etamorphose  Ich träumte, eine Frau stehe in meinem Zimmer, groß, nackt, von schneehaft weißem Fleisch, und zwischen ihren Schulterblättern waren zwei rötliche Schwämme gewachsen. Eine Weile stand sie und rührte sich nicht, dann entfalteten sich diese Schwämme zu Flügeln, doch in ihrem Entfalten verdickten sie sich und wurden zu ungeheuren Lebern, und aus dem Rückgrat wuchs ein Ei.

Bis dahin sah ich diese Verwandlung mit stillem, ganz in sich gekehrtem Entzücken, ohne Erregung, nicht einmal neugierig, nur ein unermeßliches Wunder betrachtend, das da als selbstverständlich geschah. Das Ei fiel langsam zum Boden nieder, wo es jedoch niemals ankam; sein Schicksal war mir auch gleichgültig, ich wußte nur, daß es im Raum blieb; ich sah übrigens auch nicht die Füße der Frau, ich sah auch nichts von Haar oder Gesicht. Da das Ei niedersank, begann der Himmel zu grünen, ein leuchtendes, farngiftenes Grün, das von einem inneren Glanz geschwellt war; es sammelte sich über einer der Lebern, die andre Welthälfte versank ins Fahle, und aus dem Grün brach ein Komet, leuchtend, in ungeheurem Schwellen, und er füllte mit seinem Schweif den Raum an und umhüllte die Frau und trug sie fort, und ich erwachte in seltsamer Angst, die vom Tod, doch auch voll Erleichterung war. - Franz Fühmann, Dreizehn Träume (1983)

Metamorphose (2) Festzuhalten ist, daß es immer die ausgewachsene, endgültige Erscheinungsform eines Insekts ist, die »Imago«, wenn von der betreffenden Art gesprochen wird. Alle während der individuellen Entwicklung auftretenden Zwischenformen, also Ei, Nymphe, Larve und Puppe, sie sind nur vorbereitende Stadien des schließlich entstehenden Typs, der die Art, die Spezies, verkörpert.

Noch heute kennt man das Geheimnis dieser Verwandlung nicht genau, und es hat lange gedauert, bis sich ein ungefähres Bild der rätselhaften Vorgänge abzeichnete. Aristoteles, der griechische Gelehrte, sah vor zwei Jahrtausenden in den Insekten-Larven »weiche, im Wachsen befindliche Eier«, und auch im vorigen Jahrhundert glaubte man noch, eine Raupe sei »ein sich bewegendes, wachsendes und fressendes Ei«. ....

Lange hat man nicht verstanden, was die Verwandlungen der Insekten bewirkt. Heute wissen wir, daß Hormone dafür verantwortlich sind. Von speziellen Zellen abgesonderte Neurosekrete beeinflussen zwei Komplexe von Hormondrüsen. Dies sind einerseits die paarigen Corpora allata, die das »Neotenin« genannte Juvenilhormon abgeben. Das Neotenin löst die Larvenhäutungen aus. Zum andern sind es die meist ebenfalls paarigen Prothorakaidrüsen, die das »Ecdyson« produzieren, das als Metamorphosehormon die Häutung zur Puppe, beziehungsweise zum ausgewachsenen Imagostadium bewirkt.
Nachweisen läßt sich die hormonale Steuerung des Häutungsgeschehens unter anderem dadurch, daß man das Blut eines Insekts, das kurz vor der Häutung steht, einem anderen, von einer Häutung zeitlich noch weit entfernten Artgenossen einspritzt. Die so behandelte Larve häutet sich dann sofort. - Theo Löbsack, Das unheimliche Heer. Insekten erobern die Erde. München 1991 (dtv 11389)

Metamorphose (3) Buddha begegnet einem hungrigen Löwen. Um dessen Hunger zu stillen, verwandelt er sich in einen Hasen. - (Aus: Hans Blumenberg, Löwen. 2001)

Metamorphose (4) Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: "Sie haben sich gar nicht verändert." "Oh!!" sagte Herr K. und erbleichte.- (keu)

