piegelstadt Die Alten bauten Valdrada an die Ufer eines Sees, mit Häusern, ganz Veranda, eins über dem andern, und Hochstraßen, deren Balustraden auf das Wasser gehen. So sieht der Reisende, wenn er ankommt, zwei Städte: eine aufrechte über dem See und eine reflektierte umgekehrte. Kein Ding ist oder geschieht in dem einen Valdrada, das sich nicht im andern wiederholte, denn die Stadt wurde so angelegt, daß sich jeder ihrer Punkte in ihrem Spiegel reflektiert, und das Valdrada unten im Wasser birgt nicht nur alle Auskehlungen und Vorsprünge der Fassaden, die sich über dem See erheben, sondern auch das Zimmerinnere mit Decken und Fußböden, die Perspektive der Dielen, die Spiegel an den Schränken.
Die Einwohner von Valdrada wissen, daß alle ihre Handlungen die Handlung
und ihr Spiegelbild zugleich sind, dem die besondere Würde der Bilder angehört,
und dieses Bewußtsein verbietet ihnen, sich auch nur einen einzigen Augenblick
dem Zufall oder dem Vergessen hinzugeben. Selbst wenn die Liebenden Haut an
Haut ihren nackten Körpern eine Wendung geben, um einer vom andern mehr Lust
zu erhalten, selbst wenn die Mörder ihr Messer in die schwarzen Halsvenen stoßen,
und je mehr dickes Blut hervorquillt, die an den Sehnen vorbeirutschende Schneide
nur um so tiefer hineinversenken, dann ist nicht so sehr ihr Vereinigen oder
ihr Töten von Bedeutung, sondern das Vereinigen und das Töten ihrer klaren und
kalten Ebenbilder in dem Spiegel. - Italo Calvino, Die
unsichtbaren Städte. München 1977 (zuerst 1972)
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