egeisterung   Die Begeisterung ist eine von den Göttern oder Dämonen ausgehende Erleuchtung der Seele, wie Ovid in folgendem Verse singt:

In uns ist ein Gott, und ein Verkehr mit dem Himmel;
Dieser Geist, er kommt von dem ätherischen Sitz.

Plato definiert die Begeisterung als eine Geistesabwesenheit, denn sie zieht uns von dem, wodurch die körperlichen Sinne erregt werden, überhaupt vom animalischen Menschen ab und zu der Gottheit hin, von der die Seele empfängt, was sie aus eigenen Kräften nicht erforschen kann. Wenn die Seele nämlich die Zügel des Körpers abschüttelt, aus ihrem Kerker heraustritt, und die Bande der Glieder sie nicht mehr hemmen, so waltet sie frei und von göttlichem Geiste erfüllt, begreift sie alles und sieht die Zukunft voraus. - Es gibt nun vier Arten der göttlichen Begeisterung, die von einzelnen Gottheiten, nämlich von den Musen, von Dionysus, von Apollo und von Venus ausgehen. Die erste, von den Musen ausgehende Begeisterung erhebt und regiert die Seele und macht sie göttlich, indem sie durch natürliche Dinge das Obere zu dem Unteren herabzieht. Die Musen sind die Seelen der himmlischen Sphären, denen gemäß es einzelne Grade gibt, nach welchen die Anziehung des Oberen zum Unteren stattfindet. Der niederste Grad, der sich auf die Sphäre des Mondes bezieht, bedient sich der Vegetabilien, als der Pflanzen, Baumfrüchte und Wurzeln, sodann auch der härteren Stoffe, wie der Steine und Metalle durch Anhängen derselben usw. So sollen der Selenit und der Hyänenstein die Gabe der Weissagung verleihen, desgleichen die Theangelika und das Eisenkraut. — Der zweite, sich auf den Merkur beziehende Grad bedient sich tierischer Stoffe und Mischungen verschiedener natürlicher Dinge, die zum Essen oder Trinken zubereitet werden, z. B. wenn einer ein noch ganz frisches und warmes Maulwurfsherz verzehrt, so soll dies ebenfalls zur Weissagung beitragen. Rabbi Moses von Cusa erzählt in seinem Kommentare über das dritte Buch Mosis, es gebe ein Tier, Jedua genannt, das eine menschliche Gestalt habe und von dessen Nabel eine Schnur ausgehe, durch die es wie ein Kürbis an den Boden gebunden sei. Soweit nun die Länge der Schnur es gestatte, fresse es alles ringsumher auf, und da es die ihm Nachspürenden verblende, so könne es nicht gefangen werden, außer es werde die Schnur durch einen Pfeilschuß abgerissen, denn das bringe ihm den Tod. Wenn man nun seine Gebeine auf eine gewisse Art in den Mund nehme, so werde der, welcher dies tue, sogleich von Begeisterung ergriffen und gebe auf alles, was man wissen wolle, weissagende Antworten. - (net)

Begeisterung (2)  Die erste Berührung mit der Blume, und sei diese noch so sehr zu Bann, Arznei und Opfer umgezwungen, wirkt einen tieferen Zauber an dem noch erfahrungslosen Menschenwesen, auf das sie trifft; und sie hebt es fast sofort auf die Stufe der in Erfahrungen stillgewordenen Völker, zu denen auch einfältige und wilde gehören. Die Blume begeistert die Sprache und den Gedanken mit sich und fordert Sinn und Hand auf, sie nachbildend zu durchdringen: an ihr entsteht die Metapher und das Ornament. Neunundneunzig Prozent alles uneigentlichen Ausdruckes, den die menschlichen Sprachen besitzen, sind von der Welt der Pflanze genommen; neunundneunzig Prozent aller Zierform, deren älteste und neueste Zeiten sich bildnerisch bedienen, stammen von der Blume. Woher das und warum, und ist es ein Zufall? Ist es weil die Pflanzenwelt »schöner« ist als die tierische, die meteorische, die landschaftsbildliche, die menschliche? - (garten)

Begeisterung (3)  »Als ich jung war, war ich ein Begeisterter«, erzählte ihr der Unternehmer auf jener Fahrt, wo sie mit der Zeit einzigen auf der Landstraße waren. Auf den brachen Feldern brannten hin und wieder nächtliche Holzfeuer, mil vorbeihuschenden Wildhunde-Silhouetten, ohne Menschengestalten. Sie fuhr sehr schnell, wie durch Feindesland. (Aber sie fuhr immer so.)

