auch  

ich war jung und dumm
ich bin alt und dumm
ich entkleide mich vor publikum

plötzlich sind alle stumm
ich bücke mich
ich zeige ein loch
ein hauch entweicht
leben ist leicht

  - Ernst Jandl, Idyllen. Darmstadt 1989

Hauch (2)  Yr Hen Wrack war eine alte Hexe. Sie wohnte in einem Sumpf und kam in nebligen Nächten hervorgekrochen. Sie drang in die Häuser ein, mit nichts vermochten die Leute sich vor ihr zu schützen. Wem sie ins Gesicht hauchte, der wurde schwer krank. Damit hatte es ein Ende, als die Leute Kohle statt Torf verbrannten.

Eine alte Frau sah die Hexe einmal am Abend. Sie war gerade dabei, Sumpfbohnen und Pilze zu essen. Sie wünschte ihr einen «Guten Abend». Da sprang die Hexe auf, zischte wie eine Schlange und war dann verschwunden. Sie war volle sieben Fuß groß, dünn, knochig, hatte gelbe Haut und einen riesigen Kopf mit pechschwarzen Haaren, die in Locken bis auf den Boden fielen, und ihre Zähne waren schwarz. - (wal)

Hauch (3)  Er, der sieben Jahre älter war als ich, und schon vor dem Krieg geboren, mußte in all der Zeit seines Unglücks doch einen Herd von Wärme, den Erinnerung ihm speiste, in sich gespürt haben ... mir jedoch fehlte dergleichen, mir fehlte eine undefinierbare Winzigkeit, ein Punkt, den ich in mir nicht auffinden konnte, ein Glühfädchen, mir war etwas vorenthalten worden, in einem Moment von Fahrlässigkeit oder Zeitmangel, der unausdenklich weit zurücklag, hatte man mir einen winzigen Hauch einzuhauchen vergessen, etwas Vages, für jeden anderen Menschen ganz ohne Bedeutung, ein kleines Kitzeln, wie von einer zufälligen Haarsträhne, für einen Sekundenbruchteil achtlos berührt, aber etwas, das später niemals mehr einzuholen war, und das Fehlen dieses erbarmungswürdigen Tröpfchens verurteilte mich unwiderruflich zu einer Zukunft in der Hölle. - (hilb2)

Hauch (4) Weltkrieg eins, Gefangenschaft, Krankheit, Bankrott und Tod, bevor er fünfzig war: brandete diese elende Suite nicht in einer Art wildem oder dichterischem Glanz auf, wenn jetzt der Vorletzte auch noch den Namen tilgte? Man muß verschwinden können. Wie sein Vater. Dessen Leben und Sterben war für ihn der Inbegriff des Dichterischen. In der Figur seines Vaters richtete er sich ein Beispiel her von einem, fähig, mit hoffnungslosem Verschwinden einverstanden zu sein. Als der Vater mit offenen Wunden seinem Ende zufaulte, hat er täglich noch den ebenso rasch fortschreitenden geschäftlichen Ruin zur Kenntnis genommen. Er wurde Zeuge seiner vollkommenen Vernichtung. Er soll weder geflucht noch geschrieen haben. Er sei eher gewesen wie ein Hauch. Aber immer schon. Das haben mehrere gesagt, daß er immer leise gewesen sei. Nach allem, was Gottlieb über seinen Vater aufgeschnappt hatte, war ihm der Eindruck geblieben, sein Vater sei etwas Leises und Duftendes gewesen. Obwohl er selber noch erlebt hatte, daß der Vater, als er dahinfaulte, süßlich und widerlich stank, hatte sich bei ihm die Vorstellung durchgesetzt, das Leben seines Vaters sei etwas Leises und Duftendes gewesen. Vielleicht gerade wegen des schlimmen Verlaufs und des stinkenden Endes. Ein braver Metzgermeister hatte zu Gottliebs Mutter mehr als einmal gesagt, ihr Mann sei ein Batsche. Das Wort wurde mit  a  wie im englischen wall oder ball gesprochen. Batsche, so nannte man in Mitten einen verformten, vor Ausgetretenheit fassungslos gewordenen Hausschuh. Als Gottlieb Zürn einmal aus Interesse für Paul Schatz ein Buch über Siebenbürger Sachsen und Banat-Deutsche gelesen hatte, war er darin auf den Ausdruck 'Batschker' gestoßen; so habe man dort einen gestrickten Pantoffelstrumpf genannt.  - Martin Walser, Das Schwanenhaus. Frankfurt am Main 1982
 
 

Atmen

 

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