eichentuch Am Abend, bevor mein Schwiegervater stirbt, hörten 2 Frauenzimmer in der Kammer, als ob Särge im Saal nebenan zugenagelt würden, kamen erschreckt, sagten, daß er bald stirbt.
Meine Frau sitzt in der Nacht neben ihm, ein weißes Tuch fällt draußen vor
dem Fenster nieder, als wäre es vom Dach gefallen. Sie wird ängstlich, geht
in die nächste Kammer, wo ein anderer war und gleich verschreckt sitzt, denn
es war auch vor seinem Fenster niedergefallen. Sie gehen hinein, und der Alte
tut seinen letzten Atemzug. -
(
nem
)
Leichentuch (2) Einer von
uns Inquisitoren fand einen Ort, der infolge der Sterblichkeit unter den Menschen
fast verödet war. Dort ging das Gerücht, daß ein begrabenes Weib das Leichentuch,
in welchem sie begraben war, nach und nach verschlänge, und die Pest nicht aufhören
könnte, wenn jene nicht das Leichentuch ganz verschlänge und in den Bauch aufnähme.
Nachdem ein Rat darüber abgehalten war, gruben der Schulze und der Vorsteher
der Gemeinde das Grab auf und fanden fast die Hälfte des Leichentuches durch
Mund und Hals hindurch bis in den Bauch gezogen und verzehrt. Als der Schulze
das sah, zog er in der Erregung das Schwert, schlug der Leiche das Haupt ab
und warf es aus der Grube, worauf die Pest plötzlich aufhörte. -
Jakob Sprenger, Heinrich Institoris: Der Hexenhammer. München 1985 (dtv klassik,
zuerst 1487)
Leichentuch (3) »Wenn du stirbst, ob von Sünden losgesprochen oder verdammt,« flüsterte Scarbo heute nacht in mein Ohr, »sollst du ein Leichentuch aus Spinngewebe haben, und ich will die Spinne mit dir verscharren!«
»Ach! wenn ich wenigstens ein Espenblatt als Leichentuch hätte, in dem mich das Plätschern des Sees einwiegen würde«, antwortete ich ihm mit Augen, die von so viel Weinen rot.
»Nein!« - hohnlachte der spöttische Zwerg, - »du würdest Futter für den Stutzkäfer sein, welcher abends auf kleine Fliegen jagt, die nach Sonnenuntergang ganz blind sind!«
»Siehst du es denn lieber,« antwortete ich ihm immer klagend, »siehst du es denn lieber, daß ich von dem langen Rüssel einer Tarantel ausgesogen werde?«
»Nun wohl,« - fügte er hinzu - »tröste dich, du sollst die goldgefleckten Ringeln einer Schlangenhaut als Leichentuch haben, in welche ich dich wie eine Mumie einhüllen will.
»Und von der düsteren Krypte des heiligen Benignus aus, wo ich dich aufrecht
an der Mauer bestatten werde, sollst du zu deiner Muße die kleinen Kinder in
der Vorhölle weinen hören.« - Aloysius Bertrand: Gaspard de la Nuit, nach
(bo4)
Leichentuch (4) Der Körper von Anderson Nez lag, mit einem Tuch bedeckt, auf einer Bahre im Northern Arizona Medical Center in Flagstaff und wartete darauf, abgeholt zu werden.
Shirley Ahkcah, die kaum einen Meter entfernt in der Intensivstation hinter
ihrem Schreibtisch saß, erinnerte der Umriß der verhüllten Gestalt an den Sleeping
Ute Mountain, wie er sich vom Hogan ihrer Tante in der Nähe von Teec Nos Pos
dem Blick des Betrachters darbot. Die Füße des Toten hoben das Tuch und bildeten
eine Form, die dem Gipfel ähnelte. Dahinter senkte sich der weiße Stoff in unregelmäßigen
Falten und glich aus Shirleys Perspektive den Berghängen, die sie aus ihrer
Kindheit m Erinnerung hatte, wenn zu Beginn eines jeden Winters der Schnee sich
über Buckel und Grate legte und sie zudeckte. - Tony Hillerman,
Die Spur des Adlers. Reinbek bei Hamburg 2000
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