itteleuropa Ein
Staatspräsident in Mitteleuropa, in welchem die Staatspräsidenten
heute jeden Augenblick um ihr Leben fürchten müssen und das mit Recht, hat seinem
Vertrauten einen von ihm in Hunderten von schlaflosen Nächten ausgearbeiteten
Plan eröffnet, der es dem Staatspräsidenten über Nacht ermögliche, den Staat,
den er, wie auch alle anderen Staatspräsidenten in Mitteleuropa den ihren, naturgemäß
folgerichtig in den absoluten Ruin geführt hat, unter Mitnahme eines derartig
großen Vermögens im Stich zu lassen, daß ihm ein, gleich wie langes und sicheres
und luxuriöses Leben in einem dazu ideal geeigneten Ausland sicher sei. Er wolle
seinen Plan schon m der kürzesten Zeit verwirklichen, es sei aber notwendig,
daß sein Vertrauter vollkommenes Stillschweigen darüber bewahre. Der Vertraute,
der schon Jahrzehnte das Vertrauen des Staatspräsidenten genossen hatte, versprach
dem Staatspräsidenten sein Stillschweigen, der Staatspräsident seinerseits versprach
dem Vertrauten ein so großes Vermögen, das es dem Vertrauten ermöglichen sollte,
so wie er, der Staatspräsident, nach geglückter Flucht, bis ans Lebensende sorglos
und tatsächlich luxuriös zu leben. Der Staatspräsident und sein Vertrauter waren
sich noch keine zwei Minuten einig gewesen, hatte der Vertraute die ganze Sache
vereinfacht und den Staatspräsidenten durch einen
geschickt abgegebenen Genickschuß getötet und sich selbst zum Staatspräsidenten
ausgerufen. Er hat augenblicklich alle Anhänger seines Vorgängers und Vorbildes
liquidiert und den, der die meisten Anhänger seines
Vorgängers und Vorbildes umgebracht hatte, zu seinem Vertrauten gemacht. Da
er jetzt das Urbild der Staatsgeschichte schon kannte, wartete er naturgemäß
nurmehr noch auf die günstigste Gelegenheit, sich dieses seines Vertrauten zu
entledigen, bevor jener ihn liquidieren konnte. Er hatte aber zu langsam gehandelt.
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Thomas Bernhard, Der Stimmenimitator. Frankfurt am Main 1978
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