Endlich nun alle die Bilder, die
sei es im Spiegel, im Wasser
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- (
luk
)
Spiegelbild (2) Das tödlichste mythologische
Wesen wird in der Regel als kleines, giftiges, etwa fünfzehn Zentimeter
langes Reptil beschrieben. Nach Plinius
hat die weiße Markierung an seinem Kopf Ähnlichkeit mit einem Diadem, wodurch
das Tier zur Königin der Schlangen werde. Obwohl der Basilisk zwei Füße
hat, schleifen Rücken und Schwanz in Schlangenwindungen über den Boden.
Schon das Zischen diese bedrohlichen Tieres läßt alle panisch die Flucht
ergreifen, denn in seinem tödlichen Umkreis zu verharren bedeutet das sichere
Ende. Ein Blick aus den bösen kleinen Basiliskenaugen ist ebenso verhängnisvoll
wie das Einatmen seines Gifthauches. Umsichtige Reisende in Gegenden, die
von Basilisken heimgesucht wurden, wie zum Beispiel Libyen, führten in
ihrem Gepäck einen Spiegel mit: Erblickt ein Basilisk nämlich sein Spiegelbild,
erschrickt er derart, daß er auf der Stelle
tot umfällt. - Colin Eisler, Dürers Arche Noah. Tiere und Fabelwesen
im Werk von Albrecht Dürer. München 1996 (zuerst 1991)
Spiegelbild (3) Der Graf stürzte vor den Spiegel, und aus der reinen Kristalltiefe sah ihm entgegen im schwankenden Lichtschein ein sanftes, trauriges und junges Gesicht, umrahmt von weichem schwarzem Haar, mit dunkelblauen Augen, bleichen Wangen, braunseidigem Bartflaum, ein Gesicht, das nicht das seine war und ihn aus dem Spiegel tief erstaunt anblickte. Zuerst bemühte er sich, anzunehmen, ein Mißberatener treibe seinen Scherz mit ihm und ließe den Kopf vom perlmutter- und messing-eingelegten Rahmen des mit venezianisch abgeschliffenen Rändern versehenen Spiegels umstehen, er fuhr mit der Hand hinter ihn und fühlte nichts als die Holzverkleidung; niemand war da.
Seine jetzigen Hände, die er abtastete, waren magerer, länger und das Adernetz trat mehr hervor; am Ringfinger buckelte sich ein schwerer Goldring, in den ein Aventurin gefaßt war, der ein rotsilber geteiltes Wappen trug mit Freiherrnkrone. Der Ring hatte dem Grafen nie gehört, dessen Wappen auf Goldgrund einen Adler mit ausgebreiteten Schwingen zeigte und die neunzackige Grafenkrone. Er durchstöberte seineTaschen und förderte ein kleines Portefeuille zutage. Es enthielt Karten, die auf den Namen »Octave von Saville« lauteten.
Das Gelächter der Dienerschaft seines Hauses,
die Erscheinung seines Doppelgängers, das unbekannte
Antlitz im Spiegel, dies alles konnte Wahnvorstellung eines überreizten
Hirns sein; doch die anderen Kleider, der Ring,
den er vom Finger streifte, das blieben doch körperhaft greifbare Beweise,
unabweisliche Zeugnisse. Ohne sein Wissen war eine vollkommene Wandlung
mit ihm vorgegangen, ein Magier sicherlich, ein
Dämon möglicherweise, hatte sich seiner Gestalt,
seines adligen Namens, seiner ganzen Persönlichkeit bemächtigt und ihm
nur seine Seele gelassen, ohne die Möglichkeit,
sich ihrer zu bedienen. Die phantastischen Erzählungen Peter Schlehmils
und die Erlebnisse einer Silvesternacht fielen ihm ein. Aber jene Helden
der Geschichten La Motte-Fouqués und Hoffmanns hatten doch
lediglich der eine seinen Schatten, der andere
sein Spiegelbild eingebüßt; und wenn der seltsame Mangel dieser sonst aller
Welt zugehörigen Projektionen auch allerhand Unheimliches
vermuten ließ, so konnte doch zum wenigsten kein Mensch ihnen ihre Identität
abstreiten. - Théophile Gautier, Avatar. Frankfurt am Main
1985 (st 1161, zuerst 1856)
Spiegelbild (4) Als er wieder aufblickte, sah er sich selber in ganzer Gestalt im Spiegel. »Was ist das für ein Mensch?« fragte es in ihm, und je mehr er dem hohen Spiegelbild ein vortreffliches Aussehen, geschmeidigen Wuchs, edle Gesichtszüge, eine klare Stirn und lichte warme Augen zusprechen mußte, desto weniger schien sein Selbst damit zu tun zu haben. »Was ist das für ein Mensch?« fragte es wieder in ihm. Da trat das Bild aus dem Spiegel heraus, setzte sich auf einen der dunkelgrünen Polstersessel und sagte: »Plaudern wir ein wenig.«
»Warum nicht?« antwortete Herr von Hiergeist und nahm seinem Gast gegenüber Platz.
