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hom
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Felsen (2) Wer an der Küste
entlanggeht, erlebt eine Reihe von Trugbildern. In
jedem Augenblick versucht der Felsen dich zu täuschen. Wo haben die Wahnvorstellungen
sich eingenistet? Im Granit. Es gibt nichts Seltsameres. Enorme steinerne Kröten
sitzen da, augenscheinlich aus dem Wasser gekrochen, um zu atmen; riesige Nonnen
hasten vorüber, über den Horizont gebeugt; die versteinerten Falten ihrer Schleier
haben die Form des Windes; Könige mit vulkanischen Kronen sitzen sinnend auf
schweren Thronen, die vom Schaum nicht verschont bleiben; irgendwelche Wesen,
die sich in die Felsen geflüchtet haben, strecken ihre Arme nach draußen, und
man sieht die Finger der geöffneten Hände. Das alles ist ungestaltete Küste.
Tritt näher - nichts ist mehr da. Der Stein bewirkt dies Verschwinden. Hier
eine Festung, dort ein zerfallender Tempel, hier ein Chaos von Verwerfungen
und zerstörten Mauern, eine verlassene Stadt. Aber es gibt keinen Tempel, keine
Stadt, keine Festung: da ist der Felsen. Je nachdem ob man kommt oder sich entfernt
oder wohin man sich wendet, löst sich auch der Küstensaum auf - kein Kaleidoskop,
das sich schneller verändern könnte; die Aspekte lösen sich auf, um sich wieder
neu zu formen; die Perspektive tut das ihre dazu. Dieser Block ist ein Dreifuß,
dann ein Löwe, dann ein Engel, und er öffnet weit seine Flügel; dann ist er
eine sitzende Gestalt, die in einem Buch liest. Nur die Felsen können ihre Form
noch so wie die Wolken verändern. Diese Formen rufen die Vorstellung von Größe
wach, nicht von Schönheit. Im Gegenteil. Manchmal sehen sie kränklich und scheußlich
aus. Der Felsen hat Knoten, Tumore, Zysten, Quetschungen, Beulen, Warzen . .
. Der Zerfall hat auf den Fels die gleiche Wirkung wie auf die Wolken. Diese
bewegen sich und lösen sich auf, jener ist fest und zusammenhanglos. Ein Rest
von der Angst des Chaos in der
Schöpfung. - Victor Hugo, nach: Wieland Schmied, Zweihundert Jahre
phantastische Malerei. München 1980
Felsen (3) Seit dem Auseinanderplatzen des ungeheuren Urahns und ihrem unwiderruflichen Sturz aus ihrer himmlischen Flugbahn schweigen die Felsen.
Vom pflanzlichen Sprießen überwältigt und aufgebrochen wie ein Mann, der sich nicht mehr rasiert, von der lockeren Erde ausgehöhlt und überhäuft, ist keiner von ihnen mehr imstande, einen Pieps von sich zu geben.
Ihre Gesichter, ihre Körper werden rissig. In den Falten der Erfahrung nähert
sich die Naivität und läßt sich dort nieder. Die Rosen setzen sich auf ihre
grauen Knie und richten gegen sie ihre naiven Schmähschriften. Sie aber lassen
sie gewähren. Sie, deren verheerender Hagel einst die Wälder durchlichtete,
deren Dauer ewig ist in Stumpfsinn und
Ergebenheit. - (
frp
)
Felsen (4) Etwas, an das man sich zu gewöhnen hat;
ein Fels, zu groß, daß ihn ein Ochse wegzöge, zu nah, um ihn zu sprengen. Nimm
den Weg darum herum oder - schürfe ihn ab, schürfe ihn ab: ein Berg liegt im
Schmutz begraben! Heirate ein Ziesel, daß es dir hilft! Treibe es hinein! Geh
selbst hinunter an den erleuchteten Weiden entlang. Hinunter, hinunter. Die
ganze Familie greife zu Schaufeln, die Babies auch! Hinunter, hinunter! Hier
ist Tenochtitlan! hier ist ein sonderbares Darién, wo Würmer Prinzen sind. -
(kore)
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