»Auf allen Knabenphotos habe ich leuchtende Augen. Meine Begeisterung blieb meinen Altersgenossen eher unverständlich. Sie stieß die anderen sogar ab und machte mich zum Außenseiter, auch zur lächerlichen Figur. Umso mehr kam ich damit an bei den Älteren und, noch mehr, den Erwachsenen - manchen, nicht allen. Hellbegeistert war ich schon als ein Kleinkind; schon auf den Säuglingsphotos hatte ich jenen Leuchtblick, ständig einer Sonne zugewendet und von ihr auch nicht zu blenden. Mein ursprüngliches Begeistertsein, kommt mir vor, war vollkommen unbestimmt. Und zugleich war ich, oder wie das Wesen von früher nennen?, vollkommen von meinem Enthusiasmus eingenommen; besessen davon wie von einem Dämon, einem allerdings grundguten und lieben; der ganze Neugeborenenkörper ein Bündel ungerichteter Begeisterung.«

»Auch noch im Heranwachsen blieb diese lange fast ziellos. Sie kam nur mit der Zeit nicht mehr aus der Körpermitte, von dort aus jeweils übergehend auf sämtliche Gliedmaßen - es war dann, als hätte ich neun mal neun Arme -, sondern konzentrierte sich auf den Kopf, die Augen, die Ohren und insbesondere die Zunge. Mir nichts dir nichts redete ich dann los, daß mir die Ohren sausten, die Augen aus den Höhlen traten und der Schädel zu bersten drohte (wie jetzt übrigens wieder).«

»Wenn meine Begeisterung doch einmal ein Ziel hatte, so war das immer ein Mensch, und zwar immer ein Erwachsener. Ich begeisterte mich für den einen oder anderen Erwachsenen. Wie ich den dann verehren konnte, mich zu ihm hindenken, ihn zu mir herträumen, an den Menschen da glauben, ja, an ihn glauben! Solch ein meine anfängliche Begeisterung auf sich ziehender Erwachsener, das war nie mein Vater oder meine Mutter - oder doch? geh in dich -, vielmehr zum Beispiel ein sehr entfernter Verwandter oder ein Lehrer (in der Regel in einem sogenannten Nebenfach, der vielleicht nur einmal die Woche in die Klasse kam), aber genauso ein bestimmter Kaufmann, ein Fußballer (wenn auch nur eine Lokalgröße, oder gerade so eine), und, seltsam, besonders ein nach dem Hörensagen, etwa laut den Erzählungen der Eltern, vom Unglück Geschlagener. Du einmal Begeisterter von den Unglücklichen - nicht den unglücklichen Gleichaltrigen, sondern den unglücklichen Erwachsenen! Und dann gehörtest du selber zu den Erwachsenen, weder unglücklich noch glücklich, aber auf Erfolg aus, und sehr bald auch schon erfolgreich, und wie.«

»Wenn ich nur wüßte, wann die Begeisterung mir abhanden gekommen ist, und warum. Es blieb zwar noch die Energie, oder eine Art Schubkraft, ständig in Aktion, oder einsatzbereit. Jedoch es ging kein Licht mehr von dir aus. Statt daß dein Kopf glühte und deine Zunge Feuer sprühte, kam dein Tun und Lassen, dein ganzes Existieren mit der Zeit mehr und mehr aus dem bloßen Hinterkopf und schrumpfte schließlich zusammen zum Berechnen. Anstelle der Begeisterung nichts als die Geistesgegenwart, und selbst die Geistesgegenwart zuletzt verdrängt von nichts als Lauern. Anstelle deiner kindhaften Begeisterung Trieb und Getriebenheit.«   - Peter Handke, Der Bildverlust. Frankfurt am Main 2002

Begeisterung (4)

Begeisterung (5)  Schon das Wort Begeisterung drückt aus, daß etwas sehr Hohes, spezifisch Menschliches, nämtich der Geist, den Menschen beherrsche. Das griechische Wort Enthusiasmus besagt gar, daß ein Gott von ihm Besitz ergriffen habe. In Wirklichkeit aber ist es unser alter Freund und neuerer Feind, die intraspezifische Aggression, die den Begeisterten beherrscht, und zwar in Form einer uralten und keineswegs etwa sublimierten Reaktion der sozialen Verteidigung.

