benbild   Der Fisch ist von allen Geschöpfen am sorgfältigsten und genauesten nach Gottes Ebenbild geschaffen. Alles wirkt zu seinem Besten zusammen, und daraus können wir den Schluß ziehen, daß der Fisch völlig nach Gottes Absicht ins Leben gerufen ist.

Der Mensch vermag sich nur in einer Ebene zu bewegen und ist an die Erde gefesselt. Und die Erde stützt ihn nur durch den schmalen Raum unter seinen beiden Fußsohlen, und er muß sein Gewicht mit sich herumschleppen unter bitterem Seufzen. Er muß  mühselig die Berge erklimmen; dabei kann es ihm passieren, daß er herunterfällt, und dann empfängt ihn die Erde äußerst unsanft. Sogar den Vögeln geht es so, sie haben zwar Schwingen, aber wenn sie ihre Flügel nicht anstrengen, verrät sie die Luft, in die sie doch hineingeboren sind, und läßt sie fallen.

Wir Fische hingegen werden von allen Seiten gestützt und getragen. Wir lehnen uns vertrauensvoll und in Eintracht gegen unser Element. Wir bewegen uns in jeder Richtung, und welchen Kurs wir auch nehmen, das gewaltige Wasser hat so viel Ehrfurcht vor unserer Wohlbeschaffenheit, daß es gehorsam seine Gestalt verändert.

Wir haben keine Hände, können also niemals etwas bauen und basteln und lassen uns nicht von eitlem Ehrgeiz verleiten, daß wir auch nur im geringsten etwas verändern wollten an der Schöpfung des Herrn. Wir säen nicht und werkeln nicht, daher schlägt auch keine unserer Erwartungen fehl, und nichts schätzen wir verkehrt ein. Die größten unter uns haben unten in der Tiefe die völlige Dunkelheit erreicht. Und das Muster der Schöpfung können wir mit Leichtigkeit lesen, wir schauen's ja von unten.

Indem wir so durchs Gewässer kreuzen, tragen wir einen Schöpfungsbericht mit uns, der uns unsere bevorzugte Stellung aufs nachdrücklichste beweist und unser Kameradschaftsgefühl festigt. Dem Menschen ist dieser Bericht ebenfalls bekannt, er nimmt sogar in seiner Geschichte einen bedeutenden Platz ein, aber entsprechend seiner allgemeinen unterentwickelten Vorstellung von den Dingen bleibt sein Verständnis in diesem Punkt verworren. Ich will dir alles auseinandersetzen.

Als Gott Himmel und Erde geschaffen hatte, verursachte ihm die Erde bittere Enttäuschung. Der Mensch, zum Fallen geneigt, fiel denn auch beinahe auf der Stelle, und mit ihm fiel, was auf dem Trockenen war. Da gereuete es den Herrn, daß er den Menschen geschaffen hatte und die Tiere auf der Erde und die Vögel in der Luft. Nur die Fische sind nicht gefallen und werden nie fallen, denn wieso und wohin sollten wir fallen? Darum blickte der Herr gütig auf uns, seine Fische, und war getröstet bei ihrem Anblick, da unter aller Schöpfung sie allein ihn nicht enttäuscht hatten.

Er beschloß daher, die Fische nach Verdienst zu belohnen. Da wurden alle Quellen der Tiefe aufgebrochen und die Fenster des Himmels aufgetan, und die Wasser der großen Flut kamen über die Erde. Und die Wasser schwollen über und nahmen zu, und alle hohen Berge, so wie sie unterm Himmel waren, wurden bedeckt. Und die Wasser schwollen über alle Grenzen, und alles Fleisch, das auf Erden wandelte, mußte sterben, die Vögel und das Vieh, die wilden Tiere und der Mensch. Alles, was auf dem Trockenen wohnte, mußte sterben.

Ich will in meinem Bericht nicht lange bei der Annehmlichkeit dieser Zeit und dieses Zustandes verweilen. Ich habe Mitgefühl mit dem Menschen, ich besitze Takt. Auch du, bevor du den Weg zu uns fandest, hattest vielleicht Rinder in dein Herz geschlossen oder Kamele und Pferde, oder du hast Tauben gehalten oder Pfauen. Du bist noch jung und hast dich vielleicht unlängst erst hingezogen gefühlt zu so einem Geschöpf, einem von deiner eigenen Art und doch ein wenig einem Vogel ähnlich, junge Frau sagt ihr wohl zu ihnen. Obgleich, nebenbei gesagt, günstiger wäre für dich, es wäre nicht an dem, denn ich erinnere mich an die Worte meiner Fischer, daß eine junge Frau ihren Liebsten die Qual des Verbrennens erleben läßt, und da könnte dir wohl in den Sinn kommen, dich nach einer meiner eigenen Nichten umzusehen, das sind ganz ungeheuer salzige junge Dinger, bei denen ein Liebhaber nie fürchten muß, daß er brennen könnte. Was ich sagen will, ist nur dies: daß wir hundertundfünfzig Tage des Überflusses hatten und daß das Glück sich aus dem Füllhorn über uns ergoß.

