ngestalte, Das Ich dachte bisweilen ans Ungestalte. Es gibt Dinge, Flecken, Massen, Umrisse, Volumina, die gewissermaßen nur der Tatsache nach existieren: wir nehmen sie lediglich wahr, aber wir wissen nichts von ihnen; es ist uns nicht möglich, sie auf ein einheitliches Gesetz zurückzuführen, von einem ihrer Teile auf das Ganze zu schließen, sie auf gedanklichem Wege zu rekonstruieren. Wohl aber vermögen wir sie uns mit der größten Leichtigkeit auch anders zu denken. Daß sie einen Platz im Raum beanspruchen, ist sozusagen ihre einzige greifbare Eigenschaft ... Sie „ungestalt" nennen heißt: ihnen nicht sowohl die Gestalt absprechen, als vielmehr behaupten, daß sich nichts in uns vorfindet, was uns diese auf zeichnerischem oder gedanklichem Wege deutlich wiederzugeben erlaubte. Und in der Tat hinterlassen uns die ungestalten Gestalten weiter nichts als die Erinnerung an eine Möglichkeit... So wenig eine Folge von zufällig angeschlagenen Tönen eine Melodie ist, so wenig sind eine Lache, ein Fels, eine Wolke, ein Stück Strand faßbare Gestalten. Ich will auf diese Überlegungen kein besonderes Gewicht legen: sie führen sehr weit.
Ich komme zurück aufs Zeichnen.
Angenommen, wir möchten eines dieser ungestalten Dinge zeichnen, aber immerhin
eines, das einen gewissen Zusammenhang seiner Teile erkennen läßt. Ich werfe
ein zerknittertes Taschentuch auf den Tisch. Dieses Ding erinnert an nichts.
Für das Auge ist es zunächst ein Gewirr von Falten. Ich vermag es am einen Ende
aus seiner Lage zu bringen, ohne dadurch den ändern Zipfel in Mitleidenschaft
zu ziehen. Meine Aufgabe besteht nun aber darin, auf meiner Zeichnung ein Stück
Stoff von bestimmter Sorte, Weichheit, Dichte sowie durchgängiger Einheitlichkeit
zur Darstellung zu bringen. Es handelt sich also darum, eine bestimmte Struktur
eines Gegenstandes verständlich zu machen, der eine solche in keinem ausgesprochenen
Maße besitzt, und es existiert weder ein Vorbild noch eine Erinnerung, auf die
man sich bei der Arbeit berufen könnte, — wie dies möglich ist bei der Wiedergabe
der Gestalt etwa eines Baumes, eines Menschen oder eines Tieres, die in einzelne,
uns wohl bekannte Abschnitte zerfallen. Hier nun also hat die Intelligenz des
Künstlers einzuspringen, hat das Auge die Aufgabe,
mit Hilfe der Bewegungen, kraft deren es über das wahrgenommene Objekt hingleitet,
die Pfade des Stifts auf dem Papier zu finden — einem Blinden vergleichbar,
welcher die durch Berührung gewonnenen Elemente der Gestalt, die er abtastet,
im Gedächtnis aufspeichern, sich das Wissen um die Einheitlichkeit eines ganz
regelmäßig gebauten Körpers Punkt für Punkt erringen muß. -
(deg)