tagnation
In der Evolution liegen
ja bei bestimmten neu entstehenden Arten im Aufbau die Chancen eines weiteren
Evolutionsfortschritts verborgen, während
andere zu immerwährender Stagnation verurteilt sind. Die Fische haben sich als
ein Schirm erwiesen, der durchlässig war für die Amphibien, die Amphibien wiederum
für die Reptilien und die Reptilien für die Säugetiere, wohingegen die Insekten
praktisch für immer in dem Schirm hängengeblieben sind und nur dort wimmeln
können. Die stagnierende Position der Insekten wird gerade an ihrer Artenfülle
deutlich, denn von ihnen gibt es mehr Arten als von allen übrigen Tieren zusammengenommen,
doch obwohl es bei ihnen, was die Mutation betrifft,
geradezu brodelt, kommen sie, was die Speziation betrifft, nicht von der Stelle,
und da hilft ihnen gar nichts, denn der Schirm, der mit der unwiderruflichen
Entscheidung, Außenskelette zu bilden, entstand, läßt sie nicht durch. Ähnlich
seid auch ihr in dieser Bewegung stehengeblieben, weil frühzeitige Konstruktionsentscheidungen,
die den Hirnkeimling der Urchordaten formten, sich dreihundert Millionen Jahre
später bei euren Gehirnen als Restriktionen bemerkbar machen. Mißt man die Chancen
der Sapientisierung an den Bedingungen des Ausgangspunktes, so ist dieses Kunststück
über alle Erwartungen hinaus gelungen, doch habt ihr nun das Jonglieren
der Evolution auszubaden, denn für die Geschicklichkeit der Ausflüchte, mit
denen sie den immer dringender werdenden Umbau des Gehirns hinausschob, habt
ihr beim Eintreten in die Autoevolution einen gewaltigen Preis zu zahlen. Genau
das ist der Endeffekt der Perfektion des Opportunismus.
Da ich schon bei euch bin, trage ich nach, was ich in der ersten
Vorlesung offen ließ, nämlich die Frage, warum aus der Vielzahl der Hominiden
nur eine vernunftbegabte Art auf der Erde entstanden und übriggeblieben ist.
Es gab dafür zwei Ursachen, von denen die eine beleidigend ist; auf sie hat
erstmals Dart hingewiesen, und so bitte ich euch, sie bei ihm nachzuschlagen,
denn es ist schicklicher, wenn ihr über euch selber richtet; die andere ist
sowohl frei von Moral als auch interessanter. Die Artenvielfalt gibt es bei
euch deshalb nicht, weil sie erschwert wird durch ein ähnliches Phänomen wie
die Oberflächenspannung, die an der Grenze zwischen verschiedenen Phasen, zum
Beispiel zwischen Flüssigkeiten und Gasen, auftritt. Die Nähe der Phasengrenze
macht sich schon vorher bemerkbar, und so wie die Moleküle des Wassers sich
an dessen Oberfläche stärker geordnet verhalten als in der Tiefe, kann auch
euer Erbsubstrat nicht durch Mutationen in alle möglichen Richtungen springen.
Diese Verringerung seiner Freiheitsgrade
stabilisiert eure Art. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main
1986 (zuerst 1973)
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