nterwelt   Die Alten ließen ihre Toten gern ein Wort noch zu den Lebenden sagen; ihre letzten Worte kommen noch nach den letzten. Meister des hellenistischen Epigramms war im 3. Jahrhundert Kallimachos aus Kyrene. In einem der 63 erhaltenen Stücke dieser Gattung gibt ein Verstorbener Antwort auf die Fragen der Überlebenden. Die Auskünfte sind insgesamt nicht erbaulich, am wenigsten für die Philosophen platonischer Tradition. Es ist kein Totengesprach in der Unterwelt, wie es ein halbes Jahrtausend später Lukianos von Samosata zum langlebigen Muster machen wird. Bei Kallimachos gibt ein unbekannter Toter Antwort auf Fragen von Lebenden, vielleicht in einer Beschwörung:

- Wie ist es in der Unterwelt?
- Tiefe Finsternis!
- Wie steht es mit der Rückkehr zu uns herauf?
- Alles Lüge.
- Und Plato?
- Ein Mythos.
- So sind wir verloren! - (blum)

Unterwelt (2) Alsbald fing Epistemon an zu atmen, dann schlug er die Augen auf, dann jähnt‘ er, dann niest‘ er, endlich ließ er einen gewaltigen Hausmannsfurz. »Jetzt«, sprach Panurg, »ist er gewißlich hergestellt!« und gab ihm ein Glas voll weißen leidigen Bauernkrätzers zu trinken, nebst einem bezuckerten Rostschnitt. Solchergestalt ward Epistemon geschickt curiert; nur blieb er euch über drei Wochen lang heiser darnach, und behielt einen trockenen Husten, den er sich nicht erwehren konnt außer mit Trinken. Und fing nun an zu discurrieren, erzählet‘ ihnen, wie er die Teufel gesehen hätt, auch mit dem Lucifer ganz vertraulich Zwiesprach gepflogen, und in der Höll und in den Elysäischen Feldern ein kreuzgut Leben geführet hätt. Und gab den Teufeln vor allen Leuten das Zeugnis, es wären gute Gesellen. Und was die Verdammten anbeträf, meint‘ er, es wär ihm fast Leid gewesen, daß ihn Panurg so bald erweckt hätt; »denn«, sprach er, »die zu betrachten fand ich ein sonderliches Wohlgefallen.« — »Wieso dann?« frug Pantagruel. — »Man hält sie«, antwort Epistemon, »gar nicht so schlimm als ihr wohl glaubt, aber ihr Stand ist wunderseltsam verändert. So sah ich Alexander den Großen, der flickt‘ alte Hosen und verdient damit sein elend Brot.

Xerxes schrie Senf aus.
Romulus war Salzsieder.
Numa, Nagelschmid.
Tarquin, Harlekin.
Piso, Post-Voigt.
Sylla, Fährmann.
Cyrus war Kühhirt.
Themistokles, Glaser.
Epaminondas, Spiegelgießer.
Brutus und Cassius, Feldmesser.
Demosthenes, Winzer.
Cicero, Brandschürer.
Fabius, Flöhhüter.
Artaxerxes, Seiler.
Aeneas, Müller.
Achilles, Grindkopf.
Agamemnon, Tellerlecker.
Ulysses, Schnitter.
Nestor, Schnapphahn.
Darius, Privet-Feger.
Ancus Martius, Pechsalber.
Camillus, Schlarrenpletzer.
Marcellus, Bohnen-Schäler.
Drusus, Trinkaus.
Scipio Africanus dutet‘ auf einem Holzschuh: Hefen wer kauft!
Hasdrubal war Laternenputzer.
Hannibal, Kachler.
Priamus handelt‘ mit alten Fähnlein.
Lanzelot vom See zog tote Karrn-Gäul ab.
Sämtliche Ritter der Tafelrund waren armselige Tagelöhner, schwitzen am Ruder und fahren über, wenn sich die Herren Teufel einmal auf dem Cocytus, Phlegethon, Styx, Lethe, oder Acheron, ein Wasser-Vergnügen machen wollen, just wie die Fährleut in Lyon und die Gondelierer zu Venedig; verdienen aber hinüber und 'rüber nicht mehr als einen Nasenstüber, und abends ein Stück schwarz Kleienbrot.

Auch die zwölf Pair von Frankreich sind da, hab aber nicht g‘sehen, daß sie was täten: ihr ganz Gewerb, davon sie leben ist, daß sie sich große Backenstreich, Horbeln, Rettig und schwere Faustpüff gutwillig in die Zähn lassen geben.

Trajan war Froschfischer.
Antonin, Lakai.
Commodus, Stadtpfeifer.
Pertinaz, Nußschwinger.
Lucullus, Vogelschellner.
Justinianus, Schimpfeikrämer.
Hektor war Brühschlecker.
Paris, ein armer Lotterbub.
Achilles, Heubinder.
Cambyses, Maultiertreiber.
Nero war Leiermann, und Fierabras sein Famulus; aber er tät ihm tausend Kreuz an, gab ihm schwarz Brot zu essen und sauern Wein zu trinken: er selber aß und trank vom besten.

