ypresse  So sah ich in die Zypressen  wieder die magischen Totenbäume der Alten hinein. »Sich einträumen in die Dinge« war ja lange eine Maxime beim Schreiben gewesen: sich die zu erfassenden Gegenstände derart vorstellen, als ob ich sie im Traum sähe, in der Überzeugung, daß sie dort erst in ihrem Wesen erscheinen. Sie bildeten dann um den Schreibenden einen Hain, aus dem er freilich oft nur mit Not in ein Leben zurückfand. Zwar sah er immer wieder ein Wesen der Dinge, aber das ließ sich nicht weitergeben; und indem er es zum Trotz festhalten wollte, wurde er selber sich ungewiß. — Nein, die magischen Bilder — auch der Zypressen — waren nicht die richtigen für mich. In ihrem Innern ist ein gar nicht friedliches Nichts, in das ich freiwillig nie mehr zurück möchte. Nur außen, bei den Tagesfarben, bin ich. — Peter Handke, Die Lehre der Sainte-Victoire. Frankfurt am Main 1984 (zuerst 1980)

Zypresse (2) Die Zypresse ist sehr warm und sinnbildet das Geheimnis Gottes. Wer am Magen leidet, nehme von ihrem Holze, gleichviel ob es grün oder trocken ist, gebe etwas davon in Wein und koche dies. Davon trinke er oft nüchtern, und er wird sich gesünder fühlen. Wer krank ist oder an seinem ganzen Körper dahinsiecht, koche Zweige mit den Blättern im Wasser, bade sich oft darin, und er wird geheilt werden und seine Kräfte wieder gewinnen. Nimm von der Mitte, dem Herzen, dieses Baumes, trage dies ständig bei dir, und der Teufel wird dir aus dem Wege gehen; denn dieser Baum zeichnet sich infolge der Stärke seiner Natur vor dem Holze anderer Bäume etwas aus; der Teufel mißachtet nämlich alles, was Tüchtigkeit besitzt, weil er nichts Tüchtiges in sich hat. Ist ein Mensch in Teufelsnetze oder in Magie verstrickt, so nehme man etwas aus dem Herzen dieses Baumes, mache mit einem Bohrer ein Loch hinein, schöpfe mit einem Tongefäße aus einem fließenden Quell, gieße das Wasser durch das gebohrte Loch, fange es mit dem Tongefäße auf und spreche dabei: »Ich gieße dich, Wasser, durch dieses Loch. Fließe in der Tugendkraft, die Gott ist, und mit der Stärke, die dir von der Natur aus innewohnt, in jenen Menschen, der in seinem Sinne verstrickt ist, auf daß du in ihm alles Feindselige, was ihm innewohnt, zerstörest und ihn wieder zum Rechten zurückführest, in das ihn Gott ursprünglich eingesetzt hat, im richtigen Sinne und im richtigen Wissen!« Dieses Wasser gebe man dem Leidenden neun Tage lang nüchtern zum Trinken ... und er wird sich besser fühlen. - (bin)

Zypresse (3) Eine Gegend mit Zypressen, wie sie in Mittelmeerländern typisch und besonders für die Toskana und Umbrien charakteristisch ist, wird  immer einen monotonen Klang erzeugen, ein banges Seufzen, und wenn die Zypressen so dicht stehen, daß sie einen Zypressenhain bilden, erhält man sicher einen ernsten oder sogar düsteren Ton. Nicht ohne Grund sind Zypressen die Bäume, mit denen gewöhnlich Friedhöfe geschmückt werden. Aber eine Zypressenallee, die sich in Kurven einen Hang hinaufwindet, kann lebhafte und sogar festliche Klänge erzeugen, wenn sie von einem anabatischen Wind erfaßt wird, daß heißt von einem Wind, der von unten heraufkommt. Dieselbe Zypressenallee wird jedoch, von einem Seitenwind erfaßt, einen monotonen, dumpfen, variationslosen Ton ohne jeden Wohlklang erzeugen. In der Mehrzahl der Fälle sind die Töne der Zypresse für denjenigen, der an nervösen Depressionen, Schlaflosigkeit, Völlegefühl im Magen oder Hypochondrie leidet, nicht zu empfehlen. - (gesp)

Baum Friedhof
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