aumentzug  Ich litt in meiner Metropole — und mir kam vor, in New York oder gar in Rom wäre das noch ärger gewesen - zunehmend an etwas, das mich schon in der Jugend, seit der Internatszeit, bedrohte: An Ortsschwund, oder Raumentzug. (Der Prophet von Porchefontaine, ursprünglich, bevor er, von Vorort zu Vorort bankrottierend, Gastwirt wurde, gelernter Philosoph, hat dafür das Wort »Entdinglichung«.) Und mein Leiden wurde auch nicht gut bei gleichwelchen Landaufenthalten, in den entlegensten Dörfern, die mir doch von Kind an hätten vertraut sein müssen.

Jene Vorstädte dafür, so krank sie vielleicht selber waren, wurden etwas wie mein Arzt. Ich brauchte sie, dringend, notwendig. »Dumpf im Kopf« ist für mich »übel«. Und es kam mit der Zeit vor, daß mir in Paris, sogar dort nah am Rand, so dumpf und so übel wurde, daß ich nichts wollte als nur hinaus. Ich erlebte mich eingesperrt und ausgesperrt in einem. Die Geräusche, die auch mein Sohn, dem ich sonst aufs Wort glaubte, ruhiger und gleichmäßiger fand als in den Kleinstädten, umzingelten mich inzwischen, ebenso wie ich die Geräuschlosigkeit der tiefen Nachtstunden eher als eine Einkesselung fühlte. Manchmal, auf meinem Weg hinaus in die Vorstädte, fing ich unvermittelt zu laufen, zu rennen an, wie auf der Flucht, wobei ich mich beschimpfte, voller Zorn, daß ich nicht schon viel früher aufgebrochen sei, und breitete, drüben in der Leere angekommen, allen Ernstes die Arme aus. Mehr als nur einmal kamen mir da sogar die Tränen, wie wenn ein Schmerz plötzlich geheilt wird, oder nein, sich umwandelt in einen erträglichen, einen süßen. - Peter Handke, Mein Jahr in der Niemandsbucht. Frankfurt am Main 1994

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