Julius Cäsar und Pompejus waren Schiffspicher.
Valentin und Orson täten Dienst in den höllischen Badstuben und waren Butzenkratzer.
Ziliant und Gauvain waren arme Sauhirten.
Gottfried vom großen Zahn war Zundelmann.
Gottfried von Billion, Kuttenschneider.
Balduin, Meßner.
Don Pedro von Kastilien, Bettelbriefträger.
Morgan, Bierbrauer.
Hüon von Bourdeaulx war Faßbinder.
Pyrrhus, Küchenbrödel.
Antiochus, Schlotfeger.
Romulus, Altflicker.
Octavianus, Papierkratzer.
Nerva, Rußpartel.
Papst Julius schrie Pastetlein aus: aber seinen großen Buker-Bart trug er nicht mehr.

Johann von Paris war Stiefelschmierer.
Artus von Bretanien wusch alte Mützen aus.
Perceforest trug eine Huck, ich weiß nicht, ob er Reisholz feil hätt.
Papst Bonifacius der Achte war Topf-Abschäumer.
Papst Niklas der Dritt war bei der Glashütt.
Papst Alexander war Ratzenfänger.
Papst Sixtus schmiert‘ die Venerischen ein.«

»Wie?« frug Pantagruel, »hats auch dort unten venerische Leut?« — »Ei wohl«, antwortet‘ Epistemon, »ich hab ihrer nirgend so viel gesehn: sind über hundert Millionen allda. Denn glaubt nur, wer in dieser Welt das fränkische Übel nicht gehabt hat, kriegts in der andern.« — »Wetter!« fiel ihm Panurg ins Wort, »so bin ich quitt. Denn da bin ich hinein spaziert bis an das Loch von Gilbathar, und hab des Herkuls Sparren vertreten, ja von den reifsten mir abgepfluckt.« —

»Oger der Dän war Kürißputzer.
Der König Tigranes, Ziegeldecker.
Galienus Restauratus, Maulwurfsgräber.
Die vier Haymonskinder, Zahnbrecher.
Der Papst Calixtus, Müff-Bader.
Papst Urban, Speckschnäppel.
Melusin war Küchenstrunz.
Matabrun‘, Waschweib.
Kleopatra, Zwiebelhökerin.
Helena, Mägde-Mäklerin.
Semiramis, Bettler-Lauserin.
Dido ging mit Pilzen hausieren.
Penthesilea war Kressnerin.
Lucretia, Spittelmeisterin.
Hortensia, Wollen-Spinnerin.
Livia, Grünspan-Schraperin.

Solchergestalt erwarben die auf Erden große Herren gewesen, dort unten ihr elend und kümmerlich Brot: und im Gegenteil die Philosophen und die auf Erden Hunger gelitten, waren dort wiederum große Herren. Ich sahe den Diogenes prächtig im weiten Purpurmantel mit einem Scepter in seiner Rechten, wie einen Prälaten einherstolzieren, daß Alexander der Große Blut hätt schwitzen mögen, wenn er ihm seine Hosen nicht aufs best geflickt hätt, denn er zählt‘ ihm dann die Stockschläg faustdick auf. Epikteten sah ich in einer schönen Lauben galant a la Françoyse geputzt, mit einem Haufen schmucker Dirnlein sich tummeln, zechen, tanzen, schmausen; in alle Weg gings lustig her, und Sonnentaler neben ihm die Hüll und Füll.«    - (rab)

Unterwelt (3) In unserer Mythologie waren die Erzählungen von der Unterwelt gewöhnlich mit den Geschichten einer Fahrt in das Totenreich verbunden, die eine Gottheit oder ein Held, Eingeweihte, aber auch Uneingeweihte, unternahmen; Götter und Helden so, daß sie auch zurückkehrten. Eingeweihte und Uneingeweihte hatten in diesen Geschichten nicht das gleiche Los. Für ganz große Frevler, wie Tityos, Phlegyas, Ixion, waren ewige Strafen vorbehalten, und besondere Strafen auch für diejenigen, die ihre Eltern schlugen oder den Gast, den schutzflehenden Fremden verletzten; ferner für die Tempelräuber und die Meineidigen, um seltenere Sünden nicht zu nennen. Solche Frevler wurden selbst in der Unterwelt noch von den Erinyen gepeinigt, die sie oft schon im Leben verfolgt hatten. Auch besondere Unterweltsdämonen werden erwähnt, wie jener Eurynomos, der auf dem Unterweltsgemälde des Polygnot mit blauschwarzer Farbe gemalt, die Zähne bleckend, auf einem Luchsfell saß. Da sah man auch den Oknos, den »Zauderer«, ein Seil aus dem Schilf des sumpfigen Unterweltsflusses flechtend, das der Esel hinter ihm fortwährend auffraß. Die Uneingeweihten erwartete die gleiche Strafe wie die Töchter des Danaos, die den Bräutigam in der Hochzeitsnacht ermordet hatten und unerfüllt blieben: sie trugen Wasser in einem Sieb oder hatten die Aufgabe, ein bodenloses Faß zu füllen. - (kere)

