idrigkeit Ein
Mädchen schaut wohl gern in den Spiegel. An Männern fehlt es vielleicht
auch nicht, die des lieben Widerscheins sich freuen. Wer möchte es ihnen
auch verdenken, wenn ein wohlgelungenes Abbild von Gottes schönem
Meisterwerke daraus entgegenlacht und all das Vorgefühl der Siegeslust
erweckt, die ihnen blüht? Gibt es doch nichts herrlicheres, nichts beseligenderes
in der Welt, als ein schönes Ichselbst. Wie aber, und dies sollte möglich
seyn, daß es Mädchen, Frauen, daß es Männer gäbe, die den Spiegel scheuen?
Die sich davon abwenden und ihren eigenen Anblick nicht ertragen? Wahrhaftig
gibt es solche. Es gibt Menschen, und sie sind nicht eben selten, denen
der Spiegel ein eigenes Gefühl von Bangigkeit, wie wenn ein laulich=widriger
Hauch sie anginge, verursacht, daß sie nicht eine Minute lang ruhig ausharren
mögen. Der Spiegel wirft ihnen nicht bloß ihr Bild, er wirft ihnen noch
einen unnennbar peinlichen Eindruck zurück, manchen stärker, manchen schwächer,
manchen nur kaum noch soweit fühlbar, daß eine unbestimmte Abneigung gegen
den Spiegel übrig bleibt. Und was ist dieß? Woher rührt es? Warum empfinden
diese Widrigkeit nur gewisse Menschen, warum
nicht alle? - Karl Freiherr von Reichenbach, Odisch-magnetische
Briefe. Stuttgart u. Tübingen 1853
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