»Sie sind nicht zufrieden?« begann jener. »Nein, das bin ich nicht.« »Was wollen Sie eigentlich ?« »Ich will gar nichts.«
»Das ist allerdings tragisch, wenn man alles hat und nichts will. Häufiger kommt das Gegenteil vor.« »Mag sein. Sagen Sie einmal, sind Sie eigentlich wirklich?« »Das ist eine indiskrete Frage«, erwiderte der Gast lächelnd, »besonders für einen Diplomaten.«
»Ich bin kein Diplomat«, erklärte Herr von Hiergeist entschieden, doch ohne Trotz.
»Auf einmal also nicht?«
»Ich war es nie. Sie sind einer und wollen mir nur einreden, ich sei einer, ich sei Sie...!«
»Nun, das sind Sie doch auch«, erwiderte der Andere mit herzlos spottischer Überlegenheit.
» Nicht im geringsten, mein Lieber.«
Der Andere wurde unsicher. Herr von Hiergeist schwieg und verfolgte die Verwirrung auf dem Antlitz des Gastes aufmerksam. »Merkwürdig«, dachte er, »man braucht es ihm nur einmal entschlossen ins Gesicht zu sagen, und schon wird er schwankend. Nun aber nicht mehr locker lassen! Wer weiß, wann er mir wieder einmal so fest in die Hände gerät?« Der schweigende Blick des Herrn von Hiergeist schien den Ändern immer mehr aus der Fassung zu bringen. Er versuchte es, durch Geschmeidigkeit die Lage für sich zu retten, und schien sich vertragen zu wollen:
»Woher wissen Sie denn das auf einmal, daß ich nicht Sie bin, bisher hat es doch darüber keinen Zweifel gegeben?« »Zweifel hat es allerdings gegeben. Das erstemal, ehe ich auf die Hochschule zog, das zweitemal vor meiner Ehe, das drittemal seit etwa 14 Tagen; nur die Gewißheit hat mir gefehlt, daß Sie und ich nicht derselbe sind.« »Und jetzt?« fragte der Gast ängstlich. »Jetzt habe ich die Gewißheit, seitdem dieser Spiegel Sie aufgefangen hat und Sie Ihren letzten Trumpf auszuspielen gedachten, indem Sie heraustraten, um mich...«
Herrn von Hiergeist wurde plötzlich so bang, daß er kaum mehr sprechen konnte. Erst jetzt, beim Antworten, merkte er, in welcher Gefahr er geschwebt, aus der er sich mit unbewußter Instinktsicherheit gerettet hatte. Er faßte sich an die Kehle und machte eine Bewegung, die das Würgen ausdrückt. »Wie?« schrie der Andere auf, »Sie wollen doch nicht behaupten, daß ich Sie ermorden wollte?«
»Doch«, sagte Herr von Hiergeist mit plötzlich wieder gefundener Ruhe, »das behaupte ich.«
»Unerhört!« antwortete der Gast und beteuerte seine Unschuld, aber seine Aufregung verriet das schlechte Gewissen. »Machen wir uns nichts vor«, fuhrt Herr von Hiergeist fort. »Ich behaupte nicht, daß Sie mich erwürgen wollten. Ihre Mittel zum Morden sind das Geschwätz, die Überredung, die Täuschung, die Verblendung.«
»Ah«, rief der Andere befreit, »darüber läßt sich reden.« - Oscar
A. H. Schmitz, Herr von Hiergeist hat einen Gast. In: Jenseits der Träume.
Seltsame Geschichten vom Anfang des Jahrhunderts. Hg. Robert N. Bloch.
