eichenfund  Er schiebt seinen Sessel zur Seite und dreht den Schlüssel in der Schranktür.

„Höchste Zeit, daß ich Ihnen Madame vorstelle."

Er öffnet den Schrank.

Die Blonde ist immer noch da. Aufrecht, aber angezogen. Ich geh näher ran... und höre nicht mehr auf zu fluchen. Tchang-Pou hat jede asiatische Zurückhaltung aufgegeben. Er kringelt sich buchstäblich vor Lachen. Ich weiß nicht, ob er nicht doch irgendwann mal Angst vor mir gehabt hat. Aber meine Enttäuschung, mein verdutztes Gesicht entschädigen ihn reichlich.

„Himmeldonnerwetterarschundzwirn-verflixtundzugenäht!"

„Ja, ja", säuselt der Chinese. „Das ist gar keine Leiche. Wie sind Sie darauf gekommen, daß das eine Leiche sein könnte? Sind Sie nekrophil oder was? Dies hier ist eine Puppe, lieber Monsieur Burma. Ein Kunstgegenstand, eine Pariser Rarität. Für ganz besondere Gäste. Hier ist die Filiale des Musée Grévin... Das Hauptgebäude steht gleich nebenan. Ich erzähle immer 'n Haufen Lügenmärchen über diese Puppe, in denen das Museum eine Rolle spielt. In Wirklichkeit stammt die Puppe natürlich nicht aus dem Musée Grévin. Das ist mehr was für Kinder. Dieses Stück hier ist was für Erwachsene. Keine einfache Wachspuppe, nein! Nehmen Sie's in die Hand, Monsieur! Fühlt sich an wie richtige Haut. Aber sie wird älter, die Kleine. Wird ganz fleckig. Deswegen entkleide ich sie immer seltener." - Léo Malet, Streß um Strapse. Reinbek bei Hamburg 1991

Leichenfund (2)

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Leichenfund (7)  Evans brach mit einer Gruppe von vierzig Walisern auf, und als sie sich der Stelle näherten, flogen Habichte davon. Die Leichen waren noch nicht vollständig abgepickt; man hatte ihnen die Geschlechtsorgane abgeschnitten und in den Mund gesteckt. Lewis Jones sagte zu John Evans: «John, der Himmel hat dich vor einem grausamen Tod gerettet.»

Sie trugen die Überreste zusammen und begruben sie. Die Stelle ist durch eine Marmorplatte gekennzeichnet, auf der steht: Biddmyrd os syrfeddod, ‹Es wird zahllose Wunder geben . . ›, es ist eine Zeile aus einem Choral von Anne Griffith, der Mystikerin.- (pat)

Leichenfund (8)  Die Fischaugen starrten glasig an die Decke. Eine Blutlache breitete sich auf dem blauen Linoleumfußboden aus. In seinen Haaren, die drahtig wie die eines Indianers waren, klebte getrocknetes Blut.

Macias hatte seinen Tod mit der für ihn typischen Liebe zum Detail vorbereitet. Er hatte sich rasiert und seinen Schnurrbart gestutzt. Er hatte seinen Mate-Tee getrunken, die grünen Blätter in den Abfalleimer geworfen, seine Schuhe blank geputzt und seinen schönsten Anzug aus gestreiftem Kammgarn, eine Errungenschaft aus Buenos Aires, angezogen.

Der vordere Raum war kahl und weiß. Zu beiden Seiten des Wandspiegels hingen zwei Schränkchen aus hellem Holz, in denen Pomaden und Brillantine untergebracht waren. Auf dem Brett über dem Waschbecken lagen ordentlich nebeneinander Pinsel, Scheren und Rasiermesser. Zwei Dosen mit Haarspray standen sich gegenüber, die Zerstäuber zeigten nach innen, die roten Gummibälle waren nach außen gerichtet.

Der Schuß zerstörte die Symmetrie seiner letzten Komposition. - (pat)

Leichenfund (9)  Sie lag auf dem Rücken, neben dem Tisch, zwischen umgekippten Hockern, verstreuten Papieren, Tarockkarten und den Splittern der Kristallkugel. Ihr Gesicht war fast ganz von einem dicken, festen Knebel verdeckt. Ganz im Gegensatz zu ihrem Körper. Halbnackt unter ihrem offenen Morgenmantel, der Büstenhalter zerrissen, der Unterrock hochgeschoben, die Beine weit auseinander. - Léo Malet, Ein Clochard mit schlechten Karten. Reinbek bei Hamburg 1993 (zuerst 1957)

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Leichenfund (22)

Leichenfund (23)

Leichenfund (24) Vorwärts geh vorwärts, Giuseppe. Gut ich gehe vorwärts und plötzlich spüre ich etwas unter dem Fuß. Es ist sicher ein Baumstamm, das ist zwar merkwürdig in der Ebene von Pavona wo es auf zahllosen Quadratkilometern keinen Baum gibt. Wenn es kein Baumstamm ist irgend etwas Ähnliches. Ich bücke mich und schaue nach, Sacramento

ES WAR DAS BEIN EINES MENSCHEN.

