est  Der zur rituellen Tötung ausersehene Krieger durfte sich den Namen seines Opfers aneignen. Und je mehr Namen von getöteten Feinden ein Mann führte, um so höher war sein Ansehen. Für den todgeweihten Maracaia waren diese makabren Spielregeln selbstverständlich, und so konnte er nicht begreifen, daß Staden ihn voller Mitgefühl mit frommen Worten über die Freuden im Jenseits zu trösten versuchte und beteuerte, er werde nichts von seinem Fleisch essen.

An jenem Abend las Hans Staden in einem Buch, das die Tupinambas von Portugiesen erbeutet und ihm geschenkt hatten; solch Zauberwerk nannten sie »Donnerhäute«. Als in der Nacht ein schwerer Sturm losbrach und die Palmstrohdächer der Hütten zerzauste, verdächtigten die Indianer den Deutschen, er habe mittels seiner »Donnerhäute« das Unwetter heraufbeschworen, um das grausige Fest zu verhindern. Doch es begann - bei gutem Wetter - am nächsten Morgen mit einem Trinkgelage auf dem Dorfplatz. Den ganzen Tag über berauschten sich alle an Maniokbier und tanzten um die aufgehängte Ibirapema, die übermannshohe, bemalte und mit Federquasten verzierte Zeremonialkeule. Auch der Gefangene, der damit erschlagen werden sollte, zechte munter mit.

Am zweiten Festtag führte man ihn an der Mussurana, einer langen, um seine Hüfte und sein Glied geschlungenen Sakralschnur, auf den Platz und entzündete das Bratfeuer. Vier grellbemalte Weiber sprangen kreischend um das Opfer herum und machten ihm durch genüßliche Gebärden vor, wie sie ihn verspeisen würden. Der Maracaia-Indianer wiederum durfte dem Brauch gemäß mit aufgehäuften Steinchen nach ihnen werfen.

Unterdessen wartete der Krieger, dem die Ehre gebührte, den Gefangenen zu erschlagen, abseits in  einer Hängematte. Damit ihm die Arme »vom Schrecken des Totschlags nicht unsicher wurden«, mußte er zur Konzentration ständig mit Pfeilen auf ein Ziel aus Wachs schießen.

Dann schritt er, von Kopf bis Fuß mit Asche grau gefärbt, zur Exekution und verkündete dem Opfer feierlich: »Hier bin ich nun, um dich zu töten, denn die Deinen haben viele meiner Freunde getötet und gefressen.«

Der Gefangene entgegnete stolz: »Wenn ich auch tot bin, so habe ich doch viele Freunde, die mich rächen werden.« Und schon traf ihn die Riesenkeule auf den Hinterkopf, »so daß das Gehirn herausquoll«. Eine Frau verschloß den After des Toten sogleich mit einem Holzstöpsel, »damit ihm nichts abging«, dann wurde er enthäutet und zerlegt: »Ein Mann schnitt ihm die Beine und Arme ab, worauf die vier Frauen kamen und mit diesen vier Teilen unter großem Freudengeschrei um die Hütte liefen.

Zerlegung

Der Körper des Erschlagenen wird zerlegt

Der Körper des Erschlagenen wird gesotten. Rechts der betende Staden

Daraufhin trennten sie den Rücken mit dem Hintern vom Vorderteil ab.« Während diese Stücke auf dem Holzrost brieten, kochten die Frauen aus den Eingeweiden die Mingaù, eine Art Metzelsuppe, die nur ihnen und den Kindern zustand. Dem Exekutor ritzte der Häuptling ein Ehrenzeichen auf dem Oberarm ein, und nach dem Schlachtfest »ging jeder heim und nahm seinen Anteil mit«. Geräuchert und in Gefäßen aufbewahrt, hielt sich das Fleisch noch wochenlang. - Georg Bremer, Unter Kannibalen. Die unerhörten Abenteuer der deutschen Konquistadoren Hans Staden und Ulrich Schmidel. Zürich 1996

