Schießerei  In der Pfote des Katers war der Browning; den Primuskocher hatte er zwischen den Lüsterarmen verklemmt. Während er über den Köpfen der Männer pendelte, zielte er und nahm sie unter Feuer. Donnernd hallten die Schüsse in der Wohnung wider. Kristallsplitter regneten vom Kronleuchter auf den Fußboden, im Kaminspiegel bildeten sich krachend Löcher mit sternartigen Rissen. Kalkstaub wallte, die verbrauchten Patronenhülsen prasselten zu Boden, die Fensterscheiben zerklirrten, aus dem durchschossenen Primuskocher spritzte Benzin. Jetzt konnte keine Rede mehr davon sein, den Kater lebendig zu fangen, und die Männer eröffneten mit ihren Mausern ein rasendes und treffsicheres Feuer auf Kopf, Bauch, Brust und Rücken der Bestie. Das Feuergefecht rief auf dem asphaltierten Hof eine Panik hervor.

Aber das Feuergefecht dauerte nicht lange und hörte von selbst wieder auf. Es fügte nämlich weder dem Kater noch den Männern auch nur den geringsten Schaden zu. Niemand wurde verwundet, geschweige denn getötet. Alle, auch der Kater, blieben völlig unversehrt. Einer der Männer, um sich endgültig davon zu überzeugen, schoß fünf Kugeln auf den Kopf der verwunschenen Bestie ab, und als Antwort feuerte der Kater ein ganzes Magazin leer, doch es hatte keinerlei Wirkung. Der Kater schaukelte sich im Lüster, dessen Schwünge immer kleiner wurden, pustete in die Browningmündung und spuckte sich auf die Pfote.  - (meist)

Schießerei (2)  Die Situation hatte die Eigenheit, daß jeder Bewegung Philidors eine analoge Bewegung Anti-Philidors entsprechen mußte, und Philidor hatte die Initiative. Wenn sich Philidor verneigte, so mußte sich auch Anti-Philidor verneigen. Wenn Philidor schoß, mußte auch Anti-Philidor schießen. Alles mußte also, wohlgemerkt, in der Achse geschehen, die symmetrisch durch die beiden Gegner ging, und dies war die Achse der Situation. Ja, und was würde geschehen, wenn der andere zur Seite ausbräche? Wenn er davonspränge? Wenn er dem allen einen Streich spielen und den eisernen Gesetzen der Symmetrie ein Schnippchen schlagen würde? Ha, welchen Wahnsinn und Verrat konnte der hirnvolle Kopf Anti-Philidors nicht bergen? Ich rang mit diesen Gedanken, als plötzlich Philidor die Hand erhob, konzentrisch geradewegs auf das Herz des Gegners zielte und schoß. Schoß und - fehlte. Fehlte! Da hob der Analytiker seinerseits die Hand und zielte auf das Herz des Gegners. Schon, schon drängte sich uns der Siegesschrei in die Kehle, schon, schon schien es, daß, wenn jener synthetisch aufs Herz geschossen hatte, auch dieser aufs Herz schießen müßte. Es schien geradezu keinen anderen Ausweg, kein intellektuelles Hinterpförtchen zu geben. Doch plötzlich - es war Sache eines Augenblicks - ließ der Analytiker vor höchster Anstrengung einen leisen Pieps vernehmen, winselte auf, wich unmerklich mit dem Lauf der Pistole von der Achse ab, schoß unerwartet zur Seite und traf - traf den kleinen Finger von Frau Professor Philidor, die zusammen mit Flora Gente etwas abseits stand. Es war ein Meisterschuß! Der Finger fiel ab. Frau Philidor hob erstaunt die Hand an den Mund. Wir, die Sekundanten, verloren einen Augenblick alle Herrschaft über uns und stießen einen Schrei der Bewunderung aus.

Da geschah etwas Furchtbares. Der Hohe Professor der Synthese hielt es nicht aus. Bezaubert von der Treffsicherheit, der Meisterschaft und der Symmetrie, berauscht von unserem Schrei der Bewunderung, wich auch er ab und schoß auch er in den kleinen Finger an der Hand Flora Gentes und lachte kurz, kehlig und trocken. Die Gente hob die Hand zum Munde. Wir stießen einen Schrei der Bewunderung aus.

Wieder schoß jetzt der Analytiker, der Frau Professor den zweiten Finger abtrennend, die ihre andere Hand zum Munde führte. Wir stießen einen Schrei der Bewunderung aus, und eine Viertelsekunde darauf schoß auch schon der Synthetiker. Der Schuß, mit unfehlbarer Sicherheit aus einem Abstand von siebzehn Metern abgegeben, trennte Flora Gente den analogen Finger ab. Die Gente hob die Hand zum Munde. Wir stießen einen Schrei der Bewunderung aus. Und so ging das nun weiter. Das Geschieße dauerte ohne Unterlaß, verbissen, heftig und herrlich wie die Herrlichkeit selber, und die Finger, die Ohren, die Nasen, die Zähne fielen wie die Blätter eines vom Sturmwind gezausten Baumes; wir aber, die Sekundanten, konnten kaum mit den Bewunderungsschreien nachkommen, die uns die blitzartige Treffsicherheit entriß. Beide Damen waren bereits aller ihrer natürlichen Extremitäten und Vorsprünge entledigt und fielen nur deshalb nicht tot um, weil sie ebenfalls kaum nachkommen konnten; und übrigens glaube ich, daß sie ihre Wollust dabei hatten, sich einer derartigen Treffsicherheit darzubieten. Doch zuletzt fehlte es an Munition. Der Meister aus Colombo durchbohrte mit dem letzten Schuß Frau Professor Philidor genau die rechte Lungenspitze, der Meister aus Leyden mit dem letzten Schuß als Erwiderung die rechte Lungenspitze Flora Gentes. Wir stießen noch einmal einen Schrei der Bewunderung aus, und dann herrschte Stille. Beide Rümpfe sanken tot zu Boden - beide Schützen blickten sich an.

Was nun? Beide blickten einander an und wußten beide nicht, was? Nun, was eigentlich? Patronen waren keine mehr da. Und übrigens lagen die Leichen bereits am Boden. Eigentlich gab es nichts mehr zu tun. Es wurde zehn Uhr. Eigentlich hatte die Analyse gesiegt, aber was war das schon? Absolut nichts. Ebensogut hätte die Synthese siegen können, und auch das wäre nichts weiter gewesen. Philidor nahm einen Stein und warf ihn nach einem Spatzen, doch er fehlte, und der Spatz flog davon. Die Sonne fing an zu brennen, Anti-Philidor nahm einen Erdklumpen und warf ihn gegen einen Baumstamm und - traf. Unterdessen kam Philidor ein Huhn in Wurfweite, er warf, traf, das Huhn flüchtete und versteckte sich im Gebüsch. Die Gelehrten traten von ihren Standpunkten ab und gingen davon — jeder in seine Richtung. - (fer)

 Gangster Revolverheld Schuß Polizei Schießen

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme