Der Kontext dieser Stelle und der Vergleich mit den Orchideen verrät, daß
- ebenso wie diese - die Quallen als Zwitterwesen
das Geheimnis der männlichen Homosexualität verkörpern, das sich dem Erzähler
soeben in Charlus und Jupien offenbart hat und dem
er mit einem ähnlichen Gemisch aus Faszination und Ekel begegnet wie den Quallen
in Balbec. Ein treffendes, abgerundetes und eher harmloses Bild, das in der
zugleich formlos-fremden, erschreckenden und schönen Qualle noch einmal die
zwiespältige Reaktion des sowohl instinktiv zurückschreckenden als auch interessierten
Erzählers zusammenfaßt, seinem Blick dabei aber auch einen betont distanzierten,
naturwissenschaftlichen Charakter verleiht, der ihn und den Leser vor jedem
unmittelbaren oder gar identifikatorischen Kontakt mit der Homosexualität
absichert. - Ulrike
Sprenger, Proust-ABC. Leipzig 1997
Qualle (2) Weit, weit in Polen, am Ufer des Dnjepr sitzt ein kleines Mädchen und weint. Von Kattun sind ihre Kleider, sie verlor die Eltern leider. Weit, weit in Polen, am Ufer des Dnjepr da bin ich zuhaus. Kapitän Ahab geht vorüber und wirft ihr eine grosse Qualle in den Schoss. Mit kleinen, ungeduldigen Fingern zerteilt sie die Qualle in viele kleine Quallen. Als es dunkel wird, wirft sie die Quallen ins mehr, wo sie sich wieder zu einer großen Qualle vereinigen. Die schwimmt fort, in den Ozean hinaus.
Dort lebt Ahab auf einem morschen Schiffswrack. Er hat sich eine Robbe zur
Frau genommen. Die Robbe schenkt ihm eine Menge weisser Wale, klein und fein.
Ahab hasst seine Kinder abgründig. Unter dem Meer schwimmt eine gläserne Orgel,
darauf bläst der Wind wie die Trompeten von Jericho. Die Fische kommen von allen
Seiten herbeigeschwommen und glotzen zu den Kirchenfenstern herein. Der tote
Prediger schwingt das Kreuz aus Walfischknochen geschnitzt und singt laut das
Lob von Jonathan im Bauche des Wal. - Unica Zürn, Der Hinterhalt.
In: U. Z., Das Weiße mit dem roten Punkt. Texte und Zeichnungen. Frankfurt am Main - Berlin
1988
|
||
|
||