Fest (2) Man schreibt uns aus GENF: Der mit riesiger Reklame angekündigte Dada-Ball hat stattgefunden, und er hat das Viele und Nochniedagewesene, das er versprach, sonderbarerweise wirklich gehalten. Der große Saal der Mairie von Plainpalais, in dem bereits um 10 Uhr eine beängstigend dichte Menschenmenge sich drängte, war über und über mit bunten, in den groteskesten Formen gehaltenen kleinen Lämpchen garniert; von der Decke baumelten, durch ein dichtes Netz von Luftschlangen, Hunderte der absonderlichsten Gegenstände (alte Hosen, Schirme, Düten, Bücher, Kochquirle usw. usw.); an den Wänden hingen große Papierpanneaux, geklebt von dem bekannten Pariser Maler Christian Schad und versehen mit amüsanten Inschriften wie: »La peinture est peut-être le meilleur moyen pour terminer les difficultés conjugales«, und an allen Ecken und Enden befanden sich kleine Glöckchen, die auf bisher noch nicht erklärte Weise ohne Unterlaß leise läuteten. Dazu machte eine Original-Jazz-Band-Dada-Kapelle, die sich zur Komplettierung ihrer Klangwirkungen alter Töpfe, Autohupen, Kasserollen, Hundepfeifen und Flaschen bediente, einen geradezu beispiellosen Spektakel, den wiederum das Publikum vermehrte, indem es von einer amerikanischen (bei Drehung hustenden) Autohupe, die an einem Pfeiler montiert war, Gebrauch machte. Oberhalb dieser Hupe befand sich nämlich folgende Anweisung: »Pour surpasser Baudelaire, Caillaux et Picasso, tournez une fois s. v. p.« An einem anderen Pfeiler hing ein Schwamm und darunter folgende Erklärung (in französischer Sprache): »Hier sehen Sie den Schwamm, mit dem Clémenceau sich kämmte, bevor er nach Ägypten sich einschiffte.« Kurz vor Mitternacht wurden zu Hunderten kleine Dadapfeifen und Dadaflöten verkauft, die durchaus neue Quargeltöne von sich gaben, so daß im Nu Musik und Gespräche in einem ohrenbetäubenden Lärm untergingen. In diesem Augenblick jedoch erschien der Manager des Balls, der Dadaistenführer Dr. SERNER, im Frack und roter Weste auf dem Podium, auf dem er einen überlebensgroßen Papiermachémops postierte, ihm das Maul öffnete und einen Klaps auf den Kopf versetzte, worauf aus dem Hals des lieblichen Tiers eine alles übertönende Detonation erfolgte. Sofort erschienen drei als Polizisten verkleidete Dadaisten und verhafteten Dr. Serner, schleiften ihn in den Saal und verurteilten ihn zur Arrangierung der Dada-Polonaise, welcher Aufgabe er sich in einer Weise entledigte, die solche Bedenken erregte, daß die echte Saalpolizei einschreiten mußte und fast den Ball sistiert hätte. Herr Dr. Serner gruppierte nämlich etwa ein Dutzend maskierter Damen um sich, die ihm den Frack auszogen, die Hemdärmel emporschoben und ihm auf die nackten Ellbogen abwechselnd kleine Schläge versetzten; als sie sich aber anschickten, diese Tortur zu erweitern, ertönten Pfuirufe, und ein Teil des Publikums nahm eine drohende Haltung ein, die jedoch sofort in Protestkundgebungen umschlug, als ein Polizeileutnant Dr. Serner aus dem Saal führte. Der Konflikt wurde dann beigelegt, der Ball ging weiter und endete um fünf Uhr morgens mit einer gewaltigen Dada-Apotheose: zwanzig Dadaisten schossen aus Kinderrevolvern minutenlang auf Dr. Serner, der ununterbrochen stöhnte: »Ah, c'est bon! Encore! Encore!«
K. F. [PRAGER TAGBLATT Nr. 69, 21. 3. 1920.] - Walter Serner, Das Hirngeschwür. DADA. Gesammelte Werke II, Hg. Thomas Milch. München 1988

Fest (3)   Ich für mein Teil bekenne, daß mir seit einiger Zeit alle zahlreichen Gesellschaften einen gewissen Schrecken einjagen. Ich werde dort von einem düstern Traum gequält. Vergeblich strenge ich mich an, ihn zu vertreiben: immer kommt er wieder wie der Traum Athalias. Das kommt vielleicht daher, daß meine Seele, die heute von schwarzen Gedanken und herzzerreißenden Gemälden erfüllt ist, überall Bilder der Trauer sieht, wie ein verdorbener Magen die gesundesten Nahrungsmittel in Gift verwandelt.

