lügel Unter
den Kindern der Nacht erschien, wie man sich wohl erinnert, eine Tochter dieser
Urgöttin, die Nemesis. Der Name bedeutet den gerechten Zorn, der sich gegen
diejenigen richtet, die eine Ordnung, vor allem die Ordnung der Natur, durchbrochen
haben und ihre Regel und Norm verletzten. Wird die Themis nicht beachtet, ist
die Nemesis da. Sie hatte Flügel, wenigstens auf späteren Darstellungen; aber
es kann auch Zufall sein, daß nur solche erhalten blieben. Aidos, ihre Gefährtin,
die Göttin »Scham«, die nach der Prophezeiung des Hesiod die Menschen mit der
Nemesis verlassen soll, erscheint viel früher beflügelt. Artemis, der beide sehr
nahe stehen, hatte in den ältesten Zeiten ebenfalls
Flügel. - (
kere
)
Flügel (2) Vor nicht sehr langer Zeit wohnte in einer bestimmten Gegend der Guyenne eine verheiratete Frau aus sehr gutem Hause und von bester Herkunft der Unterrichtsstunde ihrer Kinder bei; da ergriff deren Präzeptor in einem Anfall von Raserei oder möglicherweise in plötzlicher Liebeswut einen auf dem Bette liegenden Degen ihres Mannes und stach ihr die beiden Schenkel und die Schamlippen durch und durch; ohne die Hilfe eines guten Wundarztes wäre sie nachher beinahe daran gestorben. Ihre Scheide konnte wohl sagen, daß sie in zwei verschiedenen Kriegen gewesen und höchst mannigfaltig angegriffen worden wäre. Ich glaube, der Anblick war nachher schwerlich ein hübscher, daß sie so zerfetzt, daß ihre Flügel so zerschnitten waren: ich sage ›Flügel‹, weil die Griechen diese Schamlippen ›himenoea‹ nennen;die Lateiner nennen sie ›alae‹, die Franzosen ›labies, levres, lendrons, landilles‹, und anders; ich finde aber, daß die Lateiner sie recht passend als Flügel bezeichnen; denn kein Tier und kein Vogel fliegt besser oder mit schnelleren Flügeln, sei es ein Nestling oder ein noch nicht gemauserter Falke, als unsere Mädchen, oder ein Wanderfalke, störrisch oder gutgezogen, als unsre verheirateten Frauen oder Witwen.
Ich kann sie auch mit Rabelais ein Tier nennen, weil sie sich von
selbst erregen; berührt man sie oder betrachtet man sie, so spürt man und sieht,
wie sie sich von selbst bewegen und erregen, wenn sie in Begierde sind. - (
brant
)
Flügel
(3) Sitzt man vor dem Piloten, nichts vor sich als den
leeren Raum, dann fühlt man sich wie getragen auf den vorgestreckten Flächen
seiner Hände, so wie der Dschinn den Prinzen Ali durch die Luft trägt, und man
meint, die Flügel, die einen tragen, seien die eigenen Flügel. -
Tania Blixen , Afrika - dunkel lockende Welt. Zürich 1986 (zuerst
1937)
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