körper

Rastlos wird auch unser Leib verwandelt zu jeder
Stunde: was gestern wir waren und heute wir sind, — wir werden's
morgen nicht sein. Es gab eine Zeit, da sind wir als Menschen-
keime und Erstlingshoffnung im Schöße der Mutter gelegen.
Angelegt hat die Natur ihre Künstlerhände: Sie wollte
nicht, daß ein Leib im gespannten Schoß der Mutter geengt sei,
und entsandte ihn drum aus dem Haus in die freieren Lüfte.
So an das Licht gebracht lag ohne Kräfte das Kind da.
Vierfüßig hat es dann bald wie ein Tier seine Glieder getragen
und sich allmählich zum Stand erhoben auf schwankenden, schwachen
Knieen und half dabei seinen Kräften durch irgendein Stützwerk.
Stark und geschwind ist darauf es gewesen, durchmaß seiner Jugend
Zeitraum; und hat es dann auch die mittleren Jahre durchlaufen,
gleitet's auf steiler Bahn zum gebrechlichen Alter des Greises.
Dies untergräbt und zerstört der vorhergegangenen Jahre
Kräfte. Und Milon weint, der gealterte, sieht er die Arme
kraftlos hangen und schlaff, die, strotzend von mächtigen Muskel-
wülsten, einstmals denen des Hercules ähnlich gewesen.
Auch des Tyndareus Tochter, sie weint, erblickt sie die Greisen-
falten im Spiegel und fragt sich, weshalb sie zweimal entführt ward. —
Zeit, du gefräßigste du, und du, du neidisches Alter,
alles zerstört ihr, verzehrt allmählich, was vorher der Stunden
Zähne benagt und geschwächt, in langsam schleichendem Tode!

- (ov)

Körper (2) Alle Körper sind / wie Ströme / in einem stetigen Ab- und Zuflusse / allwo ohne Unterlaß gewisse Teile hineinfließen / gewisse aber heraus treten.

§. 74. Also verändert die Seele ihren Körper nur nach und nach und stufenweise / dergestalt daß sie niemals auf einmal aller ihrer organorum entblößet und beraubet wird; wie dann öfters in denen Tieren eine Metamorphosis oder Veränderung der Forme / niemals aber weder eine Metempsychosis noch transmigration der Seelen vorgehet / noch weniger auch Seelen angetroffen werden / welche von aller Materie durchgängig abgesondert wären.

§. 75. Eben dieses verursacht auch / daß niemals eine völlige Generation, noch ein vollkommener Tod / wann beides genau genommen wird / in der Natur vorgehen könne. Und dasjenige was wir die Zeugung zu nennen pflegen / ist nichts anders als eine Evolution und ein Wachstum; gleichwie hingegen dasjenige / welches man den Tod heißet / eine gewisse Art der Involution  und der Abnahme oder Verminderung ist. - Gottfried Wilhelm Leibniz,  Monadologie, nach dem Projekt Gutenberg

Körper (3)

Körper (4) Ich will einen Blick auf das Körperliche werfen, den Körper, es wird sich allerdings zeigen, daß er der Schulfall des Mystischen ist. Sie gehen schlafen, nicht geraucht, nicht getrunken, auch sonst nichts, völlig in Ordnung, und Sie erwachen zerstört, leidend, bekommen nicht einen Fuß vor den anderen - was vollzog sich in der Nacht, wer vollzog sich in der Nacht? Bedenken Sie überhaupt die unheimlichen Eindrücke, die ohne Unterbrechung vom Körperlichen in unser Bewußtsein einströmen und die so bestimmend sind, daß man den Korper schlechthin als Parzenheim und Weltenesche bezeichnen kann. Oder bedenken Sie, wenn die Leute immer sagen: „aus heiler Haut" - aus heiler Haut entsteht irgendein Leiden - natürlich: jedes Leiden! - auch diese heile Haut ist der Volant vor tausend Fragen. Es ist ja auch vollkommen klar, daß etwas so Künstliches, Altes, Fremdartiges wie der menschliche Körper nur durch straffe zentrale Regulierungen in Ordnung gehalten werden kann, da kann nicht jedes Organ etwas Privates arrangieren. Es ist der Geist, der sich den Körper schafft, sagte Schiller und starb mit fünfundvierzig Jahren an Tuberkulose, man müßte ihn also als Selbstmörder bezeichnen, aber er ist es nicht, die Sache liegt anders, Beispiel: die Leber, ich habe über sie nachgelesen: ein Filter, ein Entgiftungsapparat, eine Drüse, ein Reservoir, wer hat das erdacht, sie in Beziehung gebracht zu Nahrungsaufnahme, Fettspeicherung, Blutfülle - nur denkbar, nur sinnvoll, nur beziehungsfähig innerhalb des totalen fleischlichen Systems - vorausschauend oder versuchsweise oder spielerisch - Erfahrung und Idee, Nützlichkeit und Entelechie in einem raffiniert und ursprünglich - und Sie selber leiten das alles nicht, wissen gar nichts davon - müssen darüber nachlesen - also wer ist interessiert daran, wer regelt das Spiel der Drüsen - wer und was?  - Gottfried Benn, Drei alte Männer. In: G.B., Prosa und Szenen. Ges. Werke Bd. 2. Wiesbaden 1962

Körper (5) Wer einigermaßen sich vom Leibe eine Vorstellung geschaffen hat — wie viele Systeme da zugleich arbeiten, wieviel füreinander und gegeneinander getan wird, wieviel Feinheit in der Ausgleichung usw. da ist — der wird urteilen, daß alles Bewußtsein, dagegen gerechnet, etwas Armes und Enges ist: daß kein Geist nur annähernd ausreicht für das, was vom Geiste hier zu leisten wäre, und vielleicht auch, daß der weiseste Sittenlchrer und Gesetzgeber sich plump und anfängerhaft inmitten dieses Getriebes von Krieg der Pflichten und Rechte fühlen müßte. Wie wenig wird uns bewußt! Wie sehr führt dies wenige zum Irrtum und zur Verwechslung! Das Bewußtsein ist eben ein Werkzeug: und in Anbetracht, wie Viel und Großes ohne Bewußtsein geleistet wird, nicht das nötigste, noch das bewunderungswürdigste, — im Gegenteil: vielleicht gibt es kein so schlecht entwickeltes Organ, kein so vielfach fehlerhaft arbeitendes: es ist eben das letzt-cntstandene Organ, und also noch ein Kind, — verzeihen wir ihm seine Kindereien! (Zu diesen gehört außer vielem anderen die Moral, als die Summe der bisherigen Werturteile über Handlungen und Gesinnungen der Menschen.)

Also müssen wir die Rangordnung umdrehen: alles „Bewußte" ist nur das Zweit-Wichtige; daß es uns näher und intimer ist, wäre kein Grund, wenigstens kein moralischer Grund, es anders zu taxieren. Daß wir das Nächste für das Wichtigste nehmen, ist eben das alte Vorurteil. — Also umlernen! in der Hauptschätzung! Das Geistige ist als Zeichensprache des Leibes festzuhalten!   - Friedrich Nietzsche, "Die Unschuld des Werdens" (Nachlaß)

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