Wie dem auch sei, ich erzähle hier meinen Traum: Wenn ich auf einem solchen Fest mitten unter der Menge von liebenswürdigen und zärtlichen Leuten bin, die tanzen, die singen, die bei Trauerspielen weinen, die nur Freude, Offenherzigkeit und Aufrichtigkeit kundgeben, dann sage ich mir: Wenn in diese feine Gesellschaft plötzlich ein weißer Bär, ein Philosoph oder ein anderes derartiges Tier träte, auf das Orchester stieg und mit wütiger Stimme riefe: »Unglückliche Sterbliche, hört auf die Wahrheit, die durch meinen Mund zu euch redet! Ihr werdet unterdrückt, tyrannisiert, ihr seid unglücklich, ihr langweilt euch. Wacht auf aus dieser dumpfen Schläfrigkeit! - Ihr Musikanten, zerschlagt zuerst diese Instrumente auf eurem Kopf! Jeder bewaffne sich mit einem Dolch; denkt nicht mehr an Erholung und Feste; dringt in die Häuser, erwürgt alles; auch die Frauen sollen ihre furchtsamen Hände in Blut tauchen! - Geht, ihr seid frei: reißt euren König von seinem Thron und euren Gott aus seinem Heiligtum!« - Xavier de Maistre, Reise um mein Zimmer. In: Ders., Zwei Reisen um mein Zimmer. München 1968 (Winkler, Die Fundgrube 39, zuerst 1795)

Fest (4)  Die sexuelle Natur des Tango wurde von vielen hervorgehoben, nicht jedoch seine Krakeeler-Natur. Tatsächlich sind beides Arten oder Äußerungen desselben Impulses, und so bezeichnet das Wort »Mann« in allen mir bekannten Sprachen sexuelle und kriegerische Fähigkeit, und das Wort virtus, das im Lateinischen Mut bedeutet, stammt von vir, Mann. Desgleichen erklärt ein Afghane in Kiplings Roman Kim: »Als ich fünfzehn war, hatte ich meinen Mann erschossen und meinen Mann gezeugt« (When I was fifteen, I had shot my man and begot my man), als seien beide Akte im wesentlichen einer.

Es genügt nicht, vom Krakeeler-Tango zu sprechen; ich möchte behaupten, daß der Tango, und auch die Milongas, unmittelbar etwas ausdrücken, was die Dichter viele Male mit Worten sagen wollten: die Überzeugung, daß Kämpfen ein Fest sein kann. In der berühmten Geschichte der Goten, die Jordanes im 6. Jahrhundert verfaßte, lesen wir, daß Attila vor der Niederlage bei Châlons in einer anfeuernden Rede zu seinen Kriegern sprach und ihnen sagte, das Glück habe die Wonnen dieser Schlacht (certaminis huius gaudia) für sie allein bereitgehalten. In der Ilias wird von Achaiern gesprochen, für die der Krieg süßer war als die Rückkehr in den Schiffsbäuchen in ihr geliebtes Heimatland; dort heißt es auch, daß Paris, des Priamos Sohn, mit flinken Füßen in die Schlacht lief, wie mit fliegender Mähne der Hengst, der die Stuten sucht.   - Jorge Luis Borges, Kabbala und Tango. Essays. Frankfurt am Main (Fischer-Tb., zuerst 1931)

Fest (5)    In der Richtung der Artilleriestellungen brannte immer ein Dorf. Man kam ihm nicht zu nahe, man hat es sich nur aus der Entfernung, sagen wir, von zehn oder zwölf Kilometern, angesehen, sozusagen als Publikum. Und an allen weiteren Abenden dieser Zeit flammten viele Dörfer am Horizont auf. Es geschah immer wieder. Als würde in weitem Umkreis ein sonderbares Fest gefeiert, vor uns und auf beiden Seiten brannte die Landschaft, und Feuerzungen stiegen auf und leckten nach den Wolken.

Alles ging in Flammen auf, Kirchen, Scheunen, eine nach der ändern, und Heuschober, aus denen die Flammen höher und bewegter schlugen als aus allem andern, Dachgerüste richteten sich senkrecht in der Nacht auf, umbartet von Flämmchen, ehe sie leuchtend zusammenstürzten.

