eere   Man hörte nichts mehr. Sämtliche Geräusche waren verstummt. Selbst die ganz kleinen unscheinbaren Bewegungen am Rand waren zur Ruhe gekommen, dieses Flimmern, ein dünnes Zittern, nichts, das Bild stand fest, zur Ruhe gekommen. Die feinen weißen Partikelchen, die eine Zeitlang noch gleichmäßig langsam niedergefallen waren, deckten alles zu, und da gab es jetzt nur noch diese helle, körperlose Leere, gleichmäßig glatt, eben, als habe man die Augen geschlossen. Die Leere nahm zu, der Raum ein Loch, das so in sich selbst zurückging, bis nichts mehr übrigblieb. Alles war wieder gut, konnte man sagen, und man sagte das auch. Es ist nichts, ganz einfach, nichts. Man kann auskommen, überhaupt, nun, wie sie dalag, flach ausgebreitet, auf dem Rücken, auf dem Bauch als eine weiße, plattgedrückte Fläche, die er meinte, wenn er darüber redete, und die es dennoch nicht mehr genau war. Was aber machte den Unterschied aus? Trockene Frau, nasse Frau, sagte Gerald, trockene Frauen sind besser als nasse Frauen. Wenn ich mir vorstelle, überall, bei jeder einfach was reinhängen zu lassen, nein, nicht gut. Reintun kann jeder. Was bist du denn? Also hör auf zu reden, mach was, tu was. Aber das ist schon kein Tun mehr. Es ist im Grunde nichts, und die Schwierigkeiten, wenn es Schwierigkeiten sind, sind nichts anderes, keine Schwierigkeiten, keine Probleme. Was soll auch schon sein? Nichts. Aber wenn er sie zum Beispiel so nicht mehr wollte, wie sie war, dann kam er davon nicht los. Verrückt, wußte er. Dabei kam es ihm so zufällig vor, daß sie es war, die er wollte. Haben. Irgendwie. Wobei sie doch genausogut auch jemand anderes hätte sein können. Ganz anders, stellte er sich vor, während er sich anstrengte in der Einbildung, bereits ganz nahe daran zu sein, sie als etwas anderes zu bekommen, schon längst nicht mehr zärtlich, zärtlich erregt, jetzt schwitzend und verkrampft. Das Gefühl, sie vielleicht auch diesmal wieder nicht ganz bekommen, trieb ihn an weiterzumachen, als ob in jedem Augenblick die Vorstellung umkippen könnte und es tatsächlich dann so wäre, ganz einfach. Was sie dachte, wußte er nicht. - (brink)

Leere (2)

Aber es ist nicht alles gedrängt voll Körpermaterie
Allerseits. Denn es gibt noch im Innern der Dinge das Leere.
Dies ist zu wissen für dich in vielen Beziehungen nützlich;
Denn es läßt dich nicht schwanken und ratlos immerdar grübeln
Über das Ganze der Welt, statt unserem Wort zu vertrauen.
Also es gibt ein leeres, ein fühllos, stoffloses Wesen.
Wäre das Leere nicht da, dann könnt' auf keinerlei Weise
Irgend ein Ding sich bewegen. Denn Widerstand zu entwickeln,
Das ist des Körpers Amt; dies würde beständig in allen Dingen sich zeigen.
Es könnte mithin nichts weiterhin vorgehn;
Denn nichts wollte zuerst Platz machen für andere Wesen.
Aber wir sehen doch jetzt vor den Augen sich vielerlei regen
Und in verschiedenster Art sich durch Länder und Meere bewegen
Wie an dem Himmelsgewölbe. Doch fehlte nun etwa das Leere,
Würde sich nicht nur nichts in reger Bewegung befinden,
Sondern es fehlte durchaus auch die Möglichkeit jeder Erzeugung,
Da sich der rings aufhäufende Stoff nicht zu rühren vermöchte.