Wir wollen nicht übertreiben ich übertreibe überhaupt gar nicht und am Bein befestigt war der Körper eines Mannes mit durchschnittener Kehle, der im Gras mitten auf der Wiese lag.

Was geschieht nun? Nichts, ich bin davongelaufen. Aber warum gingst du durch die Wiese, wohin gingst du? Zum Turm aus dem Mittelalter, zum Hirten. Giuseppe, liebster Freund, seit zwei Jahren wohnt der Hirt nicht mehr im Turm wohnen jetzt Amerikaner. Sie haben ihn ausgebaut und verbringen die Sommermonate dort auf halbem Weg zwischen Rom und dem Meer. Es ist ein Ehepaar, sie haben vier Kinder. Man kann vieles durcheinanderbringen, aber mit einem italienischen Hirten kannst du sie nicht verwechseln. Man kann noch viel mehr verwechseln mit einem Toten zwischen den Füßen, bitteschön. Eine Katze mit einem Hund einen Hund mit einer Zeitung eine Zeitung mit einem Regenschirm, aber wo gibt es Regenschirme auf einer Sommerwiese wenn die Sonne scheint? Der Regenschirm, wenn es regnet. Giuseppe, lieber Freund, morgen werden alle Zeitungen auf der Seite der Unglücksfälle und Verbrechen davon reden laß sie reden. Die Leute werden anfangen zu tuscheln laß sie tuscheln. Die Polizei wird alles verwechseln laß sie machen. Manchmal hat sie den Mörder mit dem Ermordeten verwechselt und das gefällt mir nicht besonders das heißt das gefällt mir gar nicht. - Luigi Malerba, Salto mortale. Frankfurt am Main 1987 (zuerst 1968)

Leichenfund (25)

Leichenfund (26) Man hörte einen verzweifelten schrei, die nachbarn stürzten zum nachbarhaus. Tür und fenster waren verschlossen. Die tür wurde aufgebrochen, man trat über die schwelle, die nachbarn erstarrten zu stein vor dem fürchterlichen anblick, der sich ihnen bot. Eine leiche mit weitgeöffnetem mund und noch weiter geöffneten armen lag hier ausgestreckt. An seinem leichten akzent in der art eines sale étranger konnte man erraten, dass das opfer ein schweizer war. Aufgrund langwieriger nachforschungen kam man zu dem schluss, dass dieser leichnam nicht eines natürlichen todes gestorben, sondern von einem geheimnisvollen wesen ermordet worden war. Man sah auf seiner zungenspitze den seltsamen stich eines tieres oder eines insekts, vielleicht eines skorpions, den der gemeine Verbrecher hypnotisiert hatte.

Es war nicht schwer, in der wohnung die anzeichen eines offensichtlichen kampfes festzustellen. Die gesammelten werke von Racine, Corneille und Molière waren an die zimmerdecke genagelt. Das tintenfass war mit blut gefüllt; in der im tod zusammengekrampften rechten hand des opfers fand sich ein frischausgerissener langer bart und in der linken hand eine visitenkarte mit dem in einem roten dreieck gedruckten namen Félix Potin.

Die nachbarn eilten, die polizei zu holen. Als sie, begleitet von zwei richtern, fünf detektiven und vierzehn polizisten zurückkamen, fanden sie die wohnung vollkommen aufgeräumt vor und vermietet an monsieur Charles Dupont, den ehrenwerten reisevertreter des Dépot Nicolas. - Hans Arp, Vicente Huidobro: Der Gärtner vom Mitternachtsschloß. Kriminalroman. Nach (huarp)

Leichenfund (27)

- Gottfried Helnwein

Leichenfund (28)

Leichenfund (29)

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Leichenfund (32)

Leichenfund (33)

Leichenfund (34) Die Leiche lag in voller Länge auf der Unterlage aus weichen, eingewickelten Brotlaiben, als ob der Korb nach Maß gemacht worden wäre. Das Messer stak in der Jacke gerade unterhalb der Brusttasche, aus der ein viertel Zoll breit die Zipfel eines Ziertaschentuches hervorsahen. Es war ein Jagdmesser mit Hirschhorngriff, herausschiebbarer und feststellbarer Klinge und einem Handschutz, wie es von Jägern zum Aufbrechen des Wildes verwendet wird.