Unterwelt (araukanische, 4)  Diese Unterwelt ist ein Wohnort für sich, dessen Eingang niemand kennt, weil er wohl in einer Schlucht liegt, die wieder verborgen ist durch Gestrüpp und Gestein. Wenn sich Leute auf dem Lanin verlieren, so bedeutet das, daß sie hinuntergezogen wurden, wo sie weiterleben können oder vielleicht eines gräßlichen Todes sterben müssen, jedenfalls ist noch keiner zurückgekommen. Denn wer hineingeht, verliert die Erinnerung an die Welt, in der er lebte, und da das neue Leben sehr schön ist, man jeden Tag Spießbraten hat und helle Chicria so viel man will, so bleibt er gerne unten. Jeder Wunsch wird ihm erfüllt, wenn er seine Aufgaben löst.

Wünscht eine solche Person aber herauszugehen, so muß sie versprechen, eine andere Person mitzubringen, weil die Stadt sich doch vergrößern soll zu einem großen Landstrich. Deshalb ist es sehr gefährlich, allein am Lanin zu sein, besonders nachts. Riesen hausen im Pillan Lanin!

Die Häuser sollen aus Gold und Silber sein, da die Eingeweide des Feuerberges nur aus solchen Metallen bestehen und aus kostbaren Glasstücken, die man bearbeiten kann. Dieses unterirdische Land wurde zu allen Zeiten immer gesucht, aber nie gefunden; einmal waren viele Menschen auf einmal verschwunden, und da man nicht wußte, wo sie geblieben, grub man am Lanin nach. Aber auch die Sucher blieben verschollen. Sie haben wohl den Eingang gefunden, aber nicht den Ausgang. - (arauk)

Unterwelt (5)  Vorgestern nachts um 10 Uhr kamen wir vor Wilhelmis arkadischer Kartause an, die ihr Strohdach an eine grüne Marmorwand andrückte. Karlson fand sie leicht durch die Nachbarschaft der berühmten Kampaner Höhle aus, aus der er sich schon einmal Stalagmiten gebrochen hatte. Der Himmel lag voll Gewölke und voll gefärbter Schatten, und über die lange grüne Wiege voll schlummernder Kinder hing die Wiegendecke der Nacht an den Pyrenäen befestigt und mit einigen silbernen Sternchen besetzt. Aus Wilhelmis Einsiedelei kamen sogleich einige schwarz gekleidete Menschen mit Pechfackeln, die auf uns gelauert zu haben schienen, und sagten: der Herr Baron sei in der Höhle. Beim Himmel, unter solchen Umstanden ists leichter, die engste zu vermuten als die schönste und größte.

Die Schwarzen trugen ihre Flammen voraus und zogen die fliehende Vergoldung von einem Eichengipfel zum ändern und führten uns gebückt durch eine Katakomben-Pforte. Aber wie herrlich wölbte sich die hohe und weite Grotte mit ihrer kristallenen Stukkatur empor, gleichsam ein illuminiertes Eis-Louvre, ein glimmendes unterirdisches Himmelsgewölbe! Wilhelm! warf eine Handvoll abgebrochner Stufen weg und flog entzückt an seinen Freund. Gione trat mit ihrer Schwester hinter einer ineinander gepelzten Stalaktite und Stalagmite hervor, das Lodern der Fackeln gab ihr nur ungewisse Gestalten - aber endlich führte Wilhelmi ihr ihn entgegen und sagte: »Hier ist unser Freund.« Er küßte tief-gebückt die lebendige warme Hand und verstummte vor Rührung; aber Cionens feste Züge zergingen auf dem ernsten Angesicht, dem bloß der jugendliche Schmelz Na-dinens abging, in eine lächelnde größere Freude, als er zu erwidern und zu vergelten wagte: »Wir haben Sie lange in diesem Paradiese erwartet und vermisset«, sagte sie mit fester Stimme, und ihr klares ruhiges Auge tat die weite Perspektive in eine reich geschaffne tiefe Seele auf. »Willkommen«, sagte Nadine, »hier in der Unterwelt! Jetzt glauben Sie doch an Wiedersehen und Elysium?« Ob sie ihn gleich mit einer Gesandtschaft und Flora von Scherzen — oder warens Grazien? denn sie waren schwer zu unterscheiden - empfing: so schien doch diese Heiterkeit des Temperaments und der Angewöhnung nicht die Heiterkeit eines befriedigten ausruhenden Herzens zu sein.

Mein Freund präsentierte mich gehörig, damit ich in dieser Korporation der Freundschaft kein Überbein und hors d'œuvre bliebe.

Uns war allen - mir gar, da vor mir lauter nie gesehene Wesen in silbernen Reflexen schwebten -, als sei die Erde aus und das Elysium aufgetan und die abgetrennte bedeckte Unterwelt bewege wiegend zwischen Widerschein und Halbschatten gestillte, aber beglückte Seelen.   — Jean Paul, Das Kampaner Tal oder über die Unsterblichkeit der Seele (1797)
 

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