Bis auf zwanzig Kilometer Entfernung ist so ein brennendes Dorf gut zu sehen. Es sieht lustig aus. Da ist so ein kleiner unscheinbarer Weiler, den man untertags in seiner miesen Umgebung gar nicht bemerken würde; und nachts brennt er ab und macht einen Effekt, den man sich im voraus gar nicht vorstellen könnte. Man könnte ihn für die Kathedrale von Notre-Dame halten! Dörfer, sogar kleine, brauchen eine ganze Nacht, um abzubrennen, gegen Ende sieht es wie eine Riesenblume aus, dann nur noch wie eine Knospe, und dann sieht man nichts mehr. - (reise)

Fest (6)   Als es sich herumgesprochen hatte, daß

die Sieben jungen Papageien
und die Sieben jungen Störche
und die Sieben jungen Gänse
und die Sieben jungen Eulen
und die Sieben jungen Meerschweinchen
und die Sieben jungen Katzen
und die Sieben jungen Fische

alle miteinander umgekommen waren, da trafen sich der Frosch, der Vanillepudding-Floh, die Maus, der Klangel-Wangel und der Blaue Boßwoß zu einem großen Fest, um den glücklichen Ausgang ihrer Abenteuer gebührend zu feiern. Und sie sammelten die Sieben Federchen der Sieben jungen Papageien, und die Sieben Schnäbel der Sieben jungen Störche, und den Kopfsalat, und die Kirsche ein, und setzten die Kirsche dem Salat auf den Kopf, und legten ringsherum die andern Kleinigkeiten aus, und tanzten um diese Andenken im Kreis eine Polka, bis sie ganz außer Atem waren; und dann gaben sie noch ein Kaffeekränzchen, und ein Gartenfest, und einen Maskenball, und ein Konzert, und dann gingen sie alle ihrer Wege und kehrten nach Hause zurück, voller Freude und Hochachtung, voller Wohlwollen, Zufriedenheit und Abscheu.  - (lea)

Fest (7) Auf zum Fest! Es wogt immer noch hin und her. Das übliche Geschrei. Wir stürzen uns ins Vergnügen. Die Super-Achterbahn kommt heute abend nicht so in Frage. Dafür berühren wir die Waden des Riesenbabys, starren das Lebende Bild an; die Frauen reden über ihren Alltagskram und kratzen sich ungeniert. Das ehrenwerte Publikum ist ihnen scheißegal. Dann lassen wir uns in die kulinarischen Feinheiten von richtigen Feuerschluckern einweihen.

Die beiden Wilden stehen hinter dem Gitter. Ein Mann und eine Frau, wie versprochen. Federn auf dem Kopf, Baströck-chen, überall dick eingefettet. Als sie draußen vorgezeigt wurden, haben sie gebrüllt, mit ihren Ketten gerasselt und an der Jahrmarktsbude gerüttelt. Aber jetzt sind sie ganz brav. Man gibt ihnen eine verbogene Eisenstange, „in Feuer glühend gemacht, nicht rot angestrichen!"; der Mann springt drauf und biegt sie grade. Währenddessen wiegt sich die Frau nach vorne und nach hinten. Warum, weiß man nicht. Danach geht der Mann mit einem glühenden Schürhaken (nicht rot angestrichen!) über die Finger, über die Zunge. Na ja, jedenfalls so ungefähr. Bevor ihnen nun das versprochene Omelette mit Dieselöl und die Löwenwurst mit geteertem Sägemehl serviert werden, findet eine kleine Sammlung statt. Von dem Geld kauft man ihnen Zigaretten, die sie wie Schokolade essen.  - Léo Malet, Kein Ticket für den Tod. Reinbek bei Hamburg 1992 (zuerst 1957)

Fest (8) Man muß sehr grob sein, um nicht die Gegenwart von Christen und christlichen Werten als einen Druck zu empfinden, unter dem jede eigentliche Feststimmung xum Teufel geht. Im Fest ist einbegriffen: Stolz, Übermut, Ausgelassenheit; der Hohn über alle Art Ernst und Biedermännerei; ein göttliches Jasagen zu sich aus animaler Fülle und Vollkommenheit, — lauter Zustände, zu denen der Christ nicht ehrlich ja sagen darf. Das Fest ist Heidentum par excellence.  - Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht

Feiern
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