Blut bildete auf der Jacke, dem Hemd und der Krawatte unregelmäßige Flecken. Auf den Wachspapier hüllen der Brotlaibe und an der einen Seite des geflochtenen Weidenkorbes waren Spritzer. Auf dem Gehsteig war kein Blut zu sehen.

Das Gesicht war in dem Ausdruck ungläubigen Entsetzens erstarrt. Die weitaufgerissenen, hervorquellenden Augen zeigten das Weiße und stierten blicklos auf einen Punkt oberhalb der Füße.

Es war ein hübsches Gesicht mit glatter brauner Haut und Zügen, die große Ähnlichkeit mit Dulcy zeigten. Der Kopf war unbedeckt, hatte lockiges schwarzes Haar, das mit Pomade fest an den Schädel geklebt war.

Ein Augenblick beklommenen Schweigens folgte den Worten des letzten Sprechers, als die Tatsache offenbar wurde, daß der Mord an dieser Stelle begangen worden war.

In dieses Schweigen sagte Dulcy: «Er sieht so überrascht aus.» «Du würdest auch ein überraschtes Gesicht machen, wenn dir einer ein Messer ins Herz stößt», antwortete Alamena. - Chester Himes, Fenstersturz in Harlem. Reinbek bei Hamburg (rororo thriller 2348, zuerst 1959)

Leichenfund (35)

Leichenfund (36)

Leichenfund (37) »Er sagt, er hat sie am Boden liegend gefunden, in einem Meer von Blut, Jesusmaria, da, wo wir sie dann auch gefunden haben, auf dem Parkettboden im Eßzimmer: quer hingestreckt, den Rock hochgeschlagen, in Unterhosen sozusagen, den Kopf ein wenig herumgedreht . . . und die Gurgel ganz durchgeschnitten, ganz aufgeschlitzt auf der einen Seite. Den Schnitt müßten Sie sehen, Herr Doktor!« Er faltete wie flehend die Hände, strich sich mit der Rechten über die Stirn: »Und das Gesicht! Mir ist fast schlecht geworden! Sie werden's ja gleich sehen. Ein Schnitt! schlimmer als vom Metzger. Einfach fürchterlich. Die Augen! wie sie auf die Kredenz stieren. Und das Gesicht ganz steif und starr und so weiß wie ein frischgewaschenes Betttuch ...war sie am Ende schwindsüchtig? Wie wenn sie das Sterben schrecklich angestrengt hätte ... « - Carlo Emilio Gadda, Die gräßliche Bescherung in der Via Merulana. München 1988

Leichenfund (38) Ich ging hinüber in Katherine Ballous Haus. Die Seitentür stand weit offen, die zum Keller führende Lattentür ebenfalls. Ich betrat das Haus und sah die Frau am Fuß der Kellertreppe liegen. Sie war schon lange dorthin gegangen, wo eine Frau wie sie in der Ewigkeit hinkommt. Der gnädige Gott hat in seiner Barmherzigkeit das Gebet einer Ehefrau und Mutter gehört, die ihn in ihrer Not anrief, und hatte die Missetäterin vernichtet.

Sie lag am Fuß der Treppe ausgestreckt, so liederlich und schamlos, wie sie auch im Leben gewesen war, beide Beine bis zu den Strumpfbändern entblößt. Ihr rotes Haar floß über den Boden, und ab und zu bewegte sich eine Strähne, wenn ein schwacher Luftzug die Treppe herunterkam, so daß es aussah, als wäre das Haar das einzig Lebendige an ihr. Ihre ausgestreckte Hand umklammerte den abgerissenen Griff der Lattentür am Kopf der Treppe, den gleichen kleinen Messinggriff, wie wir ihn in Nr. 161 haben. Man sah die beiden Enden aus ihrer geballten Faust herausragen; im einen Ende steckte noch die Schraube.

Ihre Bluse hatte im Rücken von der Schulter bis fast zur Taille einen Riß, so daß man den Träger ihres Büstenhalters sehen konnte. Ich schob die Ränder des Risses sorgsam zusammen und zog ihr dann den Rock wieder herunter, damit sie kein so aufreizendes Bild bot. Während ich das tat, überdachte ich, was geschehen mußte: Die Polizei und der Arzt mußten gerufen werden wie damals, als der alte Mann starb, und ich mußte ein vernünftiges Wort mit Harry, meinem Mann, reden. Es war ganz gewiß begreiflich, daß ich hoffte, Harry werde jetzt zur Vernunft kommen, und ich war wahrhaftig nie so sehr bereit, seinen Fehltritt zu verzeihen wie jetzt. Immer wieder hatte ich mir gesagt, daß einst die Frau den Mann verführt hat und es immer die Frau ist, die das tut, und natürlich ist ein Mann, der sich in der gefährlichen absteigenden Hälfte seines Lebens befindet, besonders zugänglich, wenn ihm eine zungenfertige parfümierte Frau ohne Moral in den Weg lauft, die ihm einredet, er sei unwiderstehlich.

