eilnahme
Ich kann mich einer gewissen Teilnahme für den armen Satan
(ich spreche von dem Satan Miltons) nicht erwehren, seit er so vom Himmel herabgestürzt
ist. In dem Augenblick, wo ich den Starrsinn des empörerischen Geistes tadle,
bekenne ich, daß die Festigkeit, die er im Übermaß des Unglücks beweist, und
die Größe seines Mutes mich wider meinen Willen zur Bewunderung zwingen. Obgleich
ich recht wohl das Unheil kenne, das aus dem frevelhaften Unternehmen entstanden
ist, welches ihn die Pforten der Hölle sprengen ließ,
um das Zusammenleben unserer ersten Eltern zu beunruhigen, so kann ich doch,
was ich auch anfangen mag, nicht ein einziges Mal wünschen, ihn unterwegs im
Wirrsal des Chaos sterben zu sehen. Ich glaube sogar, ich würde ihm gern helfen,
wenn nicht die Scham mich zurückhielte. All seine Bewegungen verfolge ich und
finde an einer Reise mit ihm ebensoviel Vergnügen, wie wenn ich 3in guter Gesellschaft
wäre. Dabei weiß ich ganz gut, daß er trotz alledem ein Teufel ist, daß er auf
dem Weg ist, das Menschengeschlecht zu verderben, daß er ein wahrer Demokrat
ist, nicht von der Art wie die in Athen, sondern wie die in Paris - aber alles
das kann mich von meiner Voreingenommenheit nicht heilen.
Was für ein gewaltiger Plan und welche Kühnheit in der Ausführung!
Als die weiten, dreifachen Pforten der Hölle sich plötzlich sperrweit vor
ihm öffneten und der tiefe Abgrund des Nichts und
der Nacht zu seinen Füßen mit all seinem Grauen sich auftat, da durcheilte er
unerschrockenen Blickes das düstere Reich des Chaos; ohne Zaudern entfaltete
er seine gewaltigen Flügel, die ein ganzes Heer hätten
bedecken können, und stürzte sich in den Abgrund hinab.
- Xavier de Maistre, Reise um mein Zimmer. In: Ders., Zwei Reisen um
mein Zimmer. München 1968 (Winkler, Die Fundgrube 39, zuerst 1795)
Teilnahme (2) Die Einstellung der Nambikwara
zu den Dingen der Liebe läßt sich auf ihre Formel tamindige mondage bringen,
die wörtlich übersetzt bedeutet: »Liebe machen ist gut.« Ich habe bereits auf
die erotische Atmosphäre 'hingewiesen, die das tägliche Leben durchdringt. Alle
Liebesangelegenheiten erregen das Interesse und die Neugier der Eingeborenen
in höchstem Maße; begierig lauscht man Gesprächen über diese Dinge, und die
im Lager ausgetauschten Bemerkungen sind voller Anspielungen und Zweideutigkeiten.
Die sexuellen Beziehungen finden meist in der Nacht statt, zuweilen in der Nähe
des Lagerfeuers; meist aber entfernen sich die Partner in den angrenzenden Busch.
Dieses Verschwinden wird sofort bemerkt und gibt den Umstehenden Anlaß zu lärmender
Freude; Kommentare und Scherze werden laut, und sogar die kleinen Kinder teilen
die allgemeine Erregung, deren Ursache sie sehr gut kennen. Zuweilen verfolgt
eine kleine Schar von Männern, jungen Frauen und Kindern das Paar: sie versuchen,
durch die Zweige hindurch Einzelheiten zu erspähen und flüstern miteinander,
das Lachen unterdrückend. Die Protagonisten schätzen dieses Treiben keineswegs,
tun jedoch besser daran, es hinzunehmen, ebenso wie die Neckereien und Spaße,
die sie bei ihrer Rückkehr ins Lager empfangen. Es kommt auch vor, daß ein zweites
Paar ihrem Beispiel folgt und die Einsamkeit des Busches sucht. Dennoch sind
diese Gelegenheiten selten, und die Verbote, die sie einschränken, erklären
diesen Sachverhalt nur zum Teil. Die wirkliche Ursache scheint eher im Temperament
der Indianer zu liegen. Im Verlauf der Liebesspiele, denen sich die verschiedenen
Paare so gern und öffentlich hingeben und die oft sehr weit gehen, habe ich
niemals die geringste Erektion beobachtet. Das gesuchte
Vergnügen scheint weniger physischer als vielmehr spielerischer und sentimentaler
Art zu sein. Vielleicht tragen die Nambikwara aus diesem Grund keinen Penisbeutel,
wie es fast alle anderen Völker Zentralbrasiliens tun. Es ist nämlich wahrscheinlich,
daß dieser Beutel die Funktion hat, wo nicht die Erektion zu verhindern, so
doch die friedlichen Absichten des Trägers hervorzuheben. -
(str2)
Teilnahme (3)