tadt,
zerstörte Die Stadt ist Zeugnis einer perfekten Katastrophe,
die nie begonnen hat, nie geendet hat und auch nicht statthat. Ich
bin die Stadt, bin ihre Zerstörung. Überall trage ich
die eisigen Brandmale des Feuers. Die Gebäude sind unter einem unmöglichen Gewicht
zusammengestürzt, ein Gott ist über die schwankenden Mauern gegangen und hat
auf den Ruinen Rast gemacht. Nein; diese Ruinen wurden ab aeterno rigoros geplant
und bewahren seit jeher die Archive ihrer eigenen Vernichtung. Die sündig spitzfindige
Unterstadt ist eine abstrakte Zeichnung, eine Geometrie perimetrischer Mauern,
die an das Bordell und den Tod,
den Samen und das Nichts erinnern.
Ich sehe mich im Geiste gefüllt mit kalzinierten Leichenteilen, die beharrlich
die Erinnerung an ein Leben hüten, das sie nie gelebt haben. Geplante Tote mit
eingebauter Vergangenheit. Ich weiß, daß der Tote einer anderen Kategorie angehört
als der Lebende, aber auch, daß der Lebende ein Handwerker des Todes ist und
der Tote ein Archiv des Lebens. Beide lügen. Die Gebeine: ihr makelloses Weiß
trägt die Inschrift der spezifischen Erinnerungen jenes Elfenbeinsplitters.
Die zerbröckelten Mauern eines zerborstenen Gebäudes gemahnen an die Wut einer
inneren Flamme. Überall siechen geschichtslose Wunden dahin: die Straßen sind
langgestreckte Narben, eisige Eiterrinnen, trocken und verödet. In mir trage
ich den Tod der Bewohner und den Tod der Tiere - der winzigen Tierlein und der
großzügigen Pferde, der munteren Mäuse, der rastlosen Ratten, der turtelnden
Tauben; sie haben nie gelebt, wurden schon als Leichen geboren. Die Geduld des
Immer hat riesige Gruben gegraben - Mahnmale antiker Explosionen. Ich, als totaler
Grundriß, bin das Gewissen meiner eingebauten Zerstörung. Wenn Pferde und Reiter
der Wüste, nach dem Vorbild der Wüste geformt, mich wirklich zum Kampf herausgefordert
und verwundet und getötet haben, dann kann ich mir auch erklären, was ich in
mir als Hufeisenspuren oder Lanzensplitter bezeichne; und ich wurde mit einer
Erinnerung an unentzifferbare Schreie und an den herben Geruch wilder Tiere
geplant. Balg und Blut. Zerschnittene Mädchenkehle. Ein Schienbein deliriert
seit jeher. Gras ist das Fundament der Kirche, und die ganze Stadt ist jetzt
der Grund, auf dem sich die Hexenscheiterhaufen erhoben; ich wurde als Hexe
verbrannt, bin Hexe, bin Traum. Alle Träume der Getöteten sind zusammen mit
der Urtötung ausgearbeitet worden. Jeder Tote träumt von anderen Toten. Die
Toten werden lebendig geträumt. Sie träumen unzerstörbare Städte, Städte mit
intakten Mauern, wie junge Körper, die den Tod nicht kennen und tausendjährige
Zeitpläne skandieren, unsterbliche Städte, senkrecht aufstrebend mit schneeweißen
Tempeln, klingend von hohlem Marmor und verrufen durch rauflustige Vergnügungsviertel,
Städte der Höhe und des unvollziehbaren Endes, mit großen Bögen und vom Boden
aus unsichtbaren Spitzen -hoch in die Lüfte ragende Orte. Jemand hat gewonnen,
nie und nimmer werden die blutduftenden Wüstenreiter hier hiniederauf gelangen,
nie werden ihre Pferde die glatten Steine der Straßen zertrampeln. Es wird kein
Seufzen und kein Wahnreden mehr geben, die Stellvertreter der falschen
Götter werden tadellose Zeremonien feiern, man wird nur noch Weihrauch,
keine Hexen und wahnschaffenen Kinder mehr verbrennen, und auch nicht die unfähigen
und kultivierten Verschwörer, die die endgültige Weltgeometrie entwerfen. Träumend
schreiben die Toten Liebesbriefe an Skelette, die sich vergeblich nähern, da
die Dokumente, denen die Chancen ihrer Körper anvertraut waren, verloren sind.
