rdnung, natürliche   Die Bernhardinerkrebse, die sich zu hunderten in jeder Lache finden, beschäftigen unsern Freund Bakunin sehr. Er hat sich eine ganze Sammlung von verschiedenen Muschelarten, die alle von solchen Schmarotzerkrebsen bewohnt sind, in einigen Schüsseln auf seiner Stube angelegt, und studirt nun mit großem Eifer die Sitten und Gebräuche dieser kuriosen Geschöpfe, die sich in ihren geborgten Gehäusen eben so wohl befinden, als andere Schnecken in der selbstgebauten Wohnung. Bakunin hat daraus den Schluß gezogen, daß der Communismus in der natürlichen Ordnung der Dinge vollkommen begründet sei, und daß diejenigen Menschen, deren Anlagen mit den Bernhardinerkrebsen einige Analogie hätten, auch vollkommen berechtigt seien, die Häuser Anderer, als die ihrigen anzusprechen. Nun sei aber gerade der Neid eine der wesentlichsten Grundeigenschaften des menschlichen Gemüthes, das stets dasjenige zu besitzen wünsche, was schon Anderen angehöre und aus diesem Grunde müsse man denn auch anerkennen, daß der Communismus nothwendig dem Menschengeschlechte im Ganzen vindicirt werden müsse. Um aber bei den Bernhardinerkrebsen stehen zu bleiben, so könne man doch wahrlich nicht verlangen, daß Geschöpfe mit so weichem Hinterleibe, wie diese Eremiten, sich ohne eine Hülle ihres Hinterleibes allen Gefahren des Meeres preisgeben sollten, und auch aus dieser Nothwendigkeit fließe demnach ihre Berechtigung, die Muscheln ihrer Schale zu berauben, und sich selbst dafür hineinzusetzen. Indeß darf ich nicht übergehen, daß die psychologischen Studien Bakunins über die Bernhardinerkrebse schon zu dem Resultate geführt haben, daß diese Herrn Nachts ihre Gehäuse verlassen und frei draußen herumspazieren.

Vorgestern ist nun einigen dieser nächtlichen Spaziergänger ein fataler Streich begegnet. Während  ihrer Abwesenheit von dem Gehäuse hatten sich einige jüngere Genossen in die verlassenen geräumigeren Schalen geräuschlos eingemiethet, und als die Besitzer dieselben beim Anbruche des Tages wieder beziehen wollten, vertheidigten sich die Usurpatoren so mannhaft gegen die rechtmäßigen Besitzer, daß die Belagerer unverrichteter Sache abziehen mußten. Bakunin hatte während der Nacht einen gräulichen Rumor in der Schüssel gehört und fand nun am Morgen die zwei Ausgetriebenen nackt und blos vor den Gehäusen sitzen, welche man ihnen zurückgelassen hatte, die aber zu enge waren, als daß sie hätten bezogen werden können. Bakunin versicherte, daß die Unglücklichen ihn ganz melancholisch aus ihren dunkelgrünen Augen angesehen hätten und daß er manchmal im Begriffe gewesen sei, sie in den legitimen Besitz ihrer alten Gehäuse wiedereinzusetzen. Doch hatte er auf der anderen Seite wieder einige und auch scheinbar sehr gegründete Zweifel an dieser supponirten Legitimität der Vertriebenen, und so verhielt er sich ganz wie Louis Philipp und Metternich; er betrachtete die Sache als ein fait accompli und erhielt den status quo. Das ging dann aber den Vertriebenen so zu Herzen, daß sie noch desselbigen Tages das Zeitliche segneten, wodurch ihm aufs Neue ein schwerer Stein vom Herzen fiel, indem er nun nicht mehr für die vertriebenen Legitimen zu sorgen hatte.  - Carl Vogt, in: Unterhaltungen mit Bakunin. Hg. Arthur Lehning. Nördlingen 1987

Ordnung, natürliche (2)  Es kommt vor, daß er das Mäuschen erwischt, und das läuft nicht ohne Erschütterung für mich ab, denn er frißt es ja ohne Erbarmen bei lebendigem Leibe und mit Pelz und Knochen, wenn er seiner habhaft wird. Vielleicht war das unglückselige Wesen von seinem Lebenstriebe nicht gut beraten gewesen und hatte sich eine allzu weiche, ungesicherte und leicht aufwühlbare Stelle zu seinem Bau erwählt; vielleicht reichte der Stollen nicht tief genug, und vor Schreck war es dem Tierchen mißlungen, ihn rasch weiter hinab zu treiben, es hatte den Kopf verloren und hockte nun wenige Zoll unter der Oberfläche, während ihm bei dem furchtbaren Schnauben, das zu ihm drang, vor Entsetzen die Perläuglein aus dem Kopfe traten. Genug, die eiserne Klaue legt es bloß, wirft es auf - herauf, an den grausamen Tag, verlorenes Mäuschen! Mit Recht hast du dich so geängstigt, und es ist nur gut, daß die große berechtigte Angst dich wahrscheinlich schon halb bewußtlos gemacht hat, denn nun wirst du in Speisebrei verwandelt. Er hat es am Schwanz, zwei-, dreimal schleudert er es am Boden hin und her, ein ganz schwaches Pfeifen wird hörbar, das letzte dem gottverlass'nen Mäuschen vergönnte, und dann schnappt Bauschan es ein, in seinen Rachen, zwischen die weißen Zähne. Breitbeinig, die Vorderpfoten aufgestemmt, mit gebeugtem Nacken steht er da und stößt beim Kauen den Kopf vor, indem er den Bissen gleichsam immer von neuem fängt und ihn sich im Maule zurechtwirft. Die Knöchlein knacken, noch hängt ein Pelzfetzen einen Augenblick im Winkel seines Maules, er fängt ihn, dann ist es geschehen, und Bauschan beginnt eine Art von Freuden- und Siegestanz um mich herum aufzuführen, der ich auf meinen Stock gelehnt an der Stätte stehe, wie ich während des ganzen Vorganges zuschauend gestanden habe. »Du bist mir einer!« sage ich mit grausenvoller Anerkennung zu ihm und nicke. »Ein schöner Mörder und Kannibale bist du mir ja!« Auf solche Worte hin verstärkt er sein Tanzen, und es fehlt nur, daß er laut dazu lachte. So gehe ich denn auf meinem Pfade weiter, etwas kalt in den Gliedern von dem, was ich gesehen habe, und doch auch wieder aufgeräumt in meinem Innern durch den rohen Humor des Lebens. Die Sache ist in der natürlichen Ordnung, und ein von seinen Instinkten mangelhaft beratenes Mäuschen wird eben in Speisebrei verwandelt. Aber lieb ist es mir doch, wenn ich in solchem Falle der natürlichen Ordnung nicht mit dem Stocke nachgeholfen, sondern mich rein betrachtend verhalten habe. - Thomas Mann, Herr und Hund. Ein Idyll. Frankfurt am Main 1963 (zuerst 1919)
 
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