Todesnähe   Obgleich ich nicht glaube, seinen Einflüsterungen zu gehorchen oder vielmehr zu versuchen, ihn zu einem endlosen Aufschub zu bewegen, mit ihm zu feilschen, ihn schlauerweise mißzuverstehen, wenn auch ohne Freude; obgleich ich also keiner spezifischen Art des Todes schmeichle, als sei sie speziell mir zugedacht, verfolge ich doch einen bestimmten Weg, einen Korridor, eine Parkallee, in der alle diese Formen als Schmuck, Zeitzeichen und Meilensteine angebracht sind: Erhängte, Erwürgte, in verschiedener Weise langsam oder rasch auf grausame Art Vergiftete, denen das Leid aufs gläserne oder verzerrte arme Gesicht gemalt ist; Totenschädel, die von einem nicht immer exakten Feuer durchbohrt sind, so zerschmettert, daß der Blick nach oben zu einem hypothetischen Fenster, zu einer Brücke, einem Turm gelenkt ist; ein angedeutetes Rad zerteilt einen nunmehr geschlechts- und geschichtslosen Körper in zwei Hälften; ein Wirrwarr von Gliedern, verzehrt von einem freiwilligen Feuer, das gleichzeitig an den obersten Himmel und die unterste Hölle gemahnt. Ich schreite durch verschiedentlich von Selbstmord gefärbte Tage, die manchmal voll sind zum Überfließen, sodaß ein Totenschaum hervorrinnt und tropft; manchmal ist es nur ein eleganter und bitterer Duft, aber ich erinnere keinen Tag meines Lebens, an welchem dieser milde, namenlose Ratgeber, dieser erzieherische Freund mir nicht gefolgt wäre, indem er seinen Schritt nach dem meinen ausrichtete, nie mir vorauseilte, was unhöflich und schlechterdings herrisch wäre, nie mich aus den Augen ließ, seine Tritte mit den meinigen vermischte, sodaß ich den Ton als ein Echo auslege, als Schutzengel, als Gewissen, als mein Abbild und Duplikat, Schatten, tönende Spur, Erinnerung.   - Giorgio Manganelli, An künftige Götter. Berlin 1983
 
 

Tod Nähe

 

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