Sie träumen von Körpern, Häusern, Verzögerungen, langen vergänglichen Stunden,
eisernen Worten gegen den Ansturm der Albträume, und von ewig währender Frische
dort, wo es Glut nie geben wird. Erstaunt träumt die Stadt von der Milde unversöhnlicher
Götter. Sie träumt von wohlgefälligen Opfern, die schluchzende Unsterne beschwichtigen,
während Schmetterlingsnetze den fliegenden Schrecken eines Pestkometen haschen.
Es wäre müßig, sich zu fragen, wer die Stadt zerstört haben könnte, auch wenn
in den Träumen, die zwischen dem abwehrenden Weiß der Gebeine zerrinnen, immer
wieder Bilder von Statisten auftauchen - Kämpfern des Chaos und Meuchelmördern
des Endes, kleinen und kurzsichtigen Kunsthandwerkern der Vernichtung. - (
hoelle
)
Stadt, zerstörte(2) Mein Institut gehörte zu einer Polis, lag in einem Ort, früher Musterlager für Nordeuropa, jetzt Vorbild von Schutt, zerstörtem Karthago und den sich auflösenden Riesenmetropolen aus den Urwäldern von Saigon. Geologie der Völker, Geschichtsge walten! Von hängenden Gärten und Löwentoren zu grauer Grenzstadt, durch die die östlichen und die westlichen Karawanen zogen. Staubstürme im Sommer, mannshohe Brennessel auf den Trottoirs, und wo einst die schnittigen Verkehrsmittel fuhren, mähten sie nachts heimlich Gras für das in den Stuben verborgen-gehaltene Vieh. Eine Million menschenähnlicher Lebewesen noch in den Trümmern, doch alle ohne Beruf, hinter vernagelten Fenstern, Ratten in den Lauben. Ein Gemeinwesen! Jetzt im Winter schritt ich abends manchmal durch den Schnee aufmerksam in der Mitte der Straßen, vor Frost und Windstärken barsten die Ruinen.
Schritt vorbei an den Wärmehallen, Flüchtlingskonzernen, Konglomeratbaracken,
vorbei an den sie bewachenden Polizeirevieren, Bezirksbüros, Magistratsretiraden,
Verwaltungsauswüchsen, Organisationsexzessen, sah dahinter den Staat,
völlig wesenlos, kachektisch, mit seinen transzendenten Leistungen: er spürte
Kaninchen auf und ließ die Zahnplomben registrieren, Hühneraugen durften erst
nach einem Kurs von vier Wochen beschnitten werden.
Mit Steuerspitzeln und Politagenten nahm er den ehrbaren
Kaufmann wie mich in die Zange und gefährdete Schwarz- und Weißhändler mit Methoden,
denen gegenüber Scylla und Charybdis Walderdbeeren waren. In Konzertsälen,
Vortragszyklen, Tag- und Nachtvorstellungen
in drei Schichten bearbeitete er das Schöne, richtete
es aus: den Bogen des Philoktet und das Parzenlied hinter den Weißen Flieder
und die Caprifischer. Hin zur Wirklichkeit, zu Wahlplakaten
und schlichten Figuren, schon die Toilettenfrau war esoterisch, das zwanzigste
Jahrhundert verrichtete in Anbetracht der eingefrorenen Wasserleitungen
seine Notdurft aus den Fenstern. Ein Volk von Brüdern, Jacke wie Hose dieser
Staat! Ferner beschickte er Konferenzen, bildete Kommissionen, diese ihrerseits
veranstalteten Tagungen, auf diesen wiederum äußerten Vertreter Einerseits-Andererseits
und letzten Endes und voll und ganz. - Gottfried Benn, Der Ptolemäer. Berliner
Novelle 1947. In: G. B., Prosa und Szenen. Ges. Werke Bd. 2. Wiesbaden 1962
|
||
|
||