Pflanze, steinerne  Im reinen Wasser des Bergkristalls erkennt man sie am deutlichsten. Sie sind von intensivem Schwarz, fleischig, gegabelt wie Zypressenblätter, aus verschachtelten Gelenken wie Tarsen von Gliederfüßlern. Nie war eine Pflanze lebendiger: das unschmelzbare Leichentuch aus Eis hat ihr schlankes Wachstum offenbar nicht zum Stillstand gebracht. Noch mehr Steinbrech als das hohe Kraut, das, an senkrechten Felswänden in Gebirgen verankert, zumindest seine Schäfte in die frische Luft streckt, bahnen sich die Dendriten mit Leichtigkeit ihren Weg im harten, durchsichtigen Fels. In ihm arbeiten sie ihre Halme, ihre Kreuzwege aus. Ob im Sandstein, Achat oder Quarz, ob im trüben Dunkel oder im hellen Glanz, immer sind es identifizierbare und täuschende Bilder, Girlanden aus Eibenblättern und tropischen Farnen, im Fieber der Fortpflanzung überraschte oder durch plötzlichen Zauber zu unwiderruflicher Erstarrung verdammte Moose. Nichts erscheint in solchem Maße vegetabilisch; nicht einmal, wo sie doch die Durchpausung wirklicher Pflanzen verewigen, die Spuren des Farns in der Steinkohle, der Meerlilie im Schiefer. Und trotzdem sind die Dendriten nie lebendig gewesen. Niemals bewässerte auch nur ein Tröpfchen ihre verzweigten Spitzengewebe, niemals schwärmten Samen aus geheimen Quersäcken in ihnen hoch, um sie ringsum zu vermehren. Ihr zartes Laubwerk wurde von einer blinden Kristallisation toter Stoffe, metallischer Oxyde in den Stein eingeschrieben.  - (cail)
 
 

Pflanze Stein

 

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Dendrit