ondpilz    Das Zeug sah tatsächlich so aus, als könnte man hineinbeißen. Ich fand, daß es eigentlich recht angenehm roch.

Ich nahm ein Stück in die Hand und hielt es mir unter die Nase.

«Cavor», sagte ich ein wenig rauh.

Er sah mich mit gefurchtem Gesicht an. «Tun Sie's nicht», warnte er. Ich ließ das Stück fallen, und wir krochen eine Weile durch diese verführerische Vegetation weiter.

«Cavor», fragte ich, «warum eigentlich nicht?»

«Gift», hörte ich ihn sagen, aber er sah mich nicht an.

Wieder krochen wir eine Weile, bis ich mich entschlossen hatte.

«Ich wage es», sagte ich.

Er machte eine Bewegung, um mich daran zu hindern, aber zu spät. Ich stopfte mir den Mund voll. Er kauerte nieder und beobachtete mein Gesicht, sein eigenes von einem seltsamen Ausdruck zerrissen. «Das schmeckt», erklärte ich.

«O mein Gott!» rief er aus.

Er beobachtete mich beim Kauen, sein Gesicht vor Verlangen und Mißbilligung gefurcht. Plötzlich jedoch erlag er selber seinem Appetit und begann riesige Bissen zu nehmen. Eine Zeitlang taten wir nichts anderes als essen. Das Zeug schmeckte ähnlich wie auf der Erde ein Pilz, nur war die Beschaffenheit sehr viel lockerer, und beim Schlucken wurde es einem warm in der Kehle. Zunächst empfanden wir beim Essen eine rein animalische Befriedigung. Dann begann unser Blut wärmer durch unsere Adern zu pulsen, und es prickelte in unseren Fingerspitzen und Lippen, und dann tauchten neue und ein wenig zusammenhanglose Einfälle in unseren Gedanken auf.

«Ist das gut!» rief ich. «Verdammt gut! Eine neue Heimat für unsere überschüssige Bevölkerung! Für alle diese armen Leute!» Und ich brach mir ein neues großes Stück ab.

Es erfüllte mich mit einer seltsam wohlwollenden Befriedigung, daß es auf dem Mond eine so gute Nahrung gab.

Meine durch den Hunger hervorgerufene Niedergeschlagenheit wich einer albernen Heiterkeit. Die Furcht und die Unsicherheit, in der ich bis dahin dort gelebt hatte, schwand völlig. Nun betrachtete ich den Mond nicht mehr als einen Trabanten, von dem ich so schnell wie nur möglich zu entfliehen trachtete, sondern als eine mögliche Errettung aus menschlichem Elend. Ich glaube, die Seleniten, die Mondkühe, den großen Metalldeckel und die seltsamen Geräusche hatte ich vollkommen vergessen, sobald ich diesen Pilz gegessen hatte.

Cavor antwortete auf meine dritte Bemerkung über die Ansiedlung der überschüssigen Bevölkerung mit ähnlichen Worten der Billigung. Ich hatte das Gefühl, als drehte sich mir der Kopf, aber das schrieb ich der anregenden Wirkung des Essens nach langem Fasten zu. «Auszeichnete Entdeckung v'n Ihnen, Cavor», rief ich. «Steht nur der 'toffel nach.»
 «Was mein' Sie?» fragte Cavor. «'ntdeckung des Mondes — Steht nur der 'toffel nach?»

Ich sah ihn an, ein wenig bestürzt von seiner plötzlich so rauhen Stimme und seiner schlechten Aussprache. Jäh wurde mir bewußt, daß er berauscht sei, möglicherweise durch den Genuß des Pilzfleisches. Auch fand ich, es sei doch wohl ein Irrtum, wenn er sich einbildete, den Mond entdeckt zu haben. Schließlich hatte er ihn nicht entdeckt, sondern nur erreicht. Ich legte meine Hand auf seinen Arm und versuchte, es ihm zu erklären, aber dieses Problem war für ihn zu schwierig. Es war auch ungemein schwierig, es auseinanderzusetzen. Nach einem vergeblichen Versuch, mich zu verstellen - ich weiß noch, daß ich mich fragte; ob meine Augen durch den Pilz auch einen so verschwommenen Glanz bekommen hätten wie die seinen -, begann er von sich aus Erklärungen abzugeben.

«Wir sind», so verkündete er mit einem feierlichen Aufstoßen, «die 'eschöpfe, von was wir essen 'nd trinken.» - Herbert George Wells, Die ersten Menschen auf dem Mond. Reinbek bei Hamburg 1968 (rororo 1026, zuerst 1901)

Mond Pilz

 

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