- Goethe, nach: Johann
Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. München
1976 (dtv, Nachw. Ernst Beutler, zuerst 1834)
Gelegenheit (verpaßte) Erhebliche Vorteile für jedermann; und jedermann ließ sich die erheblichen Vorteile entgehen, so unbedeutender Rücksichten wegen, daß man ihretwegen vernünftigerweise nicht einmal mittelmäßige hätte aufgeben dürfen. Das Volk, dem die Sitzungen des Parlaments Mut eingeflößt hatten, ließ sich, kaum daß diese ausgesetzt waren, durch das Auftauchen von ein paar Truppen erschrecken, an denen Anstoß zu nehmen nun wirklich lächerlich war, sowohl ihrer geringen Anzahl wegen wie aus vielen anderen Gründen. Das Parlament seinerseits behandelte die unbedeutendsten Dinge, sofern sie nur im entferntesten nach Nichtdurchführung der Erklärung rochen, mit der gleichen Unerbittlichkeit und den gleichen Formalitäten, als ginge es um wirkliche Verfehlungen und Rechtsverletzungen. Der Herzog von Orléans erkannte alles Gute, das er tun, und einen Teil des Schlechten, das er verhindern konnte; aber da beides ihn nicht bei der ihn beherrschenden Leidenschaft packte, der Furcht nämlich, reichte es nicht aus, ihn wirklich in Bewegung zu setzen.
Monsieur le Prince überblickte die Gefahr in ihrem ganzen Ausmaß; da aber
Mut vor allem anderen ihm angeboren war, fürchtete er
sie nicht genug; er wollte das Gute, wollte es aber nur nach seinem Geschmack:
seine Jugend, sein Temperament und seine Siege erlaubten ihm nicht, mit dem
Tatendrang auch Geduld zu verbinden; und nicht früh genug erfaßte er jenen den
Fürsten so unentbehrlichen Grundsatz, kleine Fische nur als die Opfer anzusehen,
die wir für große Dinge dranzugehen haben. - (
retz
)
Gelegenheit (3) Zum Entstehen der Sünde, trägt die G. (occasio) bei, d.h. äußere Gegebenheiten, die die Sünde als leicht durchführbar erscheinen lassen. Je nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit, daß es zur Sünde kommt, bezeichnet man die Gefahr, die eine G. mit sich bringt, als nächste od. entfernte Gefahr; dieselben äußeren Gegebenheiten können für verschiedene Menschen je nach deren Verfassung nächste, entfernte od. keine Gefahr sein.
Aus der Pflicht zur sittl. richtigen Lebensführung folgt die Pflicht, die G. zur Sünde nach Möglichkeit zu meiden, vor allem die nächste G. zur schweren Sünde. Wer ihr nicht aus dem Weg geht, obwohl er kann, zeigt eine zu geringe Entschiedenheit im Bemühen um die Erfüllung seiner sittl. Aufgabe. "Wenn dich nun deine Hand od. dein Fuß ärgert, so hau ihn ab u. wirf ihn von dir ... Und wenn dich dein Auge ärgert, so reiß es aus u. wirf es von dir". Wer es aus entsprechend wichtigem Grund verantworten kann, sich der nächsten G. zur schweren Sünde auszusetzen (Handlung mit zweierlei Wirkung), muß darum bemüht sein, die Gefahr der G. zu entschärfen (Bemühen um die rechte innere Haltung durch tragfähige Motivierung, Ablenkung durch Aufmerksamkeit, Gebet usw.). Dieses Bemühen ist auch dann bes. notwendig, wenn jemand sich zwangsweise in solcher G. befindet (notwendige G.).
Auch in eine entfernte G. zur schweren od. eine nächste Gelegenheit zur leichten Sünde soll man sich nicht ohne vernünftigen Grund begeben, doch rechtfertigen leichtere Gründe das Wagen solcher Gefahren. Allen Gefahren ganz ausweichen kann der Mensch nicht ("sonst müßtet ihr ja aus der Welt hinausziehen", 1 Kor 5,10). Er wird sich in ihnen umso eher bewähren, je mehr er allg. mit der Gnade Gottes um seine sittl. Festigung bemüht ist.
Die Nächstenliebe verbietet es, dem Mitmenschen leichtfertig od. gar
in Verführungsabsicht eine G. zur Sünde zu bieten. Es kann jedoch
triftige Gründe dafür geben, eine solche G. zu schaffen od. bestehen zu
lassen, natürl. ohne Verführungsabsicht (Handlung mit zweierlei
Wirkung).
- Karl Hörmann,
Lexikon
der christlichen Moral
(1969)
Gelegenheit (4)
»Niemals verschmäht'n muß man Gelegenheiten«, Er sprach's und trat ins Zelt mit keckem Wesen, Nun läßt er hier vom Mohren sich ereilen, Der arme Grillo lag mit seinem Haupte Zwei andre sucht sich Cloridan zum Schlachten Dem Löwen gleich, der, mager durch Beschwerde Er kam dahin, wo in dem Arm der Liebe |
- (
rol
)
Gelegenheit (5) Jupiter
versammelt alle Götter, um Fortuna zur Rechenschaft zu ziehen. Die blinde Fortuna
spaziert mit einem Stock und einem Blindenhund herein. Sie bewegt sich auf einer
Kugel fort und wird, als Mittelpunkt eines Rades, von einem Knäuel Fäden, Bänder
und Schnüre umkreist, die sich durch ihre Wendungen bald verwirren, bald entwirren.
