tadt, verlassene  Ob Armilla so ist, weil unvollendet oder weil zerstört, ob sich ein Zauber oder nur eine Laune dahinter verbirgt, ich weiß es nicht. Tatsache ist, daß es weder Wände noch Decken noch Fußböden hat: Es hat nichts, was es als Stadt erscheinen ließe, mit Ausnahme der Wasserleitungen, die senkrecht aufsteigen, wo die Häuser stehen müßten, und sich verzweigen, wo die Stockwerke sein müßten: ein Wald von Leitungen, die in Hähnen, Duschen, Siphons, Gullys enden. Weiß leuchten gegen den Himmel ein paar Waschbecken oder Badewannen oder anderes Steingut wie spätreife Früchte, die noch an den Zweigen hängen. Man könnte sagen, die Klempner hätten ihre Arbeit beendet und seien weggegangen, noch ehe die Maurer kamen; oder ihre Einrichtungen hätten, weil unzerstörbar, eine Katastrophe, Erdbeben oder Termitenfraß, überdauert.

Verlassen, bevor oder nachdem es bewohnt war, kann Armilla doch nicht als unbewohnt bezeichnet werden. Blickt man, zu welcher Stunde auch immer, zwischen den Wasserleitungen hinauf, so entdeckt man nicht selten eine oder viele junge, schlanke, nicht große Frauen, die sich in den Badewannen rekeln, sich unter den in der Luft hängenden Duschen strecken, die Waschungen machen oder sich trocknen oder parfümieren oder ihr langes Haar vor dem Spiegel kämmen. In der Sonne gleißen die von den Duschen versprühten Wasserstrahlen, die Güsse aus den Hähnen, die Sprudel, die Spritzer, der Schaum von den Schwämmen.

Die Erklärung, zu der ich gekommen bin, lautet: Über die Wasserläufe, die in die Rohre Armillas geleitet wurden, sind Nymphen und Najaden Herrinnen geblieben. Gewohnt, die unterirdischen Wasseradern hinaufzuschwimmen, war es für sie ein leichtes, in das neue aquatische Reich zu gelangen, aus vermehrten Quellen hervorzukommen, neue Spiegel, neue Spiele, neue Wasserfreuden zu entdecken.   - Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte. München 1977 (zuerst 1972)

 

Stadt Verlassenheit

 

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