Fankfurt am Main 1990 (st 1595, zuerst 1911)
Spiegelbild (5)
Zum Antlitz, das im Spiegel dir begegnet, Denn wo lebt sie, die grausam dir und hart Du bist der Mutter Spiegel, voll Entzücken Doch lebst du einsam, nur dir selber hier, |
- Shakespeare, Übs. Therese Robinson
Spiegelbild (6) Als die Motumotu von Neu-Guinea zum erstenmal ihr Bild in einem Spiegel sahen, meinten sie, ihre Spiegelbilder seien ihre Seelen. In Neukaledonien sind die alten Männer der Ansicht, das Bild eines Menschen im Wasser oder in einem Spiegel sei seine Seele. Die jüngeren Menschen aber, die von den katholischen Priestern unterrichtet werden, behaupten, es sei eine Widerspiegelung, nichts weiter, gerade so wie die Spiegelung der Palmen im Wasser. Da die Spiegelseele außerhalb des Menschen ist, wird sie ziemlich den gleichen Gefahren ausgesetzt wie die Schattenseele. Die Zulus wollen nicht in einen dunklen Tümpel hineinsehen, weil sie sich einbilden, dort wohne ein Tier, das ihnen ihre Spiegelbilder wegnehmen könne, so daß sie sterben müssen. Die Basutos sagen, Krokodile hätten die Macht, dadurch einen Menschen zu töten, daß sie sein Spiegelbild unter das Wasser ziehen. Stirbt einer von ihnen plötzlich und ohne sichtbare Ursache, so behaupten seine Verwandten, ein Krokodil müsse seinen Schatten genommen haben, als er einmal über den Fluß ging. Auf der Sattelinsel, Melanesien, gibt es einen kleinen Teich. "Wenn ein Mensch da hinein schaut, stirbt er. Der böse Geist ergreift Besitz von seinem Leben durch sein Spiegelbild im Wasser."
Jetzt können wir verstehen, warum es ein
Grundsatz sowohl im alten Indien als auch im alten
Griechenland war, sein Bild im Wasser
nicht anzusehen, und warum die Griechen es als einen Vorboten des Todes
ansahen, wenn ein Mensch träumte, er sähe sich so widergespiegelt. Sie
fürchteten, der Wassergeist werde das Spiegelbild
des Menschen oder seine Seele unter das Wasser ziehen
und ihn selbst ohne Seele umkommen lassen. - (
fraz
)
Spiegelbild (7) Ohne zu überlegen ging
er an eines der mit Mousselinvorhängen bespannten Fenster.
Er versuchte, durch den Vorhang zu sehen, und es verging eine ziemlich
lange Zeit. Plötzlich begriff er, daß das, was er für das Spiegelbild seines
Gesichts in der Fensterscheibe gehalten hatte, ein anderes Gesicht
war, das ihn von innen verwundert anstarrte. Es war ein sehr altes Gesicht,
das ihm unnormal blaß vorkam, doch er brachte nicht heraus, ob es ein Mann
oder eine Frau war und ging ganz beschämt weg. - Georges Simenon,
Ankunft Allerheiligen. Zürich 1979 (detebe 135/14, zuerst 1941)
Spiegelbild (8)
-
Peter
Lorre
in: Fritz Lang, M - eine Stadt sucht einen Mörder (1931)
Spiegelbild (9) Sie standen um
jenes Wasserloch und teilten, von ihm ausgehend, das Land auf. 'Brennen' erhielt
den waldreichen Norden, beziehungsweise Nordosten, 'Wind', die Ebene im Südwesten,
'Fisch' das Seengebiet des Südwestens und 'Gehen' schließlich das Weinland im
Nordwesten. Nach dieser Aufteilung, berichtet die Sage, reichten sich die Gründerväter
des Reiches quer über das Wasser die Hände zu einem Rad, um sich wieder zu trennen.