Ferner werde ich, und diesmal meinetwegen, nach der klugen, erprobten Weise der Fische flüchtig über die Tatsache hinweggehen, daß der Mensch, obwohl gefallen und verderbt, durch List und Tücke noch einmal vermocht hat, nach oben zu kommen. Doch bleibt es zweifelhaft, ob er bei all seinem scheinbaren Triumph wirkliches Wohlergehen erlangt hat. Wie soll ein Geschöpf wahre Sicherheit erlangen, das von Zweifeln zerfressen wird, ob es in diese oder in jene Richtung gehen soll, und das der Frage des Steigens oder Fal-lens eine ungeheure Bedeutung beimißt? Wie soll es Gleichgewicht erlangen, wenn es sich nicht entschließen kann, den Gedanken der Hoffnung und des Wagnisses aufzugeben?

Wir Fische ruhen gelassen, von allen Seiten gestützt, in einem Element, das sich unablässig aufs genaueste und unfehlbarste ausgleicht, einem Element, von dem man sagen kann, daß es unsere persönliche Existenz in sich aufgenommen hat, indem nämlich, unabhängig von unserer individuellen Gestalt und gleichgültig, ob wir Flachfische oder symmetrische Fische sind, unser Gewicht und unsere Körperform danach berechnet sind, wieviel wir von unserer Umgebung verdrängen.

Unsere Erfahrung hat uns bewiesen, was auch die deine dir eines Tages beweisen wird, daß man nämlich sehr wohl ohne Hoffnung dahinschwimmen kann, ja, daß dies ohne Hoffnung sogar besser gelingt. Darum steht auch in unserem Glaubensbekenntnis geschrieben, daß wir alle Hoffnung hinter uns gelassen haben.

Wir riskieren nichts. Denn unser Ortswechsel, solange wir leben, schafft oder hinterläßt nie, was die Menschen eine Spur, einen Weg nennen, auf welche Erscheinung - es ist in Wirklichkeit keine Erscheinung, sondern eine Einbildung - sie unbegreiflicherweise leidenschaftliche Überlegung verschwenden.

Der Mensch, dies als letztes, wird beunruhigt vom Gedanken der Zeit und aus dem Gleichgewicht gebracht von einem unablässigen Schweifen zwischen Vergangenheit und Zukunft. Die Bewohner der flüssigen Welt haben Vergangenheit und Zukunft zusammengebracht in einem einzigen Sinnspruch: „Après nous le déluge."  - Tania Blixen, Schicksalsanekdoten. Reinbek bei Hamburg 1988 (zuerst 1958)

Ebenbild (2)  Wie ich ausschaue? Manchmal sehe ich mich im Spiegel. Eine wunderliche, lächerliche und schmerzliche Sache! Eine Schande, es zu gestehen. Ich sehe mich niemals en face, von Angesicht zu Angesicht, sondern ein wenig tiefer, ein wenig weiter stehe ich dort in der Tiefe des Spiegels, ein wenig von der Seite, ein wenig im Profil stehe ich nachdenklich da und blicke zur Seite. Ich stehe regungslos und blicke zur Seite, etwas nach hinten und hinter mich. Unsere Blicke haben aufgehört sich zu begegnen. Wenn ich mich rühre, rührt auch er sich, doch halb nach hinten gewandt, als wüßte er nichts von mir, als wäre er hinter zu viele Spiegel gegangen und könnte jetzt nicht mehr zurück. Der Gram drückt mir das Herz ab, wenn ich ihn sehe, so fremd und so gleichgültig. Das bist doch du, möchte ich rufen, warst mein treues Ebenbild, hast mir so viele Jahre Gesellschaft geleistet — und jetzt erkennst du mich nicht? O Gott! Fremd und irgendwohin zur Seite blickend stehst du dort und scheinst m die Tiefe zu lauschen, auf irgendein Wort zu warten — und von dort, aus der gläsernen Tiefe, jemand anderem gehorsam, von ganz wo-andersher Befehle zu erwarten.  - Bruno Schulz, Einsamkeit. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen. München 1966
 
 

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