Ihr folgt auf den Fersen die Gelegenheit, eine Frau mit barbarischer Visage
und Glatze (»den Schwalben ein Spiegel«). Nur auf ihrer Stirn baumelt eine lange,
fettige Locke; man muß die Gelegenheit beim Schöpf fassen, wenn sie sich ergibt.
Einmal vorüber, bietet der Schädel keinen Halt mehr. - Francisco de Quevedo, nach: Matthijs van Boxsel, Enzyklopädie
der Dummheit. Berlin 2001
Gelegenheit (günstige) Während die Friedenschirurgie
sich an einem gleichbleibenden Krankenmaterial gleichmäßig entwicklen kann und
sich so den Forschungen und Erkenntnissen entsprechend aufbaut, geht die Entwicklung
der Kriegschirurgie sprungweise vor sich. Ihre Besonderheiten sind eben nur
im Kriege zu erfassen. Nur im Kriege ist ihr Ausbau, ihre Fortentwicklung möglich.
Ist der Krieg zu Ende, so tritt, schon nach wenigen Jahren der Auswertung und
Niederlegung der Erfahrungen ein Stillstand ein. Sinngemäß erlischt das allgemeine
Interesse, da man sich anderen Fragestellungen zuwendet. Deshalb erscheint es
umso notwendiger, die Zeit eines Krieges voll auszunützen, um Erkenntnisse zu
sammeln, die unmittelbar den Verwundeten noch dieses Krieges zugute kommen.
In zweiter Linie können die Erfahrungen natürlich auch von Bedeutung für die
Friedenschirurgie sein. - Schweizerische Medizinische Wochenschrift, 75.
Jg., Nr. l, 1945.nach -
Spektum der Wissenschaft 1 / 1995
Gelegenheit (7) Es war einmal ein Dienstmädchen,
das hieß Rosa und ging mit Herrn Jung, und hatte dem aus Liebe einen Ring geschenkt.
Der Herr Jung aber verlobte sich mit der auswärts wohnenden, in Scheidung lebenden
Frau Grün. Infolgedessen ging nun Rosa mit dem Angeklagten Hugo. Da erfuhren
sie, daß Jung von der Polizei gesucht wurde, und Rosa sagte: Wenn du dir von
Jung den Ring verschaffst, kannst du ihn behalten. Da ging nun Hugo zu Jungs
Eltern, sagte, daß ihr Sohn von der Polizei gesucht würde, und forderte den
Ring. Sofort hielt man Hugo für einen Kriminalkommissar und gab ihm den Ring.
Aber bei dem Besuch hörte Hugo, daß Jungs Braut, Frau Grün, bereits ihr Silber
zu den zukünftigen Schwiegereltern geschafft habe, und daß es von dort gerade
gestohlen sei. Sofort fuhr er nach auswärts zur Frau Grün, sagte ihr, daß ihr
Silber futsch sei, sie soll mal mit ihm nach Berlin kommen, dort werde er es
ihr schon wieder verschaffen. Und sie fuhr mit, vertraute ihm ihre Uhr und ihr
Täschchen an. In Berlin war's aber schon zu spät, nach dem Silber zu suchen.
Also gingen sie mal erst ins Ballhaus, dann noch wohin, und schließlich - aus
lauter rasch geschlossener Freundschaft - in ein Hotel. Da nun geschah, was
zu geschehen pflegt, worauf er für einen Augenblick das Zimmer verließ, um sich
Zigaretten zu kaufen, kam aber nicht wieder, sondern verduftete mit der ganzen
Barschaft der Frau Grün. Nein, er beschönigt nichts. »Was ich gemacht habe,
habe ich gemacht.« - Sling, Der Fassadenkletterer
vom "Kaiserhof". Berliner Kriminalfälle aus den Zwanziger Jahren.
Hg. Ruth Greuner. Berlin 1990
Gelegenheit (8) An der Südwand des Zimmers stand ein mit Muscheln verziertes Bett. Die beiden Mädchen breiteten eine seidene Decke für ihn darüber und halfen ihm hinein. Er zog die ältere zu sich heran und teilte das Kissen mit ihr; die jüngere stand vor dem Bett und streichelte ihn.
Als Han und Hsü das sahen, murrten sie, und Hsü rief laut:« Ein Dauist darf nicht Liebeslust genießen!» Er ging auf den Mönch zu und wollte ihn packen; dieser aber sprang hurtig auf und lief fort. Hsü sah die jüngere der Schwestern noch immer vor dem Bette stehen. In seiner Trunkenheit schleppte er sie zu einem Lager, das an der Nordwand stand und legte sich mit ihr nieder. Als er sah, daß die andere Schöne auf dem seidenbestickten Bette liegen blieb, rief er Han zu, er solle nicht dumm sein und die Gelegenheit nützen.
