akunin
Alles war an ihm kolossal, mit einer auf primitive Frische deutenden
Wucht. Ich habe nie den Eindruck von ihm empfangen, als ob er besonders
viel auf meine Bekanntschaft gäbe, da ihm im Grunde auf geistig begabte
Menschen nicht mehr viel anzukommen schien, wogegen er einzig rücksichtslos
tatkräftige Naturen verlangte; wie es mir späterhin aufging, war aber auch
hierin die theoretische Forderung in ihm tätiger, als das rein persönliche
Gefühl, denn er konnte eben hierüber viel sprechen und sich erklären, überhaupt
hatte er sich an das Sokratische Element der
mündlichen Diskussion gewöhnt, und augenscheinlich war es ihm wohl, wenn
er sich, auf dem harten Kanapee seines Gastfreundes
ausgestreckt, mit recht viel verschiedenartigen Menschen über die Probleme
der Revolution diskursiv vernehmen lassen
konnte. Bei diesen Gelegenheiten blieb er stets siegreich; es war unmöglich,
gegen seine bis über die äußersten Grenzen des Radikalismus nach jeder
Seite hin, mit größter Sicherheit ausgedrückten Argumente sich zu behaupten.
Er war so mitteilsam, am ersten Abend unsrer Zusammenkunft, mich über den
Gang seiner Entwickelung zu unterrichten. Als russischer Offizier von vornehmer
Familie hatte ihn, den unter dem Drucke des borniertesten Militärzwanges
Leidenden, die Lektüre Rousseauscher
Schriften dahin gebracht, unter dem Vorwand eines Urlaubes nach Deutschland
sich zu flüchten; dort in Berlin hatte er sich
mit dem Eifer eines zur Kultur erwachenden Barbaren
auf die Philosophie geworfen; es war die
Hegelsche Philosophie, welche er als herrschende antraf, und in welcher
er sich schnell so weit schulte, daß er die renommiertesten Jünger des
Meisters mit einem, in streng Hegelscher
Dialektik sich bewegenden Aufsatze, aus dem Sattel ihrer eigenen Philosophie
warf. Nachdem er so die Philosophie, nach seinen Aussprüchen, in sich beiseite
gebracht, war er nach der Schweiz gegangen, hatte dort den Kommunismus
gepredigt, und war über Frankreich und Deutschland nun wieder an die Grenzen
der slavischen Welt zurückgekehrt, von welcher er, ihrer mindesten Verdorbenheit
durch die Zivilisation wegen, das Heil der Regeneration der Menschheit
erwartete. Seine Hoffnung in diesem Betreff gründete er in Wirklichkeit
auf den im russischen Nationalcharakter am stärksten ausgeprägten Typus
der Slaven. Als Grundsatz desselben glaubte er naive Brüderlichkeit und
den Instinkt des Tieres gegen den verfolgenden Menschen im natürlichen
Hasse des russischen Bauers gegen den ihn quälenden
Edelmann zu erkennen. Hierfür berief er sich auf die kindisch dämonische
Freude des russischen Volkes am Feuer, auf welche
schon Rostopcin sein Stratagem gegen Napoleon beim Brande von Moskau berechnet
hatte. Er meinte, dem russischen Bauer, in welchem die natürliche Güte
der bedrückten menschlichen Natur sich am kindlichsten erhalten habe, sei
nur beizubringen, daß die Verbrennung der Schlösser seiner Herrn mit allem
was darin und daran, vollkommen gerecht und Gott wohlgefällig sei, um eine
Bewegung über die Welt hervorzurufen, aus welcher mindestens doch eben
die Zerstörung alles dessen hervorgehen müsse, was, aus dem tiefsten Grunde
beleuchtet, selbst dem philosophischsten Denker des zivilisierten Europas
als eigentlicher Quell des Elendes der ganzen modernen Welt erkenntlich
sein müßte. Diese zerstörende Kraft in Bewegung zu setzen, dünkte ihm das
einzig würdige Ziel der Tätigkeit eines vernünftigen Menschen.
-
Richard Wagner, in: Unterhaltungen mit Bakunin. Hg. Arthur Lehning. Nördlingen
1987
Bakunin (2) Er war wie ein Riese, gewaltig, kräftig und schwer, der kaum durch die Tür eines unserer normalen Häuser hätte treten können, ohne seinen Kopf mit dem weichen, grauen Filzhut — ich habe nie gesehen, daß er ihn zog oder abnahm — bücken zu müssen.
