bneigung Ein Mann, der ein wenig träge war und sich nie für Politik interessiert hatte, trotz der Vorwürfe, die es von allen Seiten regnete - jede menschliche Handlung ist politische -, hörte eines Tages das Telefon läuten, es klang ihm unangenehm in den Ohren. Im Gegensatz zu vielen Menschen, die unbeirrt alle Dinge mit dem Verstand erklären, unternahm er selten diesen Versuch. Er begnügte sich, vielleicht seiner Trägheit wegen, damit, von Menschen und Dingen Signale aufzufangen, die, ohne daß er sie hätte erklären müssen, ihre Erklärung selbst enthielten. Wenn ihm zum Beispiel an diesem Tag das Klingeln des Telefons unangenehm war, war dies nicht ein mit Vernunftgründen zu vertiefendes Gesetz, sondern er nahm es als gegeben hin. Das Läuten war bei anderer Gelegenheit durchaus angenehm, vibrierend oder frech oder geschwätzig und verhieß Gutes und Freundliches. An diesem Tag aber, wie leider schon manches Mal, war es nicht so: Vielleicht war es schon der erste Klingelton gewesen, der ihm zu lang und in gewisser Weise aufdringlich erschienen war, vielleicht war es das vielfache Wiederholen des Klingeins, ohne daß der Anrufer des Wartens müde wurde (was von stumpfer Hartnäckigkeit, einem zähen Naturell zeugte, das nie fürchtete, lästig zu sein), jedenfalls empfand der Mann in diesem Augenblick Abneigung gegen den Anrufer.
Er hoffte, daß die Person, wer immer sie sei, sein Gefühl Lügen strafen möge, aber er glaubte nicht so recht daran, und schließlich nahm er widerwillig den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung vernahm er eine süßliche Stimme, sie klang verstellt und erschien ihm völlig fremd, auch nachdem sie einen Namen genannt hatte. Er kannte die Person eigentlich gut, doch in diesem Augenblick waren ihm der Name und auch der Klang der Stimme entfallen. Es war jemand, den in jenen Jahren viele für bedeutend hielten, besser gesagt meinten viele, es sei ein Zeichen der eigenen Bedeutsamkeit, dies zu tun. Er hatte allerdings ein häßliches, knochiges Gesicht, wie eine Faust geformt, sein Mund war eingeschlossen in eine Höhle aus Knochen wie bei manchen Zahnlosen, besonders auffällig aber waren seine Augen, die sich ständig hin- und herbewegten und nie in den Augen dessen verweilten, mit dem er gerade sprach.
Wer anderen nie in die Augen schaut, sondern nervös seinen Blick hin- und
herschweifen läßt, ist immer unerquicklich; bei ihm aber war es noch unerträglicher
als sonst, denn es war nicht die Unruhe eines wahrnehmenden Menschen, was da
zum Ausdruck kam, sondern die tierisch schlaue Ängstlichkeit der Äffchen,
die ihr Gegenüber nie anschauen, sondern immer den Blick auf irgendwelche Gegenstände
heften, vorhandene oder eingebildete, greifbare und eßbare: Genauso sah dieser
Jemand Menschen und Dinge an und schätzte sie dabei sofort nach ihrer Greifbarkeit
und Eßbarkeit ab, niemals jedoch achtete er auf ihre wirkliche Qualität. So
war es ihm gelungen, eine große Menge Wissen anzusammeln, das zwar ohne Wert,
aber zu jener Zeit äußerst beliebt war und ihm den Ruf einer einflußreichen
Persönlichkeit eingebracht hatte. - Goffredo
Parise,
Alphabet
der
Gefühl
e. Berlin 1997 (zuerst 1972, 1982)
Abneigung
(2)
Wir haben
eine besondere
Abneigung gegen
das Schwein,
möglicherweise
weil es einer
Reihe heidnischer
Völker als
Gegenstand
der Anbetung
diente. Allerdings
neige ich zum
Glauben, daß
es einen viel
triftigeren
Grund gibt.
Alle anderen
Haustiere dienen
während ihres
Lebens zum
Nutzen des
Menschen. Die
Kuh gibt Milch,
Schafe liefern
Wolle, das
Pferd leistet
Arbeit und
dient zur Fortbewegung,
der Hund
bewacht das
Haus, die Katze
hält die Mäuse
in Schach.
Nur das Schwein
als einziges
aller koscheren
oder nichtkoscheren
Haustiere dient
keinem anderen
Zweck als geschlachtet
und gegessen
zu werden.
Nun verbietet
unsere Religion
Tierquälerei.
Tatsächlich
gibt es in
der Bibel Dutzende
von Vorschriften,
ebenfalls in
den Auslegungen
der Rabbiner,
die verlangen,
daß wir Tiere
gut behandeln.
Man darf dem
Ochsen beim
Dreschen nicht
das Maul verbinden;
ein Esel und
ein Ochse dürfen
nicht in ein
Joch gespannt
werden; Arbeitstiere
müssen am Sabbat
Ruhe haben;
und die Jagd
als Sport ist
verboten. Bei
einer solchen
Einstellung
werden Sie
sicher verstehen,
daß die Aufzucht
eines Tiers,
nur um es schließlich
zu schlachten,
uns widerwärtig
sein muß.
- Harry
Kemelman, Am
Dienstag sah
der Rabbi rot.
Reinbek bei
Hamburg 1975
(rororo thriller
2346, zuerst
1973)
Abneigung
(3)
Die Abneigungen sind gleichsam der Naturhaß, ein Zorn, eine Entrüstung
und ein gebieterisches Widerstreben, wonach eine Sache das ihr Entgegenstehende
flieht und von sich treibt. Solche Abneigung hat der Rhabarber gegen die Galle;
der Theriak gegen Gift; der Saphir gegen Pestbeulen, Fieberhitze und Augenkrankheiten;
der Amethyst gegen Trunkenheit; der Jaspis gegen Blutflüsse und böse Gespenster;
der Smaragd und die Schafmülle gegen Unkeuschheit; der Achat gegen Gifte; die
Gichtrose gegen die fallende Sucht; Korallen gegen die Trugbilder der schwarzen
Galle und gegen Magenschmerzen; der Topas gegen Leidenschaften, wie Geiz, Völlerei
und alle Ausschweifungen in der Liebe. Einen ähnlichen Widerwillen haben die
Ameisen gegen Majoran, gegen den Flügel einer Fledermaus und das Herz eines
Wiedehopfs, vor deren Gegenwart sie fliehen. Majoran ist auch den giftigen Spinnen,
sowie den Salamandern zuwider, und mit dem Kohl steht er in so heftiger Zwietracht,
daß sie einander gegenseitig zugrunde richten. Die Gurken hassen das Öl dergestalt,
daß sie sich hakenförmig krümmen, um es nicht zu berühren. Rabengalle soll die
Menschen von dem Orte, wo sie mit einigen andern Dingen verborgen worden ist,
verscheuchen und zurückschrecken. Der Diamant haßt den Magnet, so daß er, neben
ihn gelegt, ihn das Eisen nicht anziehen läßt. - (nett)
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