llerseelen ist das Fest der Beerdigungsinstitute,
der Karneval des Leichenträgers! Wie kurz erschien
dieser Tag nach Allerheiligen, aber wie glanzvoll war er!... Schon am
Morgen versammelte sich die ganze Belegschaft in neuen Röcken, und während die
Herren Pächter, in elegantestem Trauergewand, mit ihrem lässig über die Schulter
geworfenen Mantel, ihre Freigebigkeit entfalteten, kreisten Gläser und Krüge,
leerte man in aller Eile ein beachtliches Faß. Dann gab ein Herold das Signal
zum Aufbruch, und man stürzte sich in die Equipagen; mit hängender Zunge, in
gestrecktem Galopp ging's los, und bald erreichte man das »Höllenfeuer«, eine
bei gutem Wetter sehr geschätzte Kneipe. Dort war in einem einsamen Garten,
unter einem großartigen Katafalk, eine lange Tafel aufgestellt (das Tischtuch
war schwarz und mit silbernen Tränen und gekreuzten Totengebeinen aus Stickerei
übersät), und bald nahm jedermann Platz. - Man servierte die Suppe in einem
Grabdenkmal -, den Salat in einem Sarkophag -, die Sardellen in Särgen! - Man
ließ sich auf Grabsteinen nieder -, setzte sich auf Zypressen; die Pokale waren
Urnen, man trank Biere von Totenbahren; man aß Pfannkuchen, dünn wie Trauerflore;
und indem man der Natur nachgeformten Gelees Bezeichnungen gab wie Embryos in
weißer Sauce, Waisenragout, Greisenklein, Kürassierfilets, verschlang man die
leckersten und aufwendigsten Gerichte. — Alles war reichlich nach Menge und
Größe! - Alles wurde in Bergen serviert! — Dem gegenüber war das Hochzeitsmahl
des Gamache nur eine Fastenspeise und Rubens' Kirmes nur eine betrübliche Szene.
- Die Geister belebten und erhitzten sich mehr und mehr, und wie ein Schlag
tausend Funken aufsprühen läßt, ergossen sich schließlich die Scherze nach allen
Seiten - prasselten die Bonmots wie Regen hernieder - heckten die Gassenhauer
ganze Würfe von Jungen. — Man sang, man schrie, man brachte Gesundheiten aus
auf die Verstorbenen, stieß auf das Wohl des Todes an, und bald entfesselte
sich die ungeheuerste, die wildeste Orgie. Alles ging drunter und drüber! Alles
ging kurz und klein! Alles ging futsch! Alles ging durcheinander. Man hätte
sagen mögen: ein Massengrab, das von den Trompeten des Jüngsten Gerichts aus
dem Schlafe gerissen wird. - Dann, als sich das erste Getümmel etwas gelegt
hatte, zündete man den Punsch an; und in seinem höllischen Leuchten improvisierten
ein paar Leichenträger, die leere Särge mit Darmsaiten
bespannt, aus Haaren Geigenbogen und aus Schienbeinen Flöten gemacht hatten,
eine abscheuliche Musik, und als nun in die Menge Ordnung kam, formierte sich
ein riesiger Rundtanz und drehte sich unaufhörlich um sich selbst, indem er
schreckliche Schreie ausstieß wie eine Runde von Verdammten der Hölle.
-
Petrus Borel, nach (
hum
)
Allerseelen
(2) Allerseelennacht, und die Donau hinauf schwimmen
die Ertrunkenen aller Flüsse und Meere zur Margitinsel, salz-umbartet, mit weißen,
salzäugigen Gesichtern und gepökelten Augen, und sie steigen ans Land und lagern
sich unter den Ulmen und heulen und heulen, Ikarus und die Mannschaft des Odysseus
und Hero und die Unbekannte und die ersäuften Neger der Sklavenschiffe und Margit,
die im Schmutzwasser ertrank, und die Weiber kommen aus den alten Mauern und
waschen und raunen und waschen: Ho, Shem und Shaun, all Livias Töchtersöhne,
dunkle Falken hören uns! Ho, aum! poum! pyoum! und es pfeift der Seewind, und
die Toten tauchen heulend ins Wasser und schwimmen hinaus und vergehn, Allerseelen
- Franz Fühmann,
Drei Tage von zweiundzwanzig: Budapest. In: F.F., Den Katzenartigen wollten wir verbrennen. Ein
Lesebuch. München 1988 (dtv 10844, zuerst 1978)
|
||
|
||