eichenfledderer  Dew deutete auf die Tür, durch die das Wrack eines älteren, zahnlosen und grauhaarigen Mannes geschwankt war. «Bandicoot, Ihre Runde. Drei Bier und zwei Gin. Dew, bringen Sie ihn her.»

Die Constables führten ihre Aufträge aus. Zum erstenmal nahm Lestrade seine Umgebung wahr. Der Keller war mit Menschen vollgestopft, die Luft geschwängert von Bierdunst und Rauch. In einer entfernten Ecke sang eine angetrunkene Hure. Drei Männer hatten die Hände unter ihren Rock geschoben, doch sie schien es nicht bemerkt zu haben. Nach der kürzlichen Rückkehr der Hopfenpflücker von den Feldern in Kent hatte das East End sich wieder bevölkert. Das ganze menschliche Leben lag vor Lestrade, als er zusah, wie Dew den sich wehrenden Skinner über den mit Sägemehl bestreuten Boden schleifte. Prostituierte, Diebe, Mörder, sogar der merkwürdige Hilfspfarrer mit Seidenzylinder glitt flüchtig durch sein Blickfeld.

«He, was soll das?» Skinner ächzte immer noch unter dem Griff von Dews Hand, die ihn an seinem nicht übermäßig sauberen Kragen gepackt hatte. «Oh, Sie sind's, Mr. Lestrade, Sir.» Skinner schien im schummrigen Licht noch bleicher geworden zu sein, als er Lestrade erblickte.

«Hallo, Skinner, was macht die Leichenfledderei? Stell die Gläser hin, Bandicoot. Der Gin ist für Mr. Evans.» Dieser griff nach dem Glas, doch Lestrade legte seine Hand über die Öffnung. Er schob seine verbundene Nase bis auf einen Zoll an Skinners bärtiges Gesicht heran. «Wenn er uns erzählt hat, was wir wissen wollen.» «Hören Sie, Chef, Sie kennen mich. Mein Leben lang hab ich mich in Bridewell rumgedrückt, aber jetzt gibt's in der Gegend ein paar harte Jungens. Ehrlich, wenn einer von denen Wind davon kriegt, daß ich mit einem von Ihrer Sorte spreche, werden Sie mich aus der Themse fischen, und das ist die reine Wahrheit.»

«, Albert. Das ist nicht sehr schmeichelhaft.»

«Haben Sie ein Herz, Chef.» Skinners Augen huschten durch den Raum. Der Mann war unverkennbar verängstigt. «Letzte Nacht. Mitternacht. Gravel Lane. Was hast du gesehen?» «Nichts, Chef.»

Lestrade richtete sich auf und starrte den Mann lange und eindringlich an. «Albert Evans, Leichenfledderer, gemeiner Dieb, Hoteldieb, Ladendieb, Skinner...»

«O nein, Sir!» Evans war beleidigt. «Wissen Sie denn nicht, warum man mich so nennt? Weil ich's nicht tun würde. Es ist unnatürlich.»

«Du hast mich nicht verstanden, Albert. Weißt du, daß in den Gefängnissen dieses Landes 20 883 Männer und Frauen einsitzen? Wie würde es dir schmecken, wenn du diese Zahl um einen vermehren würdest? Und ich rede nicht von Diebstahl, Evans. Wenn man einen Mord nicht meldet, bedeutet das die Tretmühle.» Skinner sank in seinen Stuhl zurück. Er wurde auf der einen Seite von Dew und auf der anderen von Bandicoot gestützt. «Überlege genau, Skinner. Sechs Stunden am Tag, fünfzehn Minuten rauf, fünfzehn Minuten runter. Du wirst am Tag 8640 Fuß klettern. Und in deinem Fall würden wir natürlich noch den Hemmschuh ansetzen, um es noch schwieriger zu machen.»

«O nein, Sir. Nicht, solange ich lebe. Ich könnte es nicht aushalten, nicht noch einmal.»

«Noch einmal, Mord bringt dich an den Galgen.» Lestrade schlürfte ungerührt sein Bier. «Neulich unterhielt ich mich mit James Berry...»

«Mit dem Henker?» Skinner war totenblaß.

«Das ist er. Er erzählte mir, wie er letzte Woche bei der Hinrichtung in Preston den Galgen falsch berechnete. Zog die Klappe weg und runter ging's mit dem Schurken. Wamm!» Lestrade ließ seine kräftige Faust auf den Tisch heruntersausen. «Unglücklicherweise war das Seil zu kurz, und sein Kopf riß ab. Alles voller Blut...»

«In Ordnung, Chef», jammerte Skinner. «Ich hab verstanden.»   - M. J. Trow, Lestrade und die Struwwelpeter-Morde. Reinbek bei Hamburg 1990 (zuerst 1985)

Leichenfledderer (2)  Halsey Edge war ein großer, hagerer Mann von einigen Fünfzig, mit zusammengekniffenem, gelbem Gesicht und ganz ohne Haar. Er nannte sich selbst »einen Leichenfledderer von Beruf und Neigung« - sein einziger Scherz (sofern man das einen Scherz nennen möchte). Er wollte damit sagen, er sei Archäologe. Sehr stolz war er auf seine Sammlung von Streitäxten. Er war gar nicht so übel, sobald man sich einmal damit abfand, daß man gelegentliche Aufzählungen seines Waffenarsenals zu gewärtigen hatte: Steinäxte, Bronzeäxte, Kupferäxte, doppelseitige Äxte, geschliffene Äxte, polygonale Äxte, Rundäxte, Hammeräxte, Krummäxte, mesopotamische Äxte, ungarische Äxte, nordische Äxte, und sie alle sahen ziemlich wurmstichig aus. - Nur seine Frau war es, gegen die wir etwas einzuwenden hatten. Sie hieß Leda, aber er nannte sie Putzi. Sie war sehr klein, und ihr Haar, ihre Augen und ihre Haut hatten - freilich bei verschiedenen Tönen - alle eine verwaschene Farbe. Selten saß sie - sie thronte, und sie pflegte den Kopf ein wenig nach der einen Seite zu legen. Nora hatte eine Theorie, wonach Edge einmal ein antikes Grab geöffnet habe und Putzi ihm daraus entgegengelaufen sei.  - Dashiell Hammett, Der dünne Mann. Frankfurt / M. u. Berlin 1966
 
 

Fledderer Leiche

 

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