rterhaltung
Es kann ja eine so allgemein unter dem Menschengeschlecht
verbreitete Verfassung wie die Dummheit nicht erhaltungswidrig
und damit ein Hauptmangel sein. Das beweist gerade ihre
allgemeine Verbreitung. Auch in den heutigen zivilisierten und sogenannten hochkultivierten
Völkern dürfte ein gewisses Maß von Dummheit für das Bestehen des Individuums
eher förderlich als hinderlich sein.
Und in der Tat ist es die Ansicht vieler
hervorragender Kirchenväter, Philosophen und Denker gewesen, daß der Durchschnitt
der Menschheit mit einer nur gering zugemessenen Intelligenz zum mindesten sein
Leben fristen kann, ohne daß dies zu besonderen Schwierigkeiten
zu führen braucht. - (
cel
)
Arterhaltung (2) Haben Sie
schon einmal von diesen Insekten gehört, Nicolasa, die am Morgen geboren werden
und deren Leben verlischt, bevor der erste Stern am Himmel leuchtet? Diese winzigen
Geschöpfe, Nicolasa, verbringen mehrere Jahre unter Wasser, aber eines morgens
verwandeln sie sich in erwachsene Insekten und beschließen endlich aufzutauchen.
Sie steigen zu Tausenden empor und zeichnen komplizierte Hieroglyphen auf die
Oberfläche des Teichs. All ihre Bewegungen sind gleichwohl seit Millionen von
Jahren festgelegt. Sie handeln nicht ohne Sinn und Verstand. Sie wissen ganz
genau, was sie wollen. Die volle Entfaltung ihrer Lebenskräfte dauert nur wenige
Stunden, und sie halten sich nicht mit Zaudern auf. Von der zwingenden Notwendigkeit
getrieben, rasch zu handeln, folgen sie einem Plan, der aufgestellt wurde, als
die Welt noch jung war. Sie kümmern sich nicht um ihre Ernährung, denn sie besitzen
nicht einmal einen Verdauungsapparat. Es geht ihnen einzig und allein darum,
einen Partner zu finden, um sich schweigend zu paaren. Sie verlieren ihre Zeit
nicht mit nutzlosen Artigkeiten. Sie verhehlen ihre Absichten nicht, sie bemühen
sich nicht, die bittere Pille zu versüßen, wie wir Männer das so oft tun. Der
blitzschnelle Spasmus ist vollendet, das Weibchen verzichtet auf die Sterne
und versinkt von neuem im Wasser. Es legt die Eier unter einem Stein am Grund
des Teiches ab und schickt sich an zu sterben.
Auch die Männchen fallen auf das Wasser. Im Frieden mit sich selbst, weil
sie es verstanden haben, den uralten Anweisungen zu folgen. Die Kontinuität
ihrer Art ist gesichert. - Javier Tomeo, Der
Löwenjäger. Berlin 1988
Arterhaltung (3)