eilnahmelehre   Im Februar 1940, am Beginn des zweiten Weltkrieges, hat das Reichsgericht in Leipzig eine Strafsache entschieden, die dann als »Badewannenfall« in die Geschichte unseres Strafrechts eingegangen ist. Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen, 74. Band, Seite 84:

 »In einem Dorf an der Mosel lebten zwei junge Bauerntöchter, Schwestern, die beide ein uneheliches Kind erwarteten. Als das eine tot zur Welt gekommen war, drohte der Vater der beiden, er würde sie aus dem Haus jagen, wenn so etwas noch einmal passierte. Deshalb verschwieg die andere ihren Zustand und brachte das Kind mit Hilfe ihrer Schwester in ihrer Kammer heimlich zur Welt. Sie hatten Angst vor ihrem Vater und wußten nicht, was sie tun sollten. Als die Schwester das Kind badete, verlangte die Mutter, sie solle es ertränken. Die Schwester gab nach und hielt das Kind unter Wasser, bis es tot war.

Damals, kurz vor der Änderung des 211, war das noch Mord, nämlich eine Tötung »mit Überlegung«. Die Schwester mußte also mit dem Tode bestraft werden. Dasselbe drohte an sich auch der Mutter, denn Anstifter werden wie Täter bestraft. Aber für sie gab es — damals wie heute — die Milderung des  217 bei Tötung eines unehelichen Kindes gleich nach der Geburt. Freiheitsstrafe. So erging das Urteil des Landgerichts Trier, Die Mutter wurde zu einer Zuchthausstrafe verurteilt, die Schwester zum Tode.

Die Schwester legte Revision ein, und die Richter am Reichs-gericht hatten Mitleid. An sich wurde in dieser Zeit nach Kriegsausbruch die Todesstrafe hemmungslos ausgedehnt. Aber hier, bei der Bauerntochter von der Mosel, sollte sie vermieden werden. Also drehte das Reichsgericht die Rollen um, ernannte die Mutter zu derjenigen, die das Kind getötet habe, also zur Tätern, und sagte, die Schwester hätte ihr nur geholfen. Sie sei Gehilfin. Die Strafe für Beihilfe ist niedriger. Die Todesstrafe wurde also aufgehoben, und sie konnte wie ihre Schwester mit Zuchthaus bestraft werden.«

Der juristische Hebel, mit dem das Reichsgericht das bewerkstelligte, war die subjektive Teilnahmelehre. Das Gesetz unterscheidet zwar zwischen Tätern — und Mittätern — auf der einen und Teilnehmern auf der anderen Seite. Teilnehmer sind Anstifter und Gehilfen. Aber es sagt nicht genau, wo der Unterschied liegt. Im praktischen Ergebnis ist das ganz entscheidend, besonders für die Frage der Beihilfe, die milder bestraft werden muß. Dabei gibt es viele verwickelte Fälle, in denen man nicht genau sagen kann, ob jemand als Täter oder Teilnehmer gehandelt hat.

Schon lange vor dem Badewannenfall hat das Reichsgericht die Frage nach subjektiven Kriterien entschieden, also nach dem inneren Willen des Angeklagten bei der Tat und nicht nach dem äußeren — objektiven — Hergang. Die berühmte Formel lautete, daß derjenige der Täter ist, der die Tat als eigene will, und Gehilfe, wer sie als fremde will. Das wiederum entschied man meistens nach dem Interesse, das der Betreffende an der Tat hatte. Im Badewannenfall hieß das, die Schwester habe die Tötung des Babys nicht als eigene gewollt, sondern sie hat für die Mutter gehandelt, in deren Interesse. Die Schwester hat die Tat nur als fremde gewollt. Deshalb war sie nur Gehilfin, Teilnehmerin, und nicht Täterin. Auch früher war es schon vorgekommen, daß jemand nicht als Täter bestraft wurde, obwohl er sehr viel näher dran war am Tatgeschehen als der andere. Aber der Badewannenfall war der Höhepunkt der subjektiven Teilnahmelehre, seine Überspitzung. Er stellte das tatsächliche Geschehen juristisch auf den Kopf. Deswegen ist er auch heftig kritisiert worden von der Wissenschaft — nicht von dem Bauernmädchen aus dem Moseldorf. - Uwe Wesel, Fast alles, was Recht ist. Jura für Nichtjuristen. Frankfurt am Main 1992 (Die Andere Bibliothek 92)

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