Dabei soll einer, der Sage nach Eg, mit dem Fuß in das Wasser getreten sein,
das man kurz zuvor zu einer heiligen Stätte erklärt hatte. Eg schrie: 'Ich habe
Gottes Antlitz getreten!' Und als die drei anderen nach ihm ins Wasser schauten,
sahen sie, wie sich die Oberfläche ruhig zu kleinen Wellen kräuselte und dieses
Kräuseln kein Ende nahm und wie sich die vier Gesichter, die sich im Wasser
spiegelten, miteinander vermischten und zu einer neuen, abscheulichen Fratze
zusammenflossen. - Klaus Hoffer, Bei den Bieresch. Frankfurt
am Main 1986 (zuerst 1979/1983)
Spiegelbild (10) Mit großer Willensanstrengung riß er sich zusammen, nahm seine Waffe auf und ging weiter, wobei er sich laut einen Idioten nannte. Als er an einer Lichtung vorbeikam, die sich zum Mittelpunkt des kleinen Dickichts hinzog, schaute er auf, und dort, auf dem Rücken liegend, die Arme weit ausgebreitet, die graue Uniform von einem einzigen Blutfleck auf der Brust befleckt, das weiße Gesicht weit nach oben und rückwärts gedreht, lag das Spiegelbild seiner selbst — der Körper von John Grayrock, getötet durch eine Schußwunde, aber noch warm! Grayrock hatte seinen Mann gefunden.
Als der unglückliche Soldat neben diesem Meisterstück des Bürgerkrieges niederkniete, brach die singende Spottdrossel oben auf dem Zweig über ihm ihr Lied ab und glitt, von der Röte des Sonnenuntergangs wie in einen Glorienschein gehüllt, schweigend durch die feierlichen Räume des Waldes davon. -
Beim Appell an jenem Abend im Lager der Föderierten ertönte beim Aufruf des
Namens William Grayrock keine Antwort, und auch niemals später mehr. - Ambrose Bierce, Die
Spottdrossel. In:
A.B., Der Gnadenstoß. Reinbek bei Hamburg 1965 (rk 184)
Spiegelbild (11)
Der Künstler, ein Aktmodell vor dem Spiegel zeichnend
- Egon Schiele, nach: Walter Koschatzky,
Die Kunst der Zeichnung. Technik, Geschichte, Meisterwerke. München 1981 (dtv
30741, zuerst 1977)
Spiegelbild (12) Neulich stand
ich in einem Saal, in dem ein mildtätiger Mann der Stadt ab und zu Bedürftige
versammelt, um Geld und andere Gaben an sie zu verteilen. In diesem Saal hing
ein großer Spiegel, und ich ging auf ihn zu, um mich zu betrachten, denn ich
hatte mich lange nicht mehr im Spiegel gesehen: ich war so zerlumpt und verdreckt,
daß ich lachen mußte, denn man muß aus allem seinen Vorteil ziehen. Ich betrachtete
mich, wie man ein Bild betrachtet, und ich sah meinem Gesicht an, daß ich mein
Geld hatte durchbringen müssen, es war auch nicht die Spur von kluger Vorsicht
darin zu entdecken und kein Zug, der darauf hoffen ließ, daß es sie eines Tages
geben würde; es war das echte Porträt des sorglosen Menschen, der sich sagt:
Ich habe nichts? was kümmert mich das! - Das ist also der Mensch, der mein ganzes
Vermögen durchgebracht hat, sagte ich, während ich mich meinem Gesicht näherte,
der Liederjan, dessentwegen ich jetzt Lumpen trage, und der sich nichts daraus
macht; seht ihr den Schelm? alles, was er getan hat, würde er wieder tun.
