ortschritt  Selbst der Fortschritt hat ein Ende, man kann einem Pferd, einem Kater nichts mehr hinzufügen, die Entwicklung ist abgeschlossen, Gestalt und Form sind vollkommen, einzig die menschlichen Beziehungen werden auf den Flügeln des Fortschritts getragen.

Als ich noch klein war, verkauften die Bäuerinnen auf dem Markt Butter, jedermann konnte mit dem Finger ein Stück wegschnippen und kosten, bevor er kaufte. Dann kam die Revolution, der Fiskus des Städtchens bestimmte, daß Finger unhygienisch seien, man nur mit dem Nagel ein bißchen Butter zum Probieren abkratzen dürfe, allen einkaufenden Frauen wuchs zum Butterkosten ein langer Fingernagel, aber auch das wurde überwunden und für unhygienisch befunden, wer probieren wollte, mußte ein Messerchen haben. So machten die Messerschmiede gute Geschäfte, die Messerchen waren angekettet, und die einkaufenden Frauen schnitten sich ein Stückchen Butter ab und kosteten, einige kauften nie etwas, sie probierten nur und wurden so mit einer einzigen Semmel satt. Doch auch das wurde für unhygienisch befunden... jetzt kauft man die Butter in Stanniolpapier, fertig verpackt, tiefgefroren ... und das wird bis zum Ende der menschlichen Gesellschaft so bleiben. - (hra2)

Fortschritt (2) Wie andere Aufklärer auch glaubte Lichtenberg an den Fortschritt, ausgenommen sein Tempo. 1782 hatte er im »Göttinger Taschen-Kalender« unter der Rubrik »Neue Erfindungen« (immerhin als jährlich vorgesehene Institution aufs Fortschreiten eingerichtet) die französischen ›Luftschiffe‹ Montgolfiers mit Mißtrauen angezeigt. Doch genügte ein Jahr, um ihn im »Göttingischen Magazin« des Herbstes 1783 eingestehen zu lassen, er sei nun des rechten Glaubens, ausgenommen die Menschenverkehrsfähigkeit der Flugkörper. Der Fortschritt überholte den Buchdruck. Eben im Oktober 1783 fand der ausgeschlossene Menschenaufstieg statt. Lichtenberg retraktierte wiederum und stellte die Sache im genannten »Magazin« 1784 auf eine solide Ebene der Erläuterung und Einordnung durch »Vermischte Gedanken über die aërostatischen Maschinen«. - (blum2)

Fortschritt (3) »Ich habe es nie geschafft, wirkungsvoll oder regelmäßig zu sündigen.« Betts gestand das sehr niedergeschlagen. »Ein guter Butler übernimmt unbewußt den Charakter seines Herrn. Mr. Hawk war bis vor kurzem ein Mann von ungewöhnlich sauberem Lebenswandel.«

»Wie finde ich das!« rief Meg empört, »wollen Sie damit andeuten, ich hätte ihn verdorben

»Das hoffe ich doch«, erwiderte Betts, »ich hoffe, er ist inzwischen ganz schwarz. Sehen Sie, ich halte nicht viel von einem zu sauberen Leben. Ich glaube, es lähmt das Gefühl für Moral. Um gesund zu bleiben, sollte die Moral ständig in Bewegung sein. Den Fortschritt haben wir nur unmoralischen Menschen zu verdanken, die das Blatt gewendet haben.«  - (goetter)

Fortschritt (4)   Der Meister sprach: In alten Zeiten hatten die Menschen drei Mängel, die heutzutage offenbar in dieser Art nicht mehr anzutreffen sind.

Damals waren die Verwegenen lässig in ihrem Gebaren; heutzutage sind sie rücksichtslos.

Damals waren die Förmlichen schroff; heutzutage sind sie zänkisch.

