Vorhölle  Da ist  ein Tal zwischen zwei Bergen; das erstreckt sich etwa drei Meilen weit. Das nennen sie das verderbenbringende Tal, einige das finstere Tal, einige das Donnertal. In diesem Tal sind viele Grauen und Schrecken erregende Dinge. Darin gibt es nämlich das größte Unwetter von Regenschauern und von Donner und Blitzen und auch sehr merkwürdige Stimmen, daß man es kaum beschreiben kann. Manchmal hört man Posaunen, manchmal hört man Pauken. Das Tal ist auch voller Teufel, und die sind stets da. Und es sagen auch die von dem Land, es sei der Vorhof vor der Hölle.

In dem Tal ist ein großer Schatz von Gold und Edelsteinen; und deshalb sind Menschen wegen ihrer Habgier ums Leben gekommen, die für etwas anderes ihr Leben nicht gewagt hätten. Mitten in dem Tal ist ein großer Felsen; und auf dem Felsen ist ein Teufelsantlitz, das allerscheußlichste, das man in der Welt finden kann; aber man sieht es nur bis zur Brust. Und ich glaube ganz gewiß, daß es keinen so beherzten Menschen in der Welt gibt, dem nicht beim Anblick dieses Gesichtes das Herz in seinem Leib bebt und erschrickt. Jeder glaubt, er habe sein Leben verloren und es wolle ihn sogleich fressen, denn es verdreht seine Augen und schießt auch stinkenden Rauch und scheußlichen Gestank aus seinem Maul heraus. Und es zischt auch und bleckt die Zähne und schüttelt sich dazu noch, daß Berg und Tal erbeben und erzittern. Und das Antlitz kann aus reiner Furcht kein lebender Mensch richtig ansehen. Aber jeder gute Christenmensch, der wahrhaftig an die heilige Christenheit und an die Heilige Dreifaltigkeit glaubt und dazu auch recht und aufrichtig gebeichtet hat, der kann durch das Tal gehen. Aber ohne große Furcht und Gefahr kann niemand hindurchkommen. Denn man sieht die bösen Geister vor seinen Augen, die einen Menschen mit vielerlei auf die Probe stellen: mit Hagel und mit Unwetter, mit Donnern und Blitzen, mit Feuer und Wasser und mit vielen Arten von Bekümmerungen, um zu sehen, ob sie einen Menschen dermaßen abtrünnig machen können, daß der Mensch glaubt, Gott wolle ihn vergessen und sich auch an ihm rächen.  - Das Reisebuch des Ritters John Mandeville. Frankfurt am Main 1989 (zuerst ca. 1360)

Vorhölle (2)  Schließlich fällt die Seele nieder an der Peripherie des Hades, und dort nimmt sie Aufenthalt, wartet und bemüht sich um den Eintritt; geduldet sich, tobt, drosselt sich, verzweifelt. Züchtet Mut, Phantasie, Selbstquälerei, Einsamkeit.

Nennen wir sie Vorstädte: ihr werdet dort weder Straßen noch Wohnviertel finden, weder Autobus noch Zeitungsfetzen, weder Limonadenflaschenkapseln, noch am Boden plattgetretene Präservative, wie unter einem Bombenangriff verstummte Kinder, die, wenn alles vorbei ist, noch auf dem Pflaster kleben; dort spielen weder Knäblein noch schreiten todgeweihte, verschränkte Liebende; bewohnt wohl, und gar nicht spärlich: aber sucht nicht nach Familien noch Sippen, nicht nach Zusammenkünften auf Plätzen und Torwegen, nicht nach Gesprächen außer den dürftigsten, notwendigsten, leisesten. Vielleicht ist er ein Himmel, dieser umgestülpte Platz, wie ihn die Fische vom Meeresgrund an reglosen Regentagen sehen; aber wie spärlich ist der Wechsel der Lichter zwischen Morgengrauen und Abenddämmer; und vielleicht ist's keine Anmaßung der Namengebung, als >Gras< diese violette Bemoosung zu bezeichnen, oder als ›Pflanzen‹ diese alten Straßenkehrerfinger, die aus ungastlichem und grindigem Sand herausragen. Vorstädte: abstoßende Steinhaufen und Asphalt, den ein demagogischer Bürgermeister der Unterwelten wie einen Pelzmantel über die aussätzige Erde auszubreiten versuchte. Beachtet nunmehr, zu eurer Rechten, eine etwa zweihundert Meter lange Mauer, kompakt und unnütz: sie stützt gar nichts und nichts lehnt sich an sie; jemand hat sie mit unanständigen Worten bekritzelt, aber zumeist in Sprachen von so ausgefallener Schreibart und zudem seit langem tot, daß diese bornierte Oberfläche daraus nicht einmal die Belebtheit des Skandals gewinnt. Schlammige Flüssigkeiten, wässrige oder kotige, breiten sich in höllischen Monstranzen, Spuren oder Rückstände oder Indizien unvollkommnen Todes. Der Wind ist hier unten ein warmes und anonymes Blasen, wie er auf Erden die schwatzhaften Zeitungen vom Boden hebt, aber nicht die Röcke der Frauen rührt; spärlich die Regenfälle und so unsinnig verteilt, daß es Orte gibt, die seit zwölf Jahrhunderten auf den Niederschlag warten; bei jedem Anhieb trügerischer Frische, der sich zwischen den Strapsen des flappigen Winds verfängt, lassen die dunklen Bewohner sich blenden. Es regnet nie herzhaft, nie stürmisch, nie den Regen, der nach Frau schmeckt, nach raufenden Kindern, der nachts auf den Autodächern der Liebenden brummelt, in den städtischen Peripherien; denn, wie gesagt, das Dunkel senkt sich nie, nie steigt das Licht, die Luft ist trüb, aber unbekannt die barocke Heiterkeit der Hinterbackenwolken, die schwebend die Reklamestrahlen der weißblitzenden Hostie benagen. Gewitter gibt's, trockne jedoch, ohne Tröstung, gläsern, keifend und heiser, ohne Zorn, knorzig wie alte vertrocknete Katzen mit gläsernem Genital, das beim Koitus splittert und blutet.- (nieder)

 

Hölle

 

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