hohen Säulenwald fragt man sich, ob hier nicht einst ganze Menschen,
wie Lerchen am Spieß aufgereiht, serviert wurden. Im ersten Hof, hinter den
beiden hohen Pylonen, wenn man vom Nil her kommt, liegt eine umgefallene Säule,
deren sämtliche Steine trotz des Falls noch aneinandersitzen, so wie bei einer
liegenden Säule aus Damesteinen. Wir kommen zurück; die
Sphinx-Allee hat keinen einzigen Kopf mehr aufzuweisen, sie alle sind enthauptet.
Weiße Lämmergeier mit gelben Schnäbeln umkreisen ein Aas
auf einem Erdhügel; rechts stehen drei von ihnen auf ihren Stelzen und blicken
uns beim Vorübergehen ganz ruhig an. - (
orient
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Palast (3) Luzifers gewöhnlicher Aufenthalt ist ein geräumiger, angenehm in das Auge fallender Pallast, aber von etwas gothischer Bauart. Die Zugänge zu diesem Pallast sind mit zehntausend Kanonen, deren Mündung 72 Zoll weit ist, besetzt. Das Gitter des zweiten Hofs wird von 385 Schweizern bewacht, welche von Wilhelm Teil kommandirt werden, bey dem der Kayser Albrecht der Erste als Trommelschläger dienet. Der erste Hof wird von 694 Teufeln von allerhand Figuren bewacht, welche mit Klauen und spitzen Zähnen bewafnet sind und aus dem Halse, der Nase, den Ohren und dem Hintern Feuer speien. Die Hauptpforte wird von 20000 Wehrwölfen bewacht, welche in doppelter Reihe stehen und weit fürchterlicher sind als der, den ich auf der Treppe unsers Wirths zu Paris antraf; denn, wenn sie zornig sind, so bewegen sie sich so heftig, daß in einem Augenblick die Luft, die sie umgiebt, mit Funken angefüllt wird, die gleich den Bomben und Granaten alles, was sie antreffen, zerschmettern, verbrennen und in Asche verwandeln, wenn sie platzen.
Als ich im Pallast war, ließ mich ein Thürhüter in Luzifers Zimmer. Dieser
Monarch sähe nicht so alt aus, als man ihn macht; er könnte so gar für hübsch
gehalten werden, wenn er nicht eine Warze auf der Spitze der Nase hätte. Er
saß auf seinem Thron und war mit seinem ganzen Hof umgeben; er war in einen
Persischen Rock von Ras de St. Maur mit weißen Eisen gefüttert und mit Fayanz
besetzt; auf dem Kopf hatte er eine Krone von Buchsbaum und in der Hand einen
eisernen Zepter. Sein Thron war ehemals von maßifen Golde; seitdem er aber eine
ansehnliche Summe im Kartenspiel verloren hat, so ist dieser Thron nur noch
von nußbaumenen Holz, und noch dazu wurmstichig. Dieser Fürst hat einen außerordentlichen
Appetit; er isset allein so viel, als alle seine Unterthanen zusammen. Er braucht
jährlich mehr, als fünfzehn mahl hunderttausend Ellen Blutwurst und ohngefehr
sechs Millionen Centner Pfeffer; dieß macht, daß dieß Gewürz so theuer in der
Hölle ist. Er schläft wenigstens fünf Monath im Jahr; und die übrige Zeit führt
er nur ein Pflanzenleben. - Henri Joseph du Laurens, Mathieu oder
Die Ausschweifungen des menschlichen Geistes. Nördlingen 1988 (Die Andere
Bibliothek 47, zuerst 1765 )
Palast (4) Mehr als jeder andere Zug dieses
unglaublichen Gebäudes bestürzte mich die uralte Antiquität seiner Fertigung.
Ich fühlte, es sei älter als die Menschen, älter als die Erde. Dieses deutlich
erkennbare Alter (mochte es auch die Augen irgendwie schrecken) schien mir dem
Schaffen unsterblicher Baumeister angemessen. Zuerst
vorsichtig, dann gleichgültig, schließlich verzweifelt irrte ich über Treppen
und gepflasterte Höfe des unentwirrbaren Palastes. (Später stellte ich fest,
daß Breite und Höhe der Stufen ungleich waren, was mich die sonderbare Müdigkeit
begreifen ließ, die sie mir bereiteten.) >Dieser Palast ist ein Bauwerk der
Götter<> dachte ich zunächst. Ich durchforschte seine unbewohnten Gemächer
und verbesserte mich: >Die Götter, die ihn gebaut haben, sind tot.< Ich
achtete auf seine Eigenheiten und sagte: »Die Götter, die ihn gebaut haben,
waren wahnsinnig.« Das sagte ich, wie ich mich genau erinnere, mit einer unbegreifliehen
Mißbilligung, die fast Reue war, mehr mit intellektuellem Grauen denn spürbarer
Angst. Zum Eindruck ungeheuren Alters kamen andere: der Eindruck von Endlosigkeit,
von Gräßlichkeit, von verwickelter Sinnlosigkeit. Ich hatte ein Labyrinth durchwandert,
aber die gleißende Stadr der Unsterblichen ängstigte mich und stieß mich ab.
Ein Labyrinth ist ein Haus, das die Menschen irreführen soll; seine Bauweise,
die in Symmetrien schwelgt, ist auf diesen Zweck ausgerichtet. In dem Palast,
den ich teilweise erforschte, war die Bauart zwecklos. Immer wieder stieß ich
auf blinde Gänge, auf unerreichbar hohe Fenster, auf prunkvolle Türen vor einer
Zelle oder einem Brunnen, auf unglaublich verdrehte Treppen mit Stufen und Geländer
nach unten. Andere, die seitlich vor einer Riesenmauer in der Luft schwebten,
endeten, ohne irgendwohin zu führen, nach zwei, drei Windungen im oberen Schatten
der Kuppeln. Ich weiß nicht, ob alle Beispiele, die ich aufgezählt habe, buchstäblich
zutreffen; ich weiß nur, daß sie jahrelang meine Albträume verseucht haben;
ich kann nicht mehr sagen, ob diese oder jene Einzelheit die Wirklichkeit wiedergibt
oder die Schreckbilder, die meine Nächte verzerrten. >Diese Stadt<, dachte
ich, >ist so furchtbar, daß ihre bloße Existenz und Fortdauer, sei es auch
in der Tiefe einer abgeschiedenen Wüste, die Vergangenheit und die Zukunft verseucht
und irgendwie die Gestirne beeinträchtigt. - Jorge Luis Borges,
Der Unsterbliche. In
(bo3)
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