arneval   Quallen, Molche, Wasserschlangen und Seezungen waren auf Packpapier gemalt und schienen an Decken und Wänden entlangzustrudeln, während Musik quäkte und dudelte, Medizinalrat Schmude mit Kochmütze und rotweiß gestreiftem Matrosenhemd ein Gläschen Schnaps von einem Bierfaß hob, ein Fotoblitz zuckte, Wirtschaftsjurist Betzel in weißer Toga mit Purpurbordüren, einen vergoldeten Lorbeerkranz ums Haupt, eine Schriftrolle emporstreckte und ausrief: »Ave, Caesar, morituri te salutant!« was nicht zu seinem Kostüm paßte. Eugen tanzte mit einer Unbekannten, von der er nichts erfahren hatte, während Emil sich umdrehte und der Unbekannten zurief: »Lassen Sie sich seinen Bankauszug zeigen!« Die andere antwortete: »Aber er sagt doch gar nichts!« Vielleicht war's so, daß in den Menschen, die hier vorbeiwehten, Leidenschaftsströmungen rauschten, Herrschaftsansprüche widereinander strebten, jemand einen anderen aus den Sinnen, den Empfindungen verdrängen wollte, nur weil es lustig war oder der eigenen Besitzerfreude schmeichelte. Und Eugen wußte nicht, ob der offene Mund, aus dem die Worte: »Herr Rapp!« kamen, zusammen mit den grünlichen Augen, den Stirnlöckchen und der Goldplombe überm Eckzahn der Dame gehörte, die zuvor mit ihm getanzt hatte. Jetzt saß sie ihm gegenüber, war verheiratet und hatte zwei Kinder, draußen im Vorort, wo gerade noch Misthaufen und Jauchepumpen vor Fachwerkhäusern mit steinernen Torbögen wie in der Kindheit zu finden waren.

Ein schmunzelnder Direktor von Mercedes-Benz sagte hinter Eugen: »Hier wird die Ouvertüre geblasen für die Sommerleidenschaften.« Das mochte stimmen. Dir graut es, wenn du dich ins Gewühl der Empfindungen hineinstürzen sollst.

Trotzdem zog es ihn an, und wahrscheinlich war dies kein Wunder; und draußen hältst du dich halt trotzdem ... Wie Radiowellen oder Magnetströme meinte er's zu spüren. Richard, der Arzt, machte einen Zungenkuß mit einer, daß es beinahe geschnalzt hätte, sozusagen. Und der Franzose mit dem pfiffig geschärften Gesicht und den wie schläferigen Augendeckeln schaute Richard dabei zu. Bald danach begegnete Eugen dem Blick dieses Franzosen, als er aufschaute aus seinem Weinglas und der Franzose drüben an der Türumrahmung lehnte.. Jetzt saß eine Blonde Eugen gegenüber, eine im schwarzen Kostüm. Sie lächelte, als die Musik wieder begann, und fragte Eugen:

»Packen wir's?« Er mußte tanzen und bedauerte jede Dame, die es mit ihm wagte. Freilich, einmal hatte es sich so ergeben, daß sie sich tanzenderweise angeglichen hatten. Das war damals gewesen, als Richard zu ihm gesagt hatte: »Kümmere dich um das Madie ...« Eine Woche später war sie geschieden gewesen. Nicht wegen Eugen und weil er auf Emils Faschingsball mit ihr getanzt hatte, sondern aus irgendwelchen schlimmen Gründen. Sie fiel ihm ein, während die im schwarzen Kostüm ihre Arme um ihn legte. Jene andere hatte auch ein schwarzes Kleid getragen, eine Dunkelhaarige, während diese hier dichtes, helles, hochgekämmtes Haar hatte und kleiner war; und ihm gefiel der Gegensatz (oder der Widerstreit) ihres Messinghaargespinstes und der anliegenden Kostümschwärze; was er zu ihr sagte. Da schaute sie auf und sagte: »Das haben Sie mir schon vor einem Jahr gesagt...« Richtig, er entsann sich ihrer, und weil sie lächelte, fürchtete er sich fast.   - Hermann Lenz, Ein Fremdling. Frankfurt am Main 1988 (st 1491, zuerst 1983)

Karneval (2, norddeutsch)

- Thomas Körner

Karneval (3, mediterran)

- N. N.

Karneval (4, gemalter)  Als sich  Masaccio eines Tages in dem ersten Gasthaus vor der Porta a San Gallo befand und mit einigen guten Freunden dort zu Mittag gegessen hatte, geschah es, daß es, just als er aufbrechen wollte, wie mit Kübeln zu gießen anfing. Die Freunde setzten sich infolgedessen zum Spielen nieder, er jedoch, der kein Vergnügen daran fand, nahm Kohle zur Hand, rückte einen Tisch an eine Wand und malte dort den Triumph des Karneval. Zuerst zeichnete er einen Wagen aus Cacio cavallo , der, an Stelle von Blumengewinden und Girlanden, mit Würsten bekränzt war. Seine Räder waren vier Laibe Parmesankäse, und er wurde von vier Hausschweinen gezogen. Auf ihm, gerade in der Mitte, saßen zwei Gestalten, die eine Bacchus und die andre Venus, die den Karneval auf den Händen Portechaise trugen. Dieser war splitternackt und groß und fett, genau so wie — beinah hätt' ich's gesagt... aber lassen wir das Vergleichen beiseite, das mag ein jeder selber besorgen, wie es ihm gut scheint und gefallt! Genug: Er war recht feist und gut gewachsen. Den einen Arm schlang er um den Hals der Venus, und in der Hand hielt er einen Bratspieß voll Lebern. Mit dem ändern Arm umhalste er Bacchus und hatte dabei in der Hand einen Spieß, an dem ein Schweinsrücken, eingerahmt von zwei Lendenstük-ken, stak. Auf dem Kopf trug er eine Blutwurst und einen Kranz von Bratlebern; vom Hals hing ihm gleich einer Halskette eine Schnur Würste herab; im Mund hatte er einen kleinen Holztrichter, in den Pomona, die man geflügelt, mit einem Faß in den Händen, in der Luft schweben sah, Vernaccia goß, und Karneval mit seinem krebsroten Gesicht sah aus, als ob er bei seinem eifrigen Schluckgeschäft ein unsagbares Vergnügen empfände. Bacchus war jugendlich gemalt, krauslockig und blond; auf seinem Haupt aber sah man einen Kranz aus einem Zweig mit reifen Erstlingsfeigen samt den Blättern. Venus hatte Flechten, die sich über den ganzen Rücken ausbreiteten, zu einer Million von kleinen Knoten zusammengefaßt waren und fast bis auf die Erde herabfielen. Bekränzt war sie mit Bohnen, die zum Teil in Blüte standen, zum Teil schon Schoten hatten, aber nur eine einzige Staude bildeten. Beide waren nackt, doch erhob sich von der Erde ein Ackerwindenstengel, der bis zur Scham des Bacchus emporwuchs und dort mit einer weißen glockenförmigen Blüte seinen Klöppel verhüllte, wahrend der Venus eine Klatschrose die Schamteile verschloß. Hinter ihnen stand Adonis mit einer Klistierspritze in der Hand, um dem Karneval eine stärkende Ladung zu verabreichen. Cupido hielt nach Art der Karrenführer die Zügel in der Hand und lenkte die Schweine, die wie die andern Figuren so gut gezeichnet und so behend und schön in ihren Bewegungen waren, daß sie lebendig schienen. - Antonfrancesco Grazzini, Feuer auf dem Arno. Berlin 1988 (zuerst ca. 1550)
 

Jahreszeit Fest

 

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