Sie wird dementsprechend mit geradezu reflexhafter Voraussagbarkeit durch solche Außensituationen ausgelöst, die kämpferischen Einsatz für soziale Belange erheischen, besonders für solche, die durch kulturelle Tradition geheiligt sind. Sie können konkret durch die Familie, die Nation, die Alma Mater oder den Sportverein repräsentiert sein oder durch abstrakte Begriffe wie die alte Burschenherrlichkeit, die Unbestechlichkeit künstlerischen Schaffens oder das Arbeitsethos induktiver Forschung. Ich nenne in einem Atem Dinge, die mir selbst als Werte erscheinen, und solche, die unbegreiflicherweise von anderen als solche empfunden werden, und zwar in der Absicht, den Mangel an Selektivität zu illustrieren, der die Begeisterung gelegentlich so gefährlich werden läßt.

Zu der Reiz-Situation, die Begeisterung optimal auslöst und die von Demagogen zielbewußt hergestellt wird, gehört erstens Bedrohung der oben erwähnten Werte. Der Feind oder die Feind-Attrappe kann fast beliebig gewählt werden und, ähnlich wie die bedrohten Werte, konkret oder abstrakt sein. »Die« Juden, Boches, Huns, Exploitatoren, Tyrannen usw. wirken genauso gut wie der Weltkapitalismus, Bolschewismus, Faschismus, Imperialismus und viele andere -ismen. Zweitens gehört zu der in Rede stehenden Reizsituation eine möglichst mitreißende Führer-Figur, deren bekanntlich auch die am schärfsten antifaschistischen Demagogen nicht entraten können, wie denn überhaupt die Gleichheit der Methoden, die von den verschiedensten politischen Richtungen angewandt werden, für die instinktive Natur der demagogisch ausnützbaren menschlichen Begeisterungsreaktion spricht. Drittens, und als beinahe wichtigstes Moment, gehört zu stärkster Auslösung der Begeisterung noch eine möglichst große Zahl von Mit-Hingerissenen. Die Gesetzlichkeiten der Begeisterung gleichen in diesem Punkt ganz der anonymen Scharbildung, bei der ja gleichfalls die mitreißende Wirkung mit steigender Individuenzahl in wahrscheinlich geometrischer Progression zunimmt.

Jeder einigermaßen gefühlsstarke Mann kennt das subjektive Erleben, das mit der in Rede stehenden Reaktion einhergeht. Es besteht in erster Linie in der als Begeisterung bekannten Gefühlsqualität; dabei läuft einem ein »heiliger« Schauer über den Rücken und, wie man bei genauer Beobachtung feststellt, auch über die Außenseite der Arme. Man fühlt sich aus allen Bindungen der alltäglichen Welt heraus- und emporgehoben, man ist bereit, alles liegen und stehen zu lassen, um dem Rufe der heiligen Pflicht zu gehorchen. Alle Hindernisse, die ihrer Erfüllung im Wege stehen, verlieren an Bedeutung und Wichtigkeit, die instinktiven Hemmungen, Artgenossen zu schädigen und zu töten, verlieren leider viel von ihrer Macht. Vernunftmäßige Erwägungen, alle Kritik sowie die Gegengründe, die gegen das von der mitreißenden Begeisterung diktierte Verhalten sprechen, werden dadurch zum Schweigen gebracht, daß eine merkwürdige Umwertung aller Werte sie nicht nur haltlos, sondern geradezu niedrig und entehrend erscheinen läßt. Kurz, wie ein ukrainisches Sprichwort so wunderschön sagt: »Wenn die Fahne fliegt, ist der Verstand in der Trompete !«

Diesem Erleben ist folgendes, objektiv beobachtbare Verhalten korreliert: der Tonus der gesamten quergestreiften Muskulatur erhöht sich, die Körperhaltung strafft sich, die Arme werden etwas seitlich angehoben und ein wenig nach innen rotiert, so daß die Ellbogen etwas nach außen zeigen. Der Kopf wird stolz angehoben, das Kinn vorgestreckt, und die Gesichtsmuskulatur bewirkt eine ganz bestimmte Mimik, die wir alle aus dem Film als das »Heldengesicht« kennen. Auf dem Rücken und entlang der Außenseite der Arme sträuben sich die Körperhaare; eben dies ist die objektive Seite des sprichwörtlich gewordenen »heiligen Schauers«.  - Konrad Lorenz, Das sogenannte Böse. Zur Naturgeschichte der Aggression. München 1974 (zuerst 1963)

Begeisterung (6)
Geist
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