Bildbetrachtung    


 "Bildnis eines behinderten Mannes"

Zu sehen ist ein Mann, der flach und nackt auf dem Bauch auf einem grünlich dunklen Tuch auf einem Tisch liegt, vor einem dunkelbraunen, fast schwarzen Hintergrund. Der Körper des Mannes ist in den Bildvordergrund gerückt. Sein heller, ebener, langer Rücken füllt fast die Fläche eines Drittels des Bildes aus (Oberhalb des Rückens scheint die Leinwand beschädigt oder die Farbe aufgerissen. Das Bildnis hat die Ausmaße von 110 x 135 cm). Körper- und Kopfhaltung, links im Bild, bilden einen rechten Winkel. Der Mann blickt direkt auf die Betrachter. Sein Gesicht ist in Dreiviertelansicht aufrecht abgebildet, er hat dunkelbraune Augen, sein linker Mundwinkel wird durch eine Falte betont, aber auch durch den hellbraunen, schütter wirkenden Schnauzbart. Die Nasenspitze ist gerötet. Die dunklen Augenbrauen sind zur Nase hin ein wenig zusammengezogen. Der Gesichtsausdruck wirkt von der Augenpartie her skeptisch, aufgrund der Mundpartie eher spöttisch. - Aus der Kunst- und Wunderkammer auf Schloss Ambras bei Innsbruck

Bildbetrachtung  (2)  Bildnis Heinrichs VIII. von England von Holbein  Man hat in diesem Gemälde eine Elefantenjagd, eine Karte von Rußland, das Sternbild der Leier, das Porträt eines als Heinrich VII. verkleideten Papstes, ein Unwetter auf dem Saragossameer oder jenen güldenen Polypen sehen wollen, der in den Breiten von Java wächst und unter dem Einfluß von Zitrone einmal kurz niest und mit einem kleinen Schnaufer stirbt. Jede dieser Deutungen berücksichtigt genau die allgemeine Konfiguration des Gemäldes, ob man es in der Ordnung betrachtet, in der es aufgehängt ist, oder mit dem Kopf nach unten oder von der Seite. Die Unterschiede beschränken sich auf Einzelheiten; der Mittelpunkt ist hier wie da GOLD, die Zahl SIEBEN, die in den Teilen Hut und Schnur zu beobachtende AUSTER mit dem PERLENkopf (von den Perlen des Kleides ausstrahlendes Zentrum oder Herzland) und der allgemeine absolut grüne SCHREI, der aus dem Ganzen hervorsprießt.  - Julio Cortázar,  Unterweisung im Verständnis dreier berühmterGemälde. Nach (cron)

Bildbetrachtung  (3) »Es ist nicht so warm, um sich gleich nackt auszuziehen«, sagte Wanda. »Warum übertreibst du so? Ich hab's zwar gesagt, aber das wollte ich damit nicht sagen.«

»Du möchtest also nicht so sein wie die Frauen auf den Bildern?« neckte Teresita sie und streckte sich auf dem Kanapee aus. »Sieh mich an und sag, ob ich nicht genauso bin wie die auf dem Bild, wo alles wie aus Glas ist und man in der Ferne einen ganz kleinen Mann sieht, der auf der Straße daherkommt. Zieh dir den Slip aus, dumme Gans, siehst du nicht, daß du alles verdirbst.«

»Ich kann mich an das Bild nicht erinnern«, sagte Wanda und fingerte unschlüssig am Gummiband des Slips herum. »Ah ja, ich glaube mich zu entsinnen, da hing eine Lampe von der Decke, und im Hintergrund, da war ein blaues Bild mit dem Vollmond. Alles war blau, nicht wahr?«

Weiß der Teufel, warum sie sich an dem Nachmittag mit dem Album so lange bei diesem Bild aufgehalten hatten, wo es doch andere gab, die aufregender und absonderlicher waren, zum Beispiel das von Orphee, der dem Wörterbuch zufolge Orpheus war, der Vater der Musik, der in die Unterwelt hinabstieg, wo es auf dem Bild gar keine Unterwelt gab, gerade nur eine Straße mit Häusern aus rotem Backstein, ein wenig wie am Anfang des Alptraums, obgleich sich dann alles verändert hatte und da wieder die Gasse war mit dem Mann mit der künstlichen Hand, und durch diese Straße mit Häusern aus rotem Backstein kam Orpheus ganz nackt, Teresita hatte ihn ihr gleich gezeigt, doch beim ersten Hinsehen hatte Wanda gedacht, daß er auch eine von den nackten Frauen wäre, bis Teresita zu lachen anfing und genau da den Finger drauflegte und Wanda sah, daß es ein ganz junger Mann war, aber ein Mann, und sie sich Orpheus lange und genau ansahen und sich fragten, wer wohl diese Frau sei, die ihm den Rücken zukehrt, und warum sie ihm den Rücken zukehre, wo der Reißverschluß ihres Rocks halb offen ist, als wenn das eine Art wäre, im Garten spazierenzugehen.

»Das ist eine Verzierung, kein Reißverschluß«, entdeckte Wanda. »Sieht so aus, aber wenn du genau hinsiehst, ist es so was wie eine falsche Naht, die aussieht wie ein Verschluß. Unbegreiflich, daß Orpheus auf der Straße geht und nackt ist und die Frau im Garten hinter der Mauer ihm den Rücken zukehrt, höchst merkwürdig. Orpheus sieht mit dieser ganz weißen Haut und diesen Hüften wie eine Frau aus. Wenn nicht das da wäre, natürlich.«

»Wir wollen ein anderes suchen, wo man's von nahem sehen kann«, sagte Teresita. »Hast du schon Männer gesehen?«

»Nein, wie sollte ich«, sagte Wanda. »Ich weiß, wie es ist, aber wie sollte ich es sehen. Wie bei den Babys, nur größer, nicht? Wie bei Grock, aber Grock ist ein Hund und das ist was anderes.«

»Die Chola sagt, daß es ihnen, wenn sie verliebt sind, dreimal so groß wird, und dann kommt es zur Befruchtung.«

»Um Kinder zu kriegen? Ist das die Befruchtung oder was?«

»Wie dumm du bist, Kind. Schau dir das hier an, sieht fast aus, als wär's dieselbe Straße, aber da sind zwei nackte Frauen. Warum malt er so viele Frauen, dieser arme Mensch? Sieh genau hin, es sieht so aus, als ob sie aufeinander zu gingen, ohne sich zu sehen, und jede geht ihren Weg weiter, die sind völlig verrückt, nackt auf offener Straße und kein Polizist, der dagegen einschreitet, das gibt's auf der ganzen Welt nicht. Sieh das da, da ist ein Mann, aber er ist bekleidet und versteckt sich in einem Haus, man sieht von ihm nur das Gesicht und eine Hand. Und diese Frau, die mit Zweigen und Blättern bekleidet ist, ich sage dir, die sind verrückt.«  - (cort2)

 

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