ärrin
Die Eitelkeit, die man
dem schönen Geschlechte so vielfältig vorrückt, wofern sie ja
an demselben ein Fehler ist, so ist
sie nur ein schöner Fehler. Denn zu geschweigen, daß die
Mannspersonen, die dem Frauenzimmer so gerne schmeicheln, übel
daran sein würden, wenn dieses nicht geneigt wäre, es wohl aufzunehmen,
so beleben sie dadurch wirklich ihre Reize. Diese Neigung ist
ein Antrieb, Annehmlichkeiten und den guten Anstand zu zeigen,
ihren munteren Witz spielen zu lassen, imgleichen durch die veränderliche
Erfindungen des Putzes zu schimmern und ihre Schönheit zu erhöhen.
Hierin ist nun so gar nichts Beleidigendes vor andere, sondern
vielmehr, wenn es mit guten Geschmacke gemacht wird, so viel
Artiges, daß es sehr ungezogen ist, dagegen mit mürrischem Tadel
loszuziehen. Ein Frauenzimmer, das hierin gar zu flatterhaft
und gaukelnd ist, heißt eine Närrin; welcher Ausdruck
gleichwohl keine so harte Bedeutung hat, als mit veränderter
Endsilbe beim Manne, so gar, daß, wenn man sich untereinander
versteht, es wohl bisweilen eine vertrauliche Schmeichelei anzeigen
kann. Wenn die Eitelkeit ein Fehler
ist, der an einem Frauenzimmer sehr wohl Entschuldigung verdient,
so ist das aufgeblasene Wesen an ihnen
nicht allein, so wie an Menschen überhaupt, tadelhaft, sondern
verunstaltet gänzlich ihren Geschlechtscharakter. Denn diese
Eigenschaft ist überaus dumm und häßlich
und dem einnehmenden bescheidenen Reize gänzlich entgegen gesetzt.
Alsdenn ist eine solche Person in einer schlüpfrigen Stellung.
Sie wird sich gefallen lassen, ohne alle Nachsicht und scharf
beurteilt zu werden; denn wer auf Hochachtung pocht, fodert alles
um sich zum Tadel auf. Eine jede Entdeckung auch des mindesten
Fehlers macht jedermann eine wahre Freude, und das Wort Närrin
verliert hier seine gemilderte Bedeutung. Man muß Eitelkeit und
Aufgeblasenheit jederzeit unterscheiden. Die erstere sucht Beifall
und ehret gewisser maßen diejenige, um deren willen sie sich
diese Bemühung gibt, die zweite glaubt sich schon in dem völligen
Besitze desselben, und, indem sie keinen zu erwerben bestrebt,
so gewinnt sie auch keinen. - Immanuel Kant, Beobachtungen
über das Gefühl des Schönen und Erhabenen (1764)
Närrin (2) Doña Beatrix, welche die Zauberkraft ihrer Reize gar hoch anschlug, ärgerte sich gewaltig, daß sie den kürzeren gezogen. Als gute Spanierin nährte sie im Innersten ihres Herzens bereits große Begierde nach Rache, als sie von Don Jacinto de Romarata, ebenfalls einem Liebhaber Doña Mencias, einen Brief erhielt, worin er ihr schrieb, die Heirat seiner Geliebten habe ihn nicht weniger verletzt als sie und er habe im Sinn, sich mit dem Ritter, der sie ihm entrissen, zu schlagen.
Dieser Brief war ihr sehr willkommen, denn sie verlangte den Tod des Sünders
und hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als daß Don Jacinto seinen Nebenbuhler
töten möchte. Während sie nun voll Ungeduld dieser christlichen Genugtuung entgegensah,
geschah es zufällig, daß ihr Bruder mit ebendiesem Jacinto in Streit geriet
und im Duell von zwei Stichen getroffen wurde, an denen er starb. Dona Beatrix
wäre nun verpflichtet gewesen, den Mörder ihres Bruders gerichtlich zu verfolgen;
sie tat es aber nicht, um Don Jacinto Zeit zu lassen, den St.-Jago-Ritter anzugreifen.
Ein deutlicher Beweis, daß den Damen nichts heilig und teuer ist, wenn dabei
ihre Schönheit nicht ins Spiel kommt! So handelte schon Pallas, als Ajax die
Kassandra schändete; die Göttin bestrafte den ruchlosen Griechen, der ihr Heiligtum
entweiht hatte, nicht auf der Stelle; er mußte ihr zuvor wegen des Richterspruches
des Paris rächen helfen. Aber ach! Dona Beatrix war nicht so glücklich wie Minerva
und sollte die Süßigkeit der Rache nicht kosten! Romarata fiel im Kampfe mit
dem Ritter, und der Verdruß darüber hat die schöne Dame um ihren Verstand gebracht.
- Alain René Lesage, Der Hinkende Teufel. Nördlingen
1987 (Greno 10/20, zuerst 1707)
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