dyll
Ein alter, kalter Leichnam hängt
an einem Telegraphenmast
Nach seinen Schlenkerbeinen faßt
ein ausgespreizter Eichenast.
Lautkeuchend um den Leichnam pfeift
und um den Ast ein Windsgebrüll. --
Da bammeln beide wüst und wild;
ich seh im Schatten nur das Bild,
wie oft der Ast die Beine streift
und zufaßt - und daneben greift ...
Oh, welch ein liebliches Idyll!

- Erich Mühsam

Idyll (2) Brecht ist, verglichen mit Autoren seiner Zeit, etwa William Faulkner und Samuel Beckett, sicherlich ein Trivialautor. Ich konnte ihn nie leiden, weder seine früheren genialischen Kraftmeiereien noch seine vorsichtigen, gehemmten Lehrstückchen der mittleren Periode, noch seine späteren aufgeklärten Weltproblemstücke noch seine letzten abgeklärten chinoiden Teekannensprüche. Seine Denkmodelle scheinen mir, wenn ich an die Kompliziertheit meines eigenen Bewußtseins denke, allzu vereinfacht und widerspruchslos: alle gegebenen Widersprüche werden beseitigt von dem einzigen großen Widerspruch, den es für Brecht gibt: den zwischen den Zuständen, wie sie sind und wie sie nach seiner Meinung sein sollten: in dieses glatte Widerspruchsmodell gehen alle Widersprüche des Bewußtseins auf und bleiben nicht geordnet-ungeordnet wie bei Beckett, der kein so einfaches Denkmodell wie das marxistische kennt. Deswegen ist Brecht so einfach, vereinfacht: er zeigt zwar die Widersprüche, aber er zeigt auch die einfache Lösung dafür. Diese Lösung ist aber für mich nichts als ein Bonmot oder ein Aphorismus, in dem eine mögliche Ordnung der Welt behauptet wird, die man an die Stelle der Widersprüche setzen könnte. So geht alles bei ihm auf wie in einem Denkspiel, einfach und manchmal auch spannend, ergreifend (so sagt man), manchmal auch so schön, daß es gar nicht mehr wahr ist. Seine Arbeiten sind Idyllen. - Peter Handke, Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms. Frankfurt am Main 1972 (st 56)

Idyll (3)

In einer Kneipe. Sonntags. Auf dem Land.
Vier Frauen rund um einen Tisch.
Sie waren nicht mehr jung und frisch.
Und eine hatte eine verkrüppelte Hand.

Sie tranken Bier. Und plauderten. Eintönig.
Wobei sie mit den Köpfen nickten.
Und treu sich in die Augen blickten.
Und ihre Busen bebten schon ein wenig.

Bald machten Tränen ihre Augen naß.
Mit heißen Händen schlugen sie die Brüste.
Sie schwelgten wie im Taumel süßer Lüste.
Und kreischten geil. Und wußten selbst nicht was.

 - Nach: Friedrich Wilhelm Wagner, Jungfraun platzen männertoll. Siegen 1986 (Vergessene Autoren der Moderne XXI, zuerst 1920)

Idyll (4)

Idyll (5)

Idyll (6)  Man darf sich, das'Leben in dem Mordhause keineswegs düster vorstellen. Es war ein heiter bewegtes Idyll. Fortwährend kamen und gingen Knaben und Jünglinge. Schüler, Obdachlose, Arbeitslose, entlaufene Fürsorgezöglinge, Gäste aus der Herberge zur Heimat. Es wurde getauscht, gehandelt, getrunken, gesungen, geschmaust. Haarmann galt ihnen allen als guter Beschützer und Herbergsvater. In der großen Butzenklappe unter der Treppe, wo er die Toten verbarg, standen neben der Leiche Töpfe mit Fleisch, lagen Näschereien, Käse, Wurst, Schokolade für die hübschen Jungen. Man schlief oft zu dreien und vieren; wechselweise Geschlechtliches treibend. Auch Elli, Dörchen und Anni kamen oft zu Gast. Dörchen, eine energische resolute Person, trotz Lues und Luderleben immer noch schön und wohlansehnlich., besorgte Haarmanns kleinen Haushalt; nahm das Zimmer auf, kochte für die ganze Gesellschaft Schokolade oder Kaffee und saß wohl auch an langen Nachmittagen bei Haarmann auf dem Bett. „Herr Haarmann konnte alles. "Wir stopften zusammen Strümpfe, besserten die Kleider aus. Auch Sülze machen und Wurst bereiten konnte Herr Haarmann. Wenn wir nähten oder flickten, dann rauchten wir Zigarren; dann nahm mich Herr Haarmann fest um die Taille und sagte: ,Dörchen, du bist die Beste. Ich heirate dich doch noch.' Aber Herr Haarmaun machte doch nur Spaß. Denn er wollte mich ja nicht; er war ja man immer bloß für Jungens." — Freilich gab es dann auch immer wieder ganze Tage und Nächte, wo Haarrmann niemanden in sein Zimmer einließ und die Besucher wegschickte. Dann waren die zwei Fenster nach der Straße und das Fenster am Treppenabsatz sorglich verhängt, und das Schlüsselloch der Türe war verstopft. Er zerlegte dann eine Leiche. - Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925
 

Paradies Ruhe

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