Bildergift   Dies hier ist der Geist in Flaschen, die Poesie in Barren. Kauft, Leute, kauft die Verdammnis eurer Seele, richtet euch zugrunde, hier habt ihr das Mittel, das den Geist zum Scheitern bringt. Ich verkündige der Welt die hehre Botschaft: Soeben ist uns ein neues Laster entstanden, ein Taumel mehr ist dem Menschen gegeben: der Surrealismus, Sohn des Wahnsinns und der Finsternis. Hereinspaziert, hier werden augenblicklich neue Reiche erschlossen.

Die aus tausendundeiner Nacht erwachten Schläfer, die Erleuchteten und die Verzückten, wie werden sie euch, die modernen Haschischraucher, beneiden, wenn ihr ohne Hilfsmittel die bislang unvollständige Skala ihrer erstaunlichen Wonnen erlebt und euch einer so großen visionären Macht über die Welt erfreut, von der Erfindung bis hin zur meergrünen Materialisation des Flutlichts der Erweckung, daß weder die Vernunft noch der Erhaltungstrieb trotz ihrer schönen sauberen Hände mehr wissen werden, wie euch von seinem maßlosen Gebrauch zurückhalten, denn sie sind so behext von euch, daß sie statt einer Nadel ein so schönes Bild an den vergänglichen Querbalken eures Herzens schlagen und ihr am Ende dem Mann ähnlich werdet, den eine einzige Frau für immer festnagelte und der nur mehr ein auf dieses wunderbare Pantoffelholz gespießter Schmetterling ist. Dieses Laster, genannt Surrealismus, besteht in dem unmäßigen und leidenschaftlichen Gebrauch des Rauschgiftes Bild oder vielmehr in der unkontrollierten Beschwörung des Bildes um seiner selbst willen und auf daß es im Darstellungsbereich unvorhersehbare Umwälzungen und Metamorphosen bewirkt: denn jedes Bild zwingt euch immer wieder von neuem das ganze Universum zu revidieren. Und jeder Mensch ist aufgefordert, ein Bild zu finden, das das ganze Universum abschafft. Ihr, die ihr das orangefarbene Schimmern dieses Abgrundes ahnt, - beeilt euch und nähert eure Lippen diesem frischen und zugleich glühendheißen Kelch. Schon bald, morgen schon wird das dunkle Verlangen nach Sicherheit, das die Menschen verbindet, ihnen rauhe Prohibitiv-.gesetze diktieren. Die Propagandisten des Surrealismus werden gerädert und gehängt, die Bildertrinker in Spiegelkabinette gesperrt werden. Die verfolgten Surrealisten werden ihr Bildergift dann in den Tingeltangel-Lokalen an den Mann bringen. An ihrem Gebaren, ihren Reflexbewegungen und an verräterischen Zeichen plötzlicher Nervosität wird die Polizei beobachtete Gäste erkennen und des Surrealismus verdächtigen. Ich sehe schon ihre Spitzel, ihre Schliche und ihre Hinterhalte. Einmal mehr wird dem Einzelnen das Recht auf Selbstbestimmung streitig gemacht und aberkannt werden. Man wird sich auf die Gefahr für die Öffentlichkeit berufen, auf das Gemeinwohl, die Erhaltung der ganzen Menschheit. Große Empörung wird die ehrbaren Leute packen gegen dieses unhaltbare Treiben, diese um sich greifende Anarchie, die jeden seinem gewöhnlichen Schicksal entreißen will, um ihm ein persönliches Paradies zu schaffen, und man wird nicht zögern, solch eine Verirrung des Denkens als intellektuellen Malthusianismus zu bezeichnen. Welch herrliche Verheerungen: Das Nützlichkeitsprinzip wird allen, die diesem höheren Laster frönen, fremd werden. Der Geist wird bei ihnen allmählich außer Gebrauch kommen. Sie werden sehen, wie ihre Grenzen sich erweitern, sie werden alle Schwärmer und alle Unzufriedenen dieser Erde an ihrem Rausch teilhaben lassen. Die jungen Leute werden diesem ernsten und nutzlosen Spiel völlig verfallen. Es wird ihr Leben ändern. Die Universitäten werden leer sein.   - (ara)

 

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