Metamorphose (5) Die Nothwendigkeit der Metamorphose der Insekten erkläre ich mir folgendermaaßen. Die metaphysische Kraft, welche der Erscheinung eines solchen Thierchens zum Grunde liegt, ist so gering, daß sie die verschiedenen Funktionen des thierischen Lebens nicht gleichzeitig vollziehn kann: daher muß sie dieselben vertheilen, um successiv zu leisten, was bei den höher stehenden Thieren gleichzeitig vor sich geht. Demnach theilt sie das Insektenleben in zwei Hälften: in der ersten, dem Larvenzustande, stellt sie sich ausschließlich dar als Reproduktionskraft, Ernährung, Plasticität. Dieses Leben der Larve hat zu seinem unmittelbaren Zwecke bloß die Hervorbringung der Chrysalis [Puppe]: diese nun aber, da sie im Innern ganz flüssig ist, kann angesehn werden als ein zweites Ei, daraus künftig die Imago [das fertig ausgebildete Insekt] hervorgehn wird. Also Bereitung der Säfte, daraus die Imago werden kann, ist der alleinige Zweck des Larvenlebens, In der zweiten Hälfte des Insektenlebens, welche von der ersten durch jenen eierartigen Zustand geschieden ist, stellt die an sich metaphysische Lebenskraft sich dar als hundertfach vermehrte Irritabilität, — im unermüdlichen Fluge, — als hochgesteigerte Sensibilität, — in vollkommneren, oft ganz neuen Sinnen, und in wundervollen Instinkten und Kunsttrieben, — hauptsächlich aber als Genitalfunktion, die jetzt als letzter Zweck des Lebens auftritt: dagegen ist die Nutrition sehr verringert, bisweilen selbst ganz aufgehoben; wodurch denn das Leben einen völlig ätherischen Charakter angenommen hat. Diese gänzliche Veränderung und Sonderung der Lebensfunktionen stellt also gewissermaaßen zwei successiv lebende Thiere dar, deren höchst verschiedene Gestalt dem Unterschied ihrer Funktionen entspricht. Was sie verbindet ist der eierartige Zustand der Chrysalis, deren Inhalt und Stoff zu bereiten das Lebensziel des ersten Thieres war, des-sen vorwaltend plastische Kräfte nunmehr, in diesem Puppenzustande, durch Hervorbringung der zweiten Gestalt, ihr Letztes thun. — Also die Natur, oder vielmehr das ihr zum Grunde liegende Metaphysische, vollbringt bei diesen Thieren in zwei Absätzen was ihr auf Ein Mal zu viel wäre: sie theilt ihre Arbeit. Demgemäß sehn wir, daß die Metamorphose am vollkommensten dort ist, wo die Sonderung der Funktionen sich am entschiedensten zeigt, z. B. bei den Lepidopteren [Schmetterlingen]. Viele Raupen nämlich fressen täglich das Doppelte ihres Gewichts: dagegen fressen viele Schmetterlinge, wie auch manche andere Insekten, im vollkommenen Zustande, gar nicht, z. B. der Schmetterling der Seidenraupe u. a. m. Hingegen ist die Metamorphose unvollkommen bei denjenigen Insekten, bei welchen auch im vollkommenen Zustande die Nutrition stark von Statten geht, z. B. bei den Gryllen, Lokusten [Heuschrecken], Wanzen u. s. w. - (schop)

Metamorphose (6)

SELIGE SEHNSUCHT

 Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet.
Das Lebend‘ge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

 In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

 Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.

 Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du, Schmetterling, verbrannt.

 Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

 

- Goethe, West-Östlicher Divan

Metamorphose (7)

- Charles M. Schulz, Peanuts for everybody. London 1970 (Hodder Fawcett Coronet Books, zuerst ca. 1958)

Metamorphose (8) Letztlich kamen sie an eine freundliche lichtung, und da stand das hexenhäuschen. Rief der husar: »Beim Scipio Africano und den übrigen blutmeistern, sie wird doch nicht das kind des waldobristen sein oder gar seine frau!«

»Ach nein! Ich lebe ganz allein mit VI katzen und III ziegen und mein schwarz täubchen kann auch schon fliegen.«

»War mir auch gleich gewesen«, sagte der husar, »denn ich fürchte nicht einmal einen waldobristen oder sonst einen, der hasen fängt, wanns um das geht, um das es mir geht.«

So gingen sie beide in das häuschen hinein und die VI katzen und die III ziegen, die davor saßen, mauten und meckerten, aber so, daß der husar ein freundliches »Guten morgen, guten morgen!« zu vernehmen meinte, und deshalb sprach er auch zur hex: »Du hast aber freundliche tierchen! Wie sie nur ihre reverenz erzeigen. Sind das liebe tierchen!« Er tat überhaupt sehr artig und sanft, da ihm ein solches tun an der rechten zeit zu sein schien. »Ich richte alle meine tiere gut ab«, sagte die schöne hexe und setzte sich auf das große federbett.

Mein wackerer husar hat bestimmt noch niemals den Lukian gelesen und von dem, was eine metamorphosis ist, träumt er nur eine unbestimmte ahnung. Wozu auch wäre ihm ein genaues wissen nützlich, macht doch dieses keinen einzigen säbel schärfer.

