Todesort   Stahlheld sagte: »Wenn der unsterbliche Koschtschej von der Jagd zurückkehrt, dann frag ihn aus, Wassilissa, Kirbits Tochter, wo sein Tod ist. Jetzt aber wäre es gut, daß wir uns versteckten.«

Kaum hatten sich die Gäste verborgen, als der unsterbliche Koschtschej von der Jagd angeflogen kam. »Pfui, pfui«, sagte er, »früher war hier von Russengeruch nichts zu spüren und nichts zu merken, jetzt aber seh ich Russenfleisch mit eigenen Augen und schmeck es auf den eigenen Lippen.« Wassilissa, Kirbits Tochter, erwiderte: »Du bist ja selbst zu den Russen geflogen, hast den Geruch wohl dort eingesogen, darum witterst du ihn auch hier!« Koschtschej aß zu Mittag und legte sich dann hin, um auszuruhen. Wassilissa, Kirbits Tochter, kam zu ihm, warf sich ihm an den Hals, herzte und küßte ihn und sagte: »Mein liebster Freund, mit Sehnsucht hab ich dich erwartet! Ich fürchtete schon, dich nicht mehr lebend wiederzusehen; dachte, die reißenden Tiere hätten dich gefressen!« Koschtschej lachte auf: »Dummes Weib! Lange Haare, kurzer Verstand! Können mich denn die wilden Tiere fressen?« »Ja, wo ist denn aber dein Tod?« »Mein Tod, der ist im Besen, wälzt sich dort unter der Schwelle.«

Kaum war Koschtschej wieder fortgeflogen, als Wassilissa, Kirbits Tochter, zu Iwan-Zarewitsch gelaufen kam. Stahlheld fragte sie: »Sag an, wo ist denn der Tod Koschtschejs?« »Im Besen dort unter der Schwelle.« »Nein, das ist gelogen! Du mußt ihn schlauer ausfragen.« Wassilissa, Kirbits Tochter, dachte sich gleich etwas aus: sie hob den Besen auf, vergoldete ihn und schmückte ihn mit farbigen Bändern und legte ihn auf den Tisch. Als der unsterbliche Koschtschej wieder angeflogen kam, sah er den vergoldeten Besen auf dem Tisch und fragte: »Warum hast du das getan?« »Es geht nicht an«, antwortete Wassilissa, »daß dein Tod sich unter der Schwelle wälzt; er soll besser hier auf dem Tische liegen.« »Ha, ha, ha, dummes Weib! Lange Haare, kurzer Verstand! Ist denn mein Tod dort drin?« »Aber wo ist er denn?« »Mein Tod ist im Ziegenbock verborgen.«

Kaum war Koschtschej fort zur Jagd, als Wassilissa, Kirbits Tochter, den Ziegenbock mit Bändern und Glöckcheu schmückte und ihm die Hörner vergoldete. Als Koschtschej das erblickte, lachte er wieder auf: »Ach, dummes Weib! Lange Haare, kurzer Verstand! Mein Tod ist weit von hier: im Meer, im fernen Ozean, liegt eine Insel, auf der Insel aber steht eine Eiche, und unter der Eiche ist ein Kasten vergraben; im Kasten ist ein Hase, im Hasen eine Ente, in der Ente ein Ei, im Ei aber, da steckt mein Tod!« Er sagte es und flog davon. Wassilissa, Kirbits Tochter, erzählte Stahlheld und Iwan-Zarewitsch alles wieder; sie steckten Vorräte zu sich und gingen, den Tod Koschtschejs zu suchen.

War es lang, war es bald darauf, da hatten sie ihren ganzen Vorrat aufgezehrt und fingen an zu hungern. Eine Hündin mit Jungen kam ihnen entgegen. »Ich will sie töten«, sagte Stahlheld, »denn wir haben nichts mehr zu essen.« »Töte mich nicht, und mach meine Kinder nicht zu Waisen«, bat die Hündin; »ich selbst werde dir noch nützlich sein.« »Dann sei Gott mit dir!« Sie gingen weiter; da saß auf einer Eiche ein Adler mit seinen Jungen. Stahlheld sagte: »Ich werde den Adler töten.« Der Adler erwiderte: »Töte mich nicht, mach meine Kinder nicht zu Waisen; ich selbst werde dir noch nützen!« »Mag es so sein, leb weiter und bleib gesund!« Sie kamen zum Meer, zum breiten Ozean; am Ufer aber kroch ein Krebs. Stahlheld sagte: »Ich werd ihn töten.« Der Krebs antwortete: »Tote mich nicht, guter Held! Du hast an mir wenig Gewinn; ißt du mich auch, satt wirst du doch nicht. Kommt aber die Zeit, so werd ich dir nützlich sein!« »Nun, dann kriech mit Gott!« sagte Stahlheld, schaute hinaus auf das Meer, erblickte einen Fischer im Boot und rief ihm zu: »Leg am Ufer an!« Der Fischer kam mit dem Boot heran; Iwan-Zarensohn und Stahlheld setzten sich hinein und fuhren zu der Insel; sie langten dort an und gingen zur Eiche. Stahlheld packte die Eiche mit riesenstarken Armen und riß sie samt der Wurzel aus; dann zog er den Kasten hervor, öffnete ihn; ein Hase sprang heraus und lief davon, was das Zeug hielt. »Ach, wenn doch jetzt die Hündin da wäre!« sagte Iwan-Zarewitsch, »die würde den Hasen schon fangen.« Und sieh! da schleppte die Hündin schon den Hasen herbei. Stahlheld zerriß ihn, und aus dem Hasen flog eine Ente hervor und schwang sich hoch empor gen Himmel. »Ach, wenn doch jetzt der Adler da wäre!« rief Iwan-Zarewitsch aus, »der würde die Ente schon fangen.« Der Adler aber trug die Ente schon herbei. Stahlheld zerriß die Ente, ein Ei kollerte hinaus und fiel ins Meer. »Ach, wenn der Krebs doch das Ei herausholte!« sagte der Zarensohn. Der Krebs aber kroch schon heran und schleppte das Ei. Sie nahmen es mit, gingen zurück zum unsterblichen Koschtschej und warfen ihm das Ei an die Stirn - er streckte alle viere von sich und war tot.  - Russische Volksmärchen. Hg. Reinhold Olesch. München  1959 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

 

Tod Ort

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme