Rechte und Pflichten   Die Idee vom Recht steht in Wechselbeziehung zu der von der Pflicht, ohne die sie nicht bestehen könnte, und als solche (noch dazu absolut gesetzt) ist es eine absurde Idee. Schon Berdjajew sagte, daß eine auf Rechten gegründete Gesellschaft schwer vorstellbar sei, wobei er vielleicht meinte, daß es besser wäre, sie statt dessen auf Pflichten zu gründen: als ob einer der beiden Begriffe notwendig und unvermeidlich wäre. Aber weder auf Rechte noch auf Pflichten kann eine Gesellschaft oder was auch immer gegründet sein, sondern auf irgend etwas anderes. Ist denn nicht die Moral die höchste menschliche Errungenschaft? Sie mag es vielleicht sein, aber die Rechte und die Pflichten sind eher ihre äußersten, demonstrativen und dogmatischen Zuspitzungen als ihre notwendigen Realisationen: In Ermangelung von etwas Besserem und um sich die Mühe der Nachforschung zu erleichtern, wird die Moral als durch Pflichten zum Ausdruck gebracht dargestellt (und folglich auch durch Rechte, gemäß der üblichen Dialektik oder Symmetrie); und um auf diese bloße Arbeitshypothese etwas mutmaßlich Dauerhaftes zu gründen, bedurfte es eines der vielen Mißverständnisse, die man uns zwischen die Beine geworfen hat, als ob der Weg nicht auch so schon beschwerlich genug wäre. Was dieses andere oder Bessere sein sollte, wüßte ich, das sei klar gesagt, nicht anzugeben; und ich weiß auch nicht, ob eine Gesellschaft auf etwas anderes gegründet sein könnte als auf die Moral. Ich beschränke mich darauf, noch einmal zu behaupten, daß Rechte und Pflichten nicht notwendigerweise Begriffe der Moral sind; daß das ihnen innewohnende Kriterium keinerlei Vorteil gegenüber anderen möglichen zu haben scheint wie etwa einem ästhetischen Kriterium oder einem kleinkariert utilitaris tischen (obgleich alle provisorisch); daß die Moral, zu Moralismus oder Sittlichkeit verkommen, das heißt repräsentiert in Rechten und Pflichten (welche manche als für praktische Ziele unerläßlich halten), sogar noch das Merkmal ihres Ursprungs verliert und unausweichlich in einen neuen Dschungel führt; daß sich, generell, der Gesetzesbegriff selbst, so bequem und stützend er unter bestimmten Umständen auch sein mag, als unzulänglich und geradezu ungeheuerlich erweist, sobald man versucht, das Joch der Kontingenz abzuschütteln. Es wäre Aufgabe der Moral, wie jedweder anderen noblen Sache, auf einen solch schimpflichen Notbehelf (das Gesetz) zu verzichten. Einstweilen können wir die schlimmsten Auswirkungen einer solchen Konzeption konstatieren. Als winziges Beispiel: Es gibt nichts Liebenswerteres als das Volk und nichts Verdienstvolleres - vorausgesetzt, daß man es nicht glauben (oder man sage ruhig: verstehen) läßt, Rechte zu haben. Offensichtlich böte das Gesetz des Dschungels einigen Vorteil gegenüber der Rechtekollision, denn schließlich ist der Schrecken das beste Beruhigungsmittel ... (So verkürzt dahingesagt und ohne Rücksicht auf logische Übergänge nimmt das den üblichen Aspekt von Albernheit an.)

Es ist freilich zu bedenken, daß Gesetz und Gewissen anscheinend nicht aufeinander verzichten können. Soll man daher die Gewissenlosigkeit predigen? Warum eigentlich nicht? Das Gewissen taugt für wenige, nicht für alle. Das heißt nicht, daß es für niemanden tauge: Es ist ein schreckliches Abenteuer für eine Minderheit, genau in Relation zu der Tatsache, daß es für die Mehrheit alles andere als ein Abenteuer ist. Die Göttin Abenteuer wird von der Mehrheit zur schmutzigen Gewißheit erniedrigt: zu Wissen, Kraft, sogar zu staatlichen Ämtern und Altersrenten. Man sollte der Mehrheit den Zugang zu ihrem Tempel verbieten.

Die Vermischung oder Gleichsetzung von Rechten und Pflichten, die man auch als wertvolle Errungenschaft der heutigen Demokratien betrachten könnte, scheint in Wirklichkeit nicht mehr als ein selbst in seinen minderen Auswirkungen gefährliches Durcheinander, auf das hier einzugehen ich keine Lust habe. Aber wieso z. B. verpflichtet man das Volk zur Ausübung eines seiner Rechte, wie es unter anderem bei den Wahlen der Brauch ist? Weil, wird man antworten, weil. . . Zum Teufel, man weiß, was man antworten wird; aber Zwang zu Rechten und Pflichten oder Zwang zu Pflicht-Rechten, das ist ein und dasselbe. Was für eine freie Gesellschaft, was für ein Fortschritt! Ist da nicht der Naturzustand besser? Was für ein Netz von Schikanen für einen freien Geist, was für eine Kette von Verbrechen, die wie immer eines aus dem anderen erwachsen, zwangsläufig. Und doch ist nur der Mensch frei, der kann . . .

Es war keineswegs dieses sinnlose Geschwätz, was ich schreiben wollte, aber inzwischen habe ich meine morgendliche Energiedosis aufgebraucht.   - (land3)

Gesellschaft

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