- (luk)

Leere (3)   Es gibt noch eine andere Geldgier von besonderer Grausamkeit; sie scheut sich nicht vor Verleumdungen, Erbschleicherei und Betrügerei; sie schämt sich nicht, vorwitzig nachzurechnen, wieviel Freunde noch leben. Und wenn sie die Schätze aus aller Welt zusammengerafft hat, versteht sie es nicht, sich ihrem Genuß hinzugeben. Wie man Schlangen, Käfer und Spinnen mehr haßt als Löwen und Bären, weil sie die Menschen nur töten und verderben, ohne ihre Beute zu verzehren, so verdient schmutzige, filzige Geldgier mehr Haß als verschwenderisches Genießen. Der Geizige stiehlt seinem Mitmenschen, was er selbst seinem Wesen nach nicht imstande ist zu genießen. Der Verschwender läßt aber doch Waffenruhe eintreten, wenn er zu Überfluß und Reichtum gelangt ist, wie Demosthenes einigen Athenern erklärte, die meinten, Demades habe seine Bosheiten eingestellt: »Ja, jetzt ist er satt wie die Löwen.« Wer aber nicht aus innerer Neigung oder aus Pflichtgefühl sich müht, bei dem kennt die Habgier keine Waffenruhe und keinen Stillstand, denn solche Menschen sind leer und gieren nach allem. - (plu)

Leere (4) Der Kommissar hatte den Eindruck, als er ihn so vor sich sah, daß dies ein Mann war, den man seiner ganzen Substanz entleert, dem man innerlich die Haut abgezogen hatte. Er ging auf und ab, trank, sprach wie ein gewöhnlicher Mensch, aber im Innern war nichts mehr vorhanden, nur noch der Verstand arbeitete weiter, dank der Willenskraft, die in ihm war. Ähnlich sollen die Köpfe von manchen Enthaupteten nach der Hinrichtung noch minutenlang die Lippen bewegen. - Georges Simenon, Maigret nimmt Urlaub. München 1973 (Heyne Simenon-Kriminalromane 17, zuerst 1947)

Leere (5)   Vers 2: Und die Erde war eine Leere und Öde; und Finsternis auf den Angesichten des Abgrundes, und der Geist Gottes schwebend über die Angesichte der Wasser.

Der Mensch vor der Wiedergeburt wird genannt eine leere und öde Erde, auch ein Land, dem nichts Gutes und Wahres eingesät ist. Leer ist, wo nichts Gutes, und öde, wo nichts Wahres ist, daher Finsternis, d.h. Stumpfsinn und Unwissenheit in allem, was zum Glauben an den Herrn und somit zum geistigen und himmlischen Leben gehört; ein solcher Mensch wird beschrieben vom Herrn durch Jerem.4/22,23,25: "Dumm ist Mein Volk, Mich kennen sie nicht; törichte Söhne sind sie, und nicht verständig, weise zum Böses tun, und Gutes zu tun wissen sie nicht; Ich sah hin zur Erde, und siehe, eine Leere und Öde, und zu den Himmel auf, und kein Licht derselben".

Die Angesichte des Abgrundes sind seine Begierden und die Falschheiten aus diesen, aus denen und in denen er leibt und lebt. Weil er kein Licht hat, so ist er wie ein Abgrund oder eine dunkle verworrene Masse. Solche heißen auch hin und wieder im Worte Abgründe und Meerestiefen, die ausgetrocknet oder abgeödet werden, ehe der Mensch wiedergeboren wird, wie bei

Jes.51/9-11: "Wache auf wie in den Tagen des Altertums, in den Geschlechtern der Ewigkeiten; bist nicht Du es, Der austrocknet das Meer, die Wasser des großen Abgrundes, Der setzt die Tiefen des Meeres zu einem Wege, daß hinübergehen möchten die Erlösten; die Erlösten Jehovahs mögen zurückkehren". Ein solcher Mensch, wenn er aus dem Himmel angesehen wird, erscheint auch wie eine schwarze, leblose Masse. Dieselben Worte schließen im allgemeinen in sich die Abödung des Menschen, wovon bei den Propheten mehreres. Dieselbe geht der Wiedergeburt voraus, denn ehe der Mensch das Wahre wissen und vom Guten angeregt werden kann, ist zu entfernen, was hindert und was widerstreitet. So muß der alte Mensch sterben, ehe denn ein neuer empfangen werden kann.

