Unreinheit

 Unreinheit (2)

Unreinheit (3)  Ich weiß jetzt, was die teuflische Versuchung ist und daß es keinen Schwimmer gibt, der gegen diesen Strom schwimmt.

Seine Unermeßlichkeit, seine Schnelligkeit, seine verblüffenden Wiederholungen, seine geheimen Unterströme, seine Verheerungen im kosmischen Dasein lassen sich mit nichts vergleichen. Dieser Verführung erliegt alles und versinkt, in den Wirbel eines Eros ohne Ende hineingezogen, der einem Bergsturz oder einem Erdbeben ähnelt. Sogar die reinen Linien, die am ausschließlichsten linearen, die zunächst fast abstrakt sind, ohne Beziehung zum menschlichen Körper, sie werden zu berauschten Linien, von gemeinen Wellenbewegungen ergriffen, die zwar mit nichts Bestimmtem in Verbindung gebracht werden können, aber dennoch gemein sind, und ich kann ihnen nicht nachgehen, ohne im höchsten Grade meine eigene Schändlichkeit zu erleben, mitten zwischen Rückenstreckungen und Hüftenschwenkungen, die schlaksig wie nach Saxophonmusik Promiskuität proklamieren, Promiskuität, allgemeinste Promiskuität, von der man sich unmöglich ausschließen kann, entpaaren, entgatten, entkuppeln kann, in einer alles umfassenden Unreinheit.

Ich bin in vollster Kontemplation. Ich bin in vollster Schwängerung. Aber kein Sadismus. Beim Vorüberstreifen einer Gedankenverbindung brachte mich Sade nur zum Lachen, er und all die schwere Mühe, die er sich gibt, sehr geregelt, methodisch, bürokratisch. Hier ist keine Grausamkeit, sie ist wirklich nicht nötig, hier ist nur der Glaube an die allgemeine Unreinheit, die allumfassende, ausschließlich sinnliche, ohne Beherrschten und Beherrscher, ohne Erleidenden oder Leidengenießenden, Sinnlichkeit ohne Beimischung, universell überfließend.

Das absolut Unreine, oder vielmehr das Anti-Reine steigt immer tiefer herab in die Freude der Schamlosigkeit. Diese Gewalt, die alles, die Pflanze, den Erdboden, die ganze Erde, zur Ausschweifung verleitet und in dieses trübe, aber vor allem exzessive, exzessive Schauspiel hinreißt, hat kein anderes Antlitz als das erotische, keine andere Betätigung als die erotische, hat absolut keinen Platz für irgendetwas anderes, nicht für die kleinste Ablenkung, die geringste Zerstreuung, und sie dürfte doch wohl (und nicht nur für einen Christen) die hundertprozentige Versuchung sein, die vollkommene, unwiderstehliche Versuchung, die übrigens der Liebe mehr Schaden zufügt als deren noch so puritanische Verneinung.

Unermeßliche profanisierende Entblößung. Knospen (pflanzliche oder Tierglieder, man weiß nicht, und es ist auch gleich) antworten in Überfülle dem monströsen Aufruf zur Wonne, der aus dem Unterbewußtsein hervorbricht, wo die ganze Welt teilnehmen muß und wo alle Vorstellungsbilder zusammengebündelt sind, um die üppige Rhetorik der Brunst zu tragen.

Seerosen, Rosen, antike Säulen, maßlos vergrößerte Maulbeerlarven, ottomanische Kuppeln, Kirchenschiffe, Wölbungen, Schiffswanten, Minarette, Brunnenbecken, Pfeiler, eine Vielheit von Formen aller Art, sprechen endlich klar und nicht mehr verstohlen. Die Perversitäten treten deutlich aus den Baudenkmälern, den Ornamenten hervor, und man fragt sich, wie man es angestellt hatte, sie nicht zu sehen, sie nicht gleich zu erkennen.   - Henri Michaux, Turbulenz im Unendlichen. Die Wirkungen des Meskalins. Frankfurt am Main 1971

 

Tugend Mischung

 

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Schmutz

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