Damals waren die Einfältigen offenherzig; heutzutage sind sie nichts als Betrüger. - (kung)

Fortschritt (5)  Das Weib will selbständig werden: und dazu fängt es an, die Männer über das "Weib an sich" aufzuklären — das gehört zu den schlimmsten Fortschritten der allgemeinen Verhäßlichung Europas. Denn was müssen diese plumpen Versuche der weiblichen Wissenschaftlichkeit und Selbst-Entblößung alles ans Licht bringen! Das Weib hat so viel Grund zur Scham: im Weibe ist so viel Pedantisches, Oberflächliches, Schulmeisterliches, Kleinlich-Anmaßliches, Kleinlich-Zügelloses und -Unbescheidenes versteckt — man studiere nur seinen Verkehr mit Kindern! —, das im Grunde bisher durch die Furcht vor dem Manne am besten zurückgedrängt und gebändigt wurde. Wehe, wenn erst das "Ewig-Langweilige am Weibe" — es ist reich daran! —, sich hervorwagen darf!  - Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse (zuerst 1886)

Fortschritt (6) Ich bezweifle, daß man Menschen, und wären es Verbrecher, durch Gesetze zwingen könnte, täglich in die Gruben hinabzusteigen, die schlechte Luft, die sich dort sammelt, einzuatmen, ihre sämtlichen Sinne stinkendem, alles zersetzendem, die Gesundheit untergrabendem Gifthauch auszusetzen, ihre Gesichter von vorzeitiger Leichenblässe zeichnen zu lassen. Indes, was Tyrannei und Zwang nicht schaffen, vermag — ganz ohne Gewalt - ein bißchen Geld.

Weit kommen die Unglücklichen damit freilich nicht, da sie notwendigerweise der Gewohnheit frönen, das Gift, das sie umbringt, durch fleißigen Gebrauch und sogar Mißbrauch geistiger Getränke zu bekämpfen. Sie müssen sich einfach betäuben, wenn sie den pestilenzialischen Miasmen mit gebührender Kühnheit standhalten wollen, wiewohl gerade diese unumgänglichen Ausgaben für Branntwein schuld daran sind, daß ausgerechnet die Männer, die einer Arbeit nachgehen, welche eigentlich unbezahlbar ist, ein Leben lang dem Elend nie entrinnen. r rüher blieben diese Opfer der Gesellschaft, der sie doch so gut gedient hatten, in ihrem vorzeitigen Alter voller Siechtum sich selber überlassen. Das war eine schreiende Ungerechtigkeit, der die Polizei unlängst ein Ende bereitet hat: Heute ist dafür gesorgt, daß den Männern und ihren Familien geholfen werde. Erkranken sie, steht jetzt im Hospital ein Bett für sie bereit. - Louis Sébastien Mercier, Mein Bild von Paris. Frankfurt am Main 1979 (zuerst 1788, it 374)

Fortschritt (7)  Nach langen Monaten des Sparens hatten sie ein Haus gebaut, worin sie ihre Möbel und einen Onkel, Karl, unterbrachten, der während der Heuernte wahnsinnig geworden

Sie ließen sich keinerlei Überraschung anmerken, noch zeigten sie Bedauern. Für uns bedeutet der Wahnsinn die Rückkehr zu einer früheren Stufe, für solche Menschen wie Lena und Una bedeutete er einen Fortschritt. Jetzt war ihr Onkel in ein Land jenseits ihrer Reichweite eingetreten, ins Land der Phantasie. Fünfzig Jahre lang war er gewesen wie sie, schweigsam, hart arbeitend, phantasielos. Dann war er mit einem Male, so wie ein Lernender seine Prüfung ablegt, in eine andere Daseinsform aufgestiegen, wo er von Dingen sprach, von denen nur Menschen sprechen, die der Scholle entsagt haben - von seltsamen, phantastischen, unwichtigen Dingen, Dingen, die man fürchten mußte, weil sie weder von Gewinnen noch von Verlusten handeln.

Wenn Karl plötzlich in sein Geheul verfiel, dann lauschten sie auf dem Feld eine Weile, wie Hunde einem vertrauten Laut lauschen, und alsbald machte Lena sich auf, um ihn mit derselben harten Hand zu massieren, mit der sie den langen Beutel zusammenpreßte, worin während der Einmachzeit die Trauben waren. - Djuna Barnes, Die Erde. In: D.B., Die Nacht in den Wäldern. Short Stories. Berlin 1982 (Quartheft 133)

Fortschritt (8)

- John Gutman

Fortschritt (9)

- N. N.

Fortschritt (10)  

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