-
(mariv)
Spiegelbild (13) Grabesstille. Nur ich, eine unsterbliche Maus, ein einsamer Wiedergängcr, raschle in diesem toten Zimmer, laufe ohne Ende auf dem Tisch, den Regalen und den Sesseln herum. Ich bewege mich, ähnlich der Tante Tekla, in einem langen grauen Rock bis auf den Boden, behende, rasch und klein, ein raschelndes Schwänzchen hinter mir herschleppend. Ich sitze jetzt am hellichten Tag regungslos wie ausgestopft am Tisch, meine Augen, zwei schwarze Glasperlen, stehen vor und glänzen. Nur die Spitze des Mäulchens pulsiert kaum wahrnehmbar und knabbert zierlich aus Gewohnheit.
Das ist natürlich metaphorisch zu verstehen. Ich bin ein pensionierter
Beamter und keine Maus. Es gehört aber zur Eigenart meiner Existenz, daß ich
in Metaphern schmarotze und mich so leicht von der erstbesten Metapher hinreißen
lasse. Wenn ich so in Schwung gekommen bin und mich verrannt habe, muß ich mich
erst mühevoll zur Umkehr zwingen und langsam wieder zur Besinnung kommen. Wie
ich ausschaue? Manchmal sehe ich mich im Spiegel. Eine wunderliche, lächerliche
und schmerzliche Sache! Eine Schande, es zu gestehen. Ich sehe mich niemals
en face, von Angesicht zu Angesicht, sondern ein wenig tiefer, ein wenig weiter
stehe ich dort in der Tiefe des Spiegels, ein wenig von der Seite, ein wenig
im Profil stehe ich nachdenklich da und blicke zur Seite. Ich stehe regungslos
und blicke zur Seite, etwas nach hinten und hinter mich. Unsere Blicke
haben aufgehört, sich zu begegnen. Wenn ich mich rühre, rührt auch er sich,
doch halb nach hinten gewandt, als wüßte er nichts von mir, als wäre er hinter
zu viele Spiegel gegangen und könnte jetzt nicht mehr zurück. - (
bs
)
Spiegelbild (14) P'u Sung-Lings
Höllen erinnern an die von Quevedo: glanzlose Behördenhöllen.
Seine Gerichtshöfe und -diener, seine Richter und Schreiber sind nicht minder
käuflich und bürokratisch als ihre irdischen Vorbilder an jedem Ort in jedem
Jahrhundert. Der Leser sollte im Auge behalten, daß die Chinesen mit ihrem Hang
zum Aberglauben diese Geschichten als reale Tatsachenberichte lesen, weil ja
für ihre Vorstellung, wie die Geheimlehrer es formulieren, die obere Ordnung
ein Spiegelbild der niederen ist. - J.L. Borges, Vorwort zu: P'u Sung-Ling,
Gast Tiger. Stuttgart 1984 (Die Bibliothek von Babel 21)
Spiegelbild (15) Als ob
im Innenraum des Fahrzeugs ein eigenständiges, von dem der unbeweglichen Außenwelt
verschiedenes Kontinuum herrschte, andere Zusammenhänge von Raum und Zeit, welche
von den wirklichen Zusammenhängen, jenseits der Busfenster, nicht beeinflußt
wurden. Und dennoch war es, als blicke er von außen zu sich herein ... in der
seinen Kopf widerspiegelnden Scheibe sah er seine Stirn unter einem Bausch von
schmutzgelben Haaren nach hinten fliehen, während ihm der untere Gesichtsteil
hervorsprang, geschwollen, gewachsen offenbar, vielleicht gedunsen in der auf
ihn einstürmenden Kälte, und von einer Härte, vor der er erschrak. Die Kinnbacken
waren wie versteinert, die kaum zu schließenden Lippen legten einen makellosen
Streifen breit herausdrängender Zähne frei: als ob dieses Gesicht sich in schrecklicher
Anstrengung gestrafft habe, ohne dabei seine tief eingekerbten Falten zu verlieren.
Die kleinen Augen drehten ab aus dem Fenster ... dennoch glaubte er ihr angespanntes
Interesse von der Seite her weiter zu spüren. -
Wolfgang Hilbig: Er, nicht ich. In: W.H., Grünes grünes Grab. Frankfurt am Main
1993
Spiegelbild (16)
Spiegelbild (17)
Spiegelbild (18)