Man hätte glauben können, er sei an seinem Schädel festgeschraubt, und als diese Kopfbedeckung einmal für einige Sekunden von ihm verschwand, geschah das nicht durch Bakunin selbst, sondern unter besonderen Umständen, von denen ich später berichten werde.
Alles war gut proportioniert, der Rumpf und die Gliedmaßen, jedoch von solch kolossalen Ausmaßen, daß er mit seinem ruhigen, regelmäßigen, festen und eher langsamen, aber weiten Schritt seinen Begleiter zum Laufen zwang, wollte der nicht hinter ihm zurückbleiben.
Der enorme Kopf, den ein Wald langer, wirrer, nie gekämmter Haare bedeckte, und der Bart, der seinen Unterkiefer und z.T. seine Backen überwucherte, bekrönten sehr passend das ganze Monument.
Er war ein kalmückischer Typ, plattes Gesicht mit breiten Zügen und hervorstehenden Backenknochen. — Hohe Stirn, kleine, aber funkelnde Augen, die schnell ihren Ausdruck wechselten, Funken sprühend, Blitze schießend und von wilder Härte. Um den Mund hatte er einen ironischen oder drohenden Zug, bisweilen verzog er sich zu einem weibischen Lächeln.
Sein Gang war aufrecht, aber er hielt den Kopf gesenkt wie alle zu groß geratenen Leute und wie alle diejenigen, die im Leben hartnäckig einem Ziel hinterherjagen, das nicht den niedrigen irdischen Horizont übersteigt, oder wie diejenigen, die mehr in sich selbst die Lösungen suchen, als daß sie das Leben um sie herum beobachten und die anderen studieren.
Seine Winter wie Sommer stets gleiche Kleidung, die er nie wechselte, bestand aus schweren Stiefeln deren halb verschlissener Schaft den unteren Teil des Hosenbeins verdeckte, wobei eine Art Riemen, der nie zugezogen war, als einzige Stütze diente, aus einer weiten, nach keinem bekannten Muster geschnittenen, nicht taillierten, mit einem einzigen Knopf am Halskragen zu schließenden, wallenden grauen Houppelande. Um den Stiernacken war lose ein schlecht geknotetes Stück Stoff gewunden, aus dem an einigen Stellen ein nicht gestärkter, zerknitterter, immer schmuddeliger Hemdkragen hervorlugte. — Auf dem Kopf der berühmte Filzhut, grau und schlaff, der niemals neu gewesen zu sein schien.
Diese Stiefel, diese Hose, diese Houppelande, dieses Halstuch, dieser Hut, niemals trennte sich Bakunin von ihnen — selbst nachts nicht —, denn er schlief immer völlig angekleidet, mit Stiefeln und Hut, auf einem Brett, das auf zwei niedrigen Böcken ruhte und auf dem eine Matratze lag.
Diese Stiefel, diese Hose, diese Houppelande wiesen Spuren vom Schmutz aller Winter und vom Staub aller Sommer auf, die sie gesehen hatten — alles in allem eine beträchtliche Zahl —, ebenso verriet der ungepflegte Bart häufig die Speisekarte der vergangenen Woche.
Bei all dem wirkte er distinguiert, ich versichere es Ihnen, und niemand kam bei seinem Anblick auf die Idee, zu lachen oder ihn zu bekritteln.
Eines Tages jedoch war ein wenig Gips zu dem übrigen Schmutz auf seiner Houppelande, auf der sich die alltäglichen Geschehnisse widerspiegelten, hinzugekommen, und ein Italiener — die Leute aus dem Süden haben keine Hemmungen und trauen sich alles! — sagte zu ihm: »Bakunin, Sie sollten sich etwas abbürsten!«
Ich werde nie seinen heftigen, kräftigen Ton und den zornigen, wilden
Blick vergessen, als er antwortete: »Ich will mich nicht abbürsten!«
- Arthur Arnould, in: Unterhaltungen mit Bakunin. Hg. Arthur
Lehning. Nördlingen 1987 (Die Andere bibliothek)
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