Unter Geist Gottes wird verstanden die Barmherzigkeit des Herrn, von welcher ausgesagt wird, sie schwebe, wie die Henne pflegt über die Eier hin, hier über das, was der Herr beim Menschen verbirgt, und hin und wieder im Wort Überreste genannt wird. Es sind Erkenntnisse des Wahren und Guten, die nicht ans Licht oder an den Tag kommen, ehe das Äußere abgeödet ist. Diese Erkenntnisse werden hier genannt Angesichte der Wasser. - Swedenborg

Leere (6)  Du fragtest mich einmal lachend, ob ich jemals den Traum von der großen Leere hatte. Ich bejahte Dir das, und ich habe ihn seitdem wieder geträumt.

Er wird vielleicht durch eine zufällige Lage des schlafenden Körpers hervorgerufen, oder auch durch irgendeine Verdauungsbeschwerde oder andere Störung in uns. Aber das Grauen im Geist ist darum nicht weniger wirklich. Dieser Traum ist nicht, wie ich einst dachte, ein Bild des Todes und das Grinsen des Totenschädels. Er ist ein Zustand, worin man das Ende aller Dinge erahnt. Dieses Nichts stellt sich uns jedoch nicht als eine Leere und Stille dar, sondern als das entlarvte völlig Böse. Es ist Hohn und Drohung zugleich. Es verwandelt alle Wonnen ins Lächerliche und versehrt und verdorrt alles Streben. Dieser Traum ist das Gegenstück zu jener andern Vision, die mir im Krampf meiner Krankheit kommt. Da scheine ich die schöne Harmonie der Welt zu erfassen. Ich bin von unaussprechlichem Glück und Zuversicht erfüllt. Ich möchte allen Lebenden und Toten zurufen, daß es keinen Teil des Weltalles gibt, der unberührt bleibt von dieser Seligkeit.

[Die Eintragung ist auf griechisch fortgesetzt.]

Beide Zustände entstehn aus Dünsten im Körper, doch von beiden sagt der Geist: Hinfort kenne ich dies. Sie können nicht leichthin als Einbildungen abgetan werden. Jedem der beiden bringt unser Gedächtnis gar viele freudige und gar viele schmerzliche Bestätigungen. Wir können den einen nicht leugnen, ohne den andern zu verleugnen.   - Caesar an Lucius Mamilius Turrinus, nach Thornton Wilder: Die Iden de März (1945), nach (bo4)

Leere (6)   Wenn man sie mit ihren Kleidern am Leib betrachtet, stellt man sich alles mögliche vor: man verleiht ihnen so etwas wie eine Individualität, die sie natürlich nicht haben. Es ist ganz einfach ein Spalt da zwischen den Beinen, und man gerät darüber ganz in Hitze - man schaut sie die halbe Zeit nicht einmal an. Man weiß, sie ist dort, und denkt nur an das eine, seinen Ladestock hineinzubringen; es ist, als ob der Penis das Denken für einen besorgte. Es ist eine Illusion! Man gerät in Feuer über nichts... über einen Spalt mit Haaren drumherum oder ohne Haar. Sie ist so vollkommen bedeutungslos, daß ich nicht aufhören konnte, sie anzuschauen. Ich muß sie zehn Minuten oder länger studiert haben. Wenn man sie in dieser Weise, gleichsam losgelöst, betrachtet, kommen einem komische Gedanken. Dieses ganze Geheimnis um den Sexus, bis man schließlich entdeckt, daß es nichts ist - nur eben eine Leere. Wäre es nicht ulkig, wenn man eine Harmonika darin fände, oder einen Kalender? Aber nichts ist da - einfach nichts.   - (krebs)

Leere (7)

Leere (8) Die Tatsache, dass Wasser trotz seines Gewichts durch eine Pumpe hochgesaugt wird, erklärte man nach Aristoteles durch den Abscheu der Natur vor der Leere, den horror vacui. Als Brunnenmacher in Florenz feststellten, dass im Saugrohr einer Pumpe das Wasser nie höher als zehn Meter steigt, soll Galilei den Lehrsatz des Aristoteles mit den Worten verteidigt haben, die Abscheu vor der Leere habe eben auch ihre Grenzen. Galileis Schüler Torricelli fand dann die heute gültige Erklärung im Luftdruck. Hält man die Torricellische Röhre, die mit Quecksilber gefüllt ist und ein offenes oberes Ende besitzt, in ein Wasserbad, sinkt das Quecksilber auf eine Höhe von 76 Zentimetern ab, darüber befindet sich die Torricellische Leere. Eine Leere benannt zu wissen, beruhigt den Nervenkranken, der den horror vacui täglich am eigenen Leib verspürt. Für einen Moment kann er den Blick von diesem bedrohlichen Urprinzip der Welt abziehen, auf sich selbst lenken und versuchen, die Torricellische Leere in seinem Körper zu lokalisieren.  - (raf)