So stand ich über die Schlange gebeugt, deren Kopf im Sand zerschmettert war, und ich wußte, der Alptraum war vorüber. - Stanley Ellin, Rache der Unschuld. Bern und München 1995 (zuerst 1951)

Leichenfund (39) Mit plumpen, ungeschickten Bewegungen, so als wären seine Finger schwer wie Blei, so als schleppe er sich durch ein morastiges, übelriechendes Sumpfgebiet, bahnte sich der Kommissar einen Weg durch die dichtgedrängte Menge der Beamten. Er warf seinen Kopf in den Nacken, um durch seine geschwollenen Lider hindurch, die seine Augen.halb verdeckten, besser sehen zu können. Er stellte eine gelangweilte, gleichgültige Miene zur Schau. Sein Mund verzog sich verdrießlich. Man hätte meinen können, daß er jene Unglückselige, die es nicht verstanden hatte, im Augenblick ihres Todes Haltung zu bewahren, zutiefst verabscheute. Vielleicht störte es ihn, daß sie, so elegant gekleidet und in diesem erlesenen Rahmen, in einer solch schamlosen, obszönen und anstößigen Haltung dalag. Sie lag auf dem Rücken, ihr weißer Rock war bis zur Taille hochgerutscht und gab den Blick auf ihren Slip frei. Mit ihren gegeneinandergestemmten Füßen und ihren geöffneten Knien sah sie aus, als würde sie einen Frosch imitieren, als würde sie jeden dazu auffordern, sich zwischen ihre geöffneten Schenkel zu legen. Sie hatte jugendliche, sonnengebräunte Beine, so wohlgeformt wie die eines Fotomodells aus Playboy oder Penthouse.

„Wie alt ist sie?" fragte Redondo und klopfte mit zwei Fingern gegen eine Zigarettenschachtel, um eine Zigarette herausziehen zu können.

„War", berichtigte ihn Llovera vom Erkennungsdienst. „Sie war gerade vierzig geworden."

„Und sie ist immer noch vierzig", murmelte Redondo, während er weiter auf den Spitzenschlüpfer starrte und versuchte, ein paar Schamhaare zu entdecken. - Andreu Martín, Bis daß der Mord euch scheidet. Bühl/Moos - Baden-Baden 1992

Leichenfund (40) Crane ging zur Tür, aber als er am Bett vorbeikam, bückte er sich und leuchtete darunter.

Der weiße, klare Lichtstrahl fiel auf ein im Todeskampf verzerrtes Gesicht, das mit roten, vortretenden Augen in den Raum glotzte. Die Haut war blau verfärbt, und aus dem aufgerissenen Mund hing eine aufgeschwollene Zunge wie eine am falschen Ort angebrachte Samtkrawatte. Um den Hals der Leiche lief ein grellroter Striemen.

Nach einer Weile gelang es William Crane wieder zu atmen. Er sah, daß es Pittsfields Leiche war. Er faßte unter das Bett in die Weste des Toten und stellte fest, daß sich die schwere goldene Uhr an ihrem Platz befand. Die Geldtasche in der Hüfttasche der Hose war zwar leer, aber der Mann trug zwei Ringe an den Fingern der rechten Hand, in seiner Krawatte steckte eine Nadel mit einem Diamanten. Die Geldtasche enthielt nichts als ein Heftchen Briefmarken und eine Fotografie von einem Gemälde, das Abraham Lincoln darstellte. Er steckte sie zurück, strich den Teppich dort gerade, wo er gekniet hatte, und verließ schnell das Zimmer. - Jonathan Latimer, Mord bei Vollmond. Zürich 1991(zuerst 1935)

Leichenfund (41)

Leichenfund (42) Der über der Sippe der Garcia-Barrettos waltende Fluch erfaßte auch meinen Paten und Sinesio. Sinesio wurde auf rätelhafte Weise entführt und verschwand wie durch Zaubergewalt von hier - am 24. August 1930. Und am gleichen Tag, einem Datum, an welchem bekanntlich der Teufel frei herumläuft, fand man meinen Paