ährboden
DER GROSSGRUNDBESITZER träumt,
daß einer seiner Arbeiter viele Stellen seines Landstückes aufgräbt
und überall kommt ein Leichnam zum
Vorschein. Er läßt den Arbeiter das ganze Gebiet um das Haus
umgraben. Aber es gibt keine Stelle, unter welcher nicht ein
Toter begraben liegt. Jetzt läßt der Großgrundbesitzer
von hunderten von Arbeitern sein ganzes Land umgraben, aber tatsächlich
ist es, ohne Ausnahme, unter einer dünnen Erdschicht dicht von
Leichen bedeckt. Jede zum Vorschein
kommende Leiche, es sind Körper verschiedenen
Alters und beiderlei Geschlechtes,
läßt er sich vorführen, und er erinnert sich, sie alle eigenhändig
umgebracht zu haben. Die Angst jedoch, selbst getötet zu werden,
läßt ihn seine Verbrechen nicht anzeigen. Er kommt auf die Idee,
den oder die Mörder suchen zu lassen. Zu diesem Zwecke
organisiert er einen Apparat von Beamten, die er hoch bezahlt.
Schon wenige Tage später ist ein Mörder
gefunden. Obwohl der Großgrundbesitzer weiß, daß es sich bei
dem Mann, der völlig unbekannt ist, nicht um den Mörder handeln
kann, läßt er ihn einem Gericht ausliefern, das ihn zum Tode
verurteilt. Der Mörder wird hingerichtet. Auf diese Weise finden
die Beamten noch viele Mörder. Sie finden schließlich genauso
viele Mörder als es Ermordete gibt. Sie alle werden hingerichtet
und auf dem Grundstück des Großgrundbesitzers eingegraben. Jetzt
erwacht der Großgrundbesitzer und steht auf. Er geht in den Wald,
um festzustellen, wieviel und welche Bäume
er noch diesen Herbst schlagen lassen wird. Diese Frage beschäftigt
ihn schon tagelang. - Thomas Bernhardt, Zwei
Ereignisse. In: Lesebuch. Deutsche Literatur zwischen 1945 und
1969. Hg. Klaus Wagenbach. Berlin 1980 (zuerst 1957)
Nährboden (2)
Nährboden (3) Vor kurzem wies der schottische Biochemiker
A. G. Cairns-Smith darauf hin, daß die Annahme, die Biochemie des neugeborenen
Lebens sei dieselbe wie die des heutigen Lebens, der Voraussetzung einer „High-Tech"-Biogenese
gleichkäme. Es ist wahr, daß sogar die ältesten bekannten Fossilien von Bakterien
sozusagen technisch hochentwickelt waren. Aber Äonen vorher muß die Geburt des
Lebens selbst viel einfachere, technisch wenig komplizierte Strukturen hervorgebracht
haben. Nach solchen einfachen Strukturen, so führt er im einzelnen aus, sollten
wir auf dem biogenetischen Nährboden gewisser kristalliner Festkörper, gewisser
feuchtgehaltener Minerale, suchen.
Der Gedanke, die ersten Lebensformen seien kristallin gewesen, ist als solcher
nicht neu. Es ist bekannt, daß im Bereich zwischen der belebten und der unbelebten
Natur Kristalle den höchsten Grad stabiler Ordnung darstellen. Inorganische
Materie kann nicht mehr geordnete, stabile Systeme schaffen, als in Kristallen
gefunden werden. Organische Materie kann das und tut es immer.
Cairns-Smith, ein Spezialist der Chemie der Tonerden, behauptete, daß die
ersten Lebensformen im Grunde eine kristalline Festkörperstruktur hatten, diese
Chemie aber mit dem ergänzt hätten, was später das DNS-RNS-Proteinsystem des
„modernen" Lebens wurde. Zweieinhalb Milliarden Jahre lang modern. -
(zeit)