echte,
wohlerworbene
Anno 55, ich traf sie bei Moser, Ölheizungen, im Vorzimmer, da
diente sie Fräulein Bruhns, einem Denkmal für die Unbekannte Sekretärin, da
sah sie, was dem Frauenfleisch blüht im Büro: Froschfigur, Roquefort-Teint,
Papierhaut, Linealmund, vergiftetes, giftiges Anstandstabellenmushirn, das will
sie nicht, also schaut sie so lange jedem Kunden zu lange ins Gesicht, bis sie
einen hat, Schrott-Fränkel, der sie in den Bienenstock einweist, das musterhafte
Hochhaus für die Geliebten, sie kriegt den Sportwagen, die Reitstunden, läßt
aus der DDR die Familie nachkommen, versorgt Bruder, Schwester, Vetter und Onkel
in Schrott-Frankels Sphäre, aber sie darf nicht mit zum Opernball, auch an Ostern
spaziert Schrott-Fränkel notgedrungen mit seiner Familie im Feuerbacher Tal,
und in die Alte Kanzlei nimmt er sie auch nicht mit, also was soll's? beim nächsten
Opernball erscheint sie mit Getreide-Göbel, Schrott-Fränkel zittert, reißt Frau
und Tochter mit hinaus, fordert seine Eigentums-Pschygode von Göbel zurück,
Göbel, sechzehn Jahre jünger, behauptet, die Pschygode sei ein Mensch, dürfe
also selber entscheiden, und sie entscheidet: falls es ihr unter Göbel nicht
mehr gefalle, oder aber Fränkel sich besser benehme, das heißt, sie auch an
Ostern besuche und nicht bloß besuche, sondern auch ausführe, und zwar bis in
die Alte Kanzlei, und sie beim Opernball vorzeige und in der Zirbelstube des
Schloßgartenhotels, dann, sagt sie, sei sie wieder die Seine, wie aber, fragt
Schrott-Fränkel, soll das gehen? wenn ihm an ihr liege, so schaffe er das, sagt
sie und führt ihn zur Tür und öffnet noch auf dem Weg ein wenig die Bluse, aber
nicht für ihn, und das macht ihn elend, siebenundfünfzig ist er, soll das das
Ende sein? die Zuhause haben nichts zu lachen. Jedes Mal, wenn er von den Bittgängen
zurückkommt, kann er denen Zuhause besser widerstehen. Man darf sagen, die Pschygode
schmiedet ihn meisterhaft, sie ist eine geduldige, große Schmiedekünstlerin,
nichts reißt, nichts verglüht, sie kriegt ihn hin. Er wird so unerträglich für
die Familie, daß Frau Schrott-Fränkel angelaufen kommt und die Pschygode bittet,
die Bedingungen zu nennen, und die nennt ihr jede Bedingung: Opernball, Alte
Kanzlei, Zirbelstube, dreimal im Jahr zur Party in Schrott-Frankels Villa. Die
Bedingungen werden angenommen, Schrott-Fränkel darf wieder kommen, die Pschygode
darf sich endlich sonnen, es heißt, sie präpariere ihn zur Zeit für eine Scheidung,
obwohl sie noch nicht sicher sei, ob sie ihn heiraten werde, schließlich wolle
sie ihre Rechte nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
- Martin Walser, Das Einhorn. Frankfurt am Main
1966
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