Da legte sich Han zu ihr ins Bett. Aber als er mit ihr tändeln wollte, schlief sie fest. Er rüttelte sie, aber sie rührte sich nicht. Sie mit den Armen umschlingend, schlief auch er ein.
Als der neue Tag anbrach und Han aus seinem Rausch wie aus einem Traum erwachte,
fühlte er etwas Kaltes an seiner Brust, das ihn frieren machte. Er schlug die
Augen auf: Er lag mit einem langen Stein im Arm an einer Treppe. Er sah zu Hsü
hinüber; der schlief noch. Er hatte seinen Kopf auf einen Klosettstein gebettet
und schlummerte tief in einem zerfallenen Abort. - (
pu-s
)
Gelegenheit (9) Unser Handeln, unser Denken, Alles muß
sich nach den Umständen richten. Man wolle wann man kann: denn Zeit und Gelegenheit
warten auf Niemanden. Man lebe nicht nach ein für alle Mal gefaßten Vorsätzen,
es sei denn zu Gunsten der Tugend; noch schreibe man dem Willen bestimmte Gesetze
vor: denn morgen wird man das Wasser trinken müssen, welches man heute verschmähte.
Es giebt so verschrobene Queerköpfe, daß sie verlangen, alle Umstände bei einem
Unternehmen sollen sich nach ihren verrückten Grillen fügen und nicht anders.
Der Weise hingegen weiß, daß der Leitstern der Klugheit
darin besteht, daß man sich nach der Gelegenheit richte. - (
ora
)
Gelegenheit (günstige 2)
Gelegenheit (11) Am Sonntagmorgen weckt mich das
Telefon. Es ist mein Freund Maxie Schnadig, der mir den Tod unseres gemeinsamen
Freundes Luke Ralston mitteilt. Maxie hat einen aufrichtig traurigen Ton angeschlagen,
der mir gegen den Strich geht. Er sagt, Luke sei ein feiner Kerl gewesen. Auch
das klingt für meine Ohren falsch, denn wenn Luke auch in Ordnung war, so war
er doch nur soso, nicht gerade das, was man als einen feinen Kerl bezeichnen
möchte. Luke war ein eingefleischter Homo und entpuppte sich bei näherer Bekanntschaft
als eine Nervensäge. Ich sagte das Maxie am Telefon; an der Art, wie er mir
antwortete, merkte ich, daß er es nicht sehr gern hörte. Er sagte mir, Luke
habe sich mir gegenüber immer als Freund gezeigt. Das war schon richtig, aber
es genügte nicht. Denn in Wahrheit war ich wirklich froh, daß Luke im geeigneten
Augenblick abgekratzt war: es bedeutete, daß ich die hundertfünfzig Dollar vergessen
konnte, die ich ihm schuldete. Tatsächlich fühlte ich mich, als ich den Hörer
auflegte, in wirklich glänzender Laune. Es war eine riesige Erleichterung, diese
Schuld nicht bezahlen zu müssen. Was Lukes
Ableben betrifft, so bekümmerte es mich nicht im geringsten. Im Gegenteil: jetzt
konnte ich seiner Schwester Lottie, der ich schon immer einen verpassen wollte,
was ich aber aus dem einen oder anderen Grund nie konnte, einen Besuch abstatten.
Ich sah mich bereits gegen Mittag zu ihr hingehen, um ihr mein Beileid
auszusprechen. Ihr Mann.würde im Büro sein, und nichts würde mich stören. Ich
sah mich schon die Arme um sie legen und sie trösten; es geht nichts darüber,
eine Frau zu nehmen, die trauert. Ich sah, wie sie die Augen weit öffnete -
sie hatte schöne, große graue Augen ~, während ich sie zum Sofa hinschob. Sie
gehörte zu der Sorte Frauen, die sich von einem ficken lassen, während sie so
tun, als sprächen sie über Musik oder etwas Ähnliches. Sie konnte die blanke
Wirklichkeit, sozusagen die nackten Tatsachen, nicht leiden. Was sie aber nicht
hinderte, geistesgegenwärtig ein Handtuch unter sich zu schieben, damit keine
Flecken aufs Sofa kämen. Ich kannte sie durch und durch. Ich wußte, daß jetzt
die beste Zeit war, sie rumzukriegen, wo sie sich in ein leichtes Erregungsfieber
über ihren armen toten Luke hineinsteigerte, von dem sie, nebenbei bemerkt,
nicht viel gehalten hatte. Leider war es Sonntag, und ihr Mann würde sicherlich
zu Hause sein. - (wendek)
Gelegenheit (12) Auch Gelegenheit macht
nicht Diebe allein, sie macht auch beliebte Leute, Menschenfreunde,
Helden, von dem Einfall, den ein Witziger hat, gehört mehr als die
Hälfte dem Dummkopf zu, den er traf. - Lichtenberg
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