Als nun der mond im fenster stand, wurde er munter, erschrak, daß es schon nacht war. Wie sollte er sein regiment erreichen? Und er merkte, als er nach seiner schönen hexe griff, daß sie sich nicht mehr, wie es vor dem einschlafen der fall gewesen, neben ihm in dem ungeheuer großen federquartiere befand. Da er alsbald einen großen durst und eine rauhe zunge im mund verspürte, wandte er seinen blick abermals der fensternische zu und, einen irdenen topf mit milch gewahrend, sprang er auf allen IVen aus dem weißen nest.

Schon liegt der mond am fensterbrett. Der haubtmann schaut nach seiner uhr: Beim pulverturm des herrn Hercales! Wo bleibt denn dieser husar heut nur?

Aber, hätte der unbezwingliche herr haubtmann seinen husaren zur stund durch ein scharfes fernrohr erspäht, er würd ihn nimmermehr erkannt haben. Zwar lag noch das kriegerisch bunte kleid des reuters an eben dem orte, da er es frühmorgens angetan; allein und ohngeacht, dem dursthals, der jetzt ratlos vor dem milchtopfe posto hielt, schien jenes nicht mehr sonderlich tapfer an den leib zu passen. Wie denn auch hätte ein ausgewachsener Ziegenbock in ein ehrlich beinkleid fahren mögen, zumal dieses aufs ordentlichste mit goldborten und kaisers medaillen geschmückt wäre!

»Ich habe ja mit einmal so schauerlich klauichte hände an mir« wollte der arme husar ausrufen, aber es klang nur »meh, meh, meh!«

Also erging es einem wackren husaren, so am frühen morgen war ausgezogen, sich zu seinem guten regiment durchschlagend, jedoch mit zwischenkunft einer falschen hexe zu einem bocke ward.

Die hexe aber stand in der küche und kochte das abendbrod für ihre verwunschenen tiere. Da kam der teufel, herr und meister, bei der tür herein und setzte sich an den ofenplatz.

»War es vielleicht möglich«, sagte die schöne Zauberin zu ihm, »daß ich diese letzte Wandlung da, von zeit zu zeit wenigstens, für ein paar stunden der nacht könnt rückgängig machen? Man erwischt nicht alle tag einen richtigen husaren!«  - (hus)

Metamorphose (9)  Gesteine entstehen entweder bei niedrigen Temperaturen durch SEDIMENTATION oder bei hohen Temperaturen durch Erstarrung einer magmatischen Schmelze. Wenn sie einmal entstanden sind, können sie im Verlauf ihrer Geschichte in Temperatur- und Druckverhältnisse geraten, die sich von den bei ihrer Entstehung herrschenden Bedingungen erheblich unterscheiden. Dann erfährt das Gestein eine Metamorphose, das heißt eine mineralogische und strukturelle Umformung. Das Ergebnis dieser nachträglichen Umformung bezeichnet man als metamorphes Gestein.   - (thes)

Metamorphose (10)   Im Jahre 1769 schrieb Diderot  drei phantastische Essays, die als "D'Alemberts Traum" bekannt sind und in denen er imaginäre Dialoge zwischen ihm selbst, seinem Freund d'Alembert, einer kultivierten jungen Dame und einem Arzt wiedergibt. Darin meint Diderot, dass das Bewusstsein, da es ein Produkt von Hirnsubstanz sei, zerlegt und wieder zusammengefügt werden könne. Die Wissenschaft wird Tote wieder zum Leben erwecken. Tiere und Maschinen können zu intelligenten Geschöpfen umgeformt werden, und die Menschheit kann sich selbst in eine große Typenvielfalt umwandeln, "wobei es unmöglich ist, ihre Metamorphosen und ihren künftigen endgültigen Körperbau vorherzusagen." - James J. Hughes, telepolis, 2. Januar 2007

Metamorphose (11)  

Von der Raupe zum Schmetterling: Aus dem Ei geschlüpft, erreichen viele Insekten ihre endgültige Form (Imago) nicht allein durch Wachstum, sondern machen Zwischcnstadien durch. Man unterscheidet unvollkommene (hemimetabole) von vollkommener (holometaboler) Verwandlung oder Metamorphose. Im ersten Fall wird aus der Larve nach mehreren Häutungen die Endform, im zweiten - wie hier beim Monarchfalter - entsteht aus der Larve (in Gestalt der Raupe) zunächst die Puppe, aus der nach einer Ruhephase der Falter schlüpft. Alle diese Vorgänge werden hormonal gesteuert.

- Theo Löbsack, Das unheimliche Heer. Insekten erobern die Erde. München 1991


Geschehen Träume

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Synonyme
Verwandlung