Leere (9) Was wir uns als «leeren» Raum vorstellen, kann nicht völlig leer sein, weil dann alle Felder, also etwa das elektromagnetische und das Gravitationsfeld, exakt gleich Null sein müßten. Doch mit dem Wert eines Feldes und seiner zeitlichen Veränderung verhält es sich wie mit der Position und Geschwindigkeit eines Teilchens. Aus der Unschärferelation folgt: Je genauer man eine dieser Großen kennt, um so weniger kann man über die andere aussagen. Deshalb kann das Feld im leeren Raum nicht genau Null sein, weil es dann einen exakten Wert (Null) und eine exakte Veränderungsrate (ebenfalls Null) hätte. Es muß ein bestimmtes Mindestmaß an Ungewißheit oder Quantenfluktuationen im Wert des Feldes bleiben. Man kann sich diese Fluktuationen als Teilchenpaare des Lichts oder der Gravitation vorstellen, die irgendwann zusammen erscheinen, sich trennen, abermals zusammenkommen und sich gegenseitig vernichten. -  Stephen Hawking, Eine kurze Geschichte der Zeit. Reinbek bei Hamburg 1991 (zuerst 1988)

Leere (10) In einem eher physikalisch-philosophischen Sinne definiert man Vakuum oder Leere gerne als das, was in einem Behälter übrig bleibt, wenn man alles daraus entfernt hat, was sich daraus entfernen lässt. Diese Definition klingt einigermaßen praktisch, aber in Wirklichkeit ist sie theoretisch, denn es ist unmöglich, sämtliche Moleküle und jegliche elektromagnetische Strahlung aus einem Behälter zu entfernen. Weil es praktisch unmöglich ist, ein vollkommenes Vakuum oder absolute Leere herzustellen, kann man allenfalls im Konjunktiv sagen: Das absolute Vakuum wäre das, was übrig bliebe, wenn man alles daraus entfernte. Aber was fällt unter dieses »alles«. Fällt zum Beispiel auch der Raum darunter, so dass ein absolutes Vakuum gleichsam der leere Raum abzüglich des Raumes wäre? Man ahnt, dass die Antwort auf diese Frage davon abhängt, ob man sie im Rahmen der RELATIVITÄTSTHEORIE oder im Rahmen der QUANTENPHYSIK abhandelt, die sich nicht mit derselben Art von Entitäten befassen. Jeder Zweig der Physik versieht sein Vakuum mit einer anderen Auswahl notwendiger Eigenschaften, so dass es im einen Fall dem Raum ähnelt und im anderen einem energetischen Fluidum. Generell lässt sich das absolute Vakuum jeweils nur auf Basis jener Objekte - und als Antithese zu jenen Objekten - definieren, denen man eine Existenz zuspricht.

Stellen wir uns einmal vor, man versuchte, aus einem Behälter sämtliche Teilchen zu entfernen, um darin ein vollkommenes Vakuum zu erzeugen. Das erscheint gar nicht so schwierig, ist aber unmöglich, weil unter diesen Umständen spontan neue, von der Quantenphysik als virtuell eingestufte Teilchen entstehen würden (siehe QUANTENPHYSIK). Auf diesem Wege lässt sich also kein absolutes Vakuum herstellen. Eine ganz ähnliche Frage, von der bereits die Rede war, stellt Einsteins Relativitätstheorie: Gehört auch der Raum zu dem, was entfernt werden müsste? Das läuft letztlich auf die Frage hinaus, ob der Raum ein physikalisches Objekt ist. Lässt der Raum sich eindeutig von dem trennen, was er enthält?  - (thes)

Nichts Raumlosigkeit
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Verwandte Begriffe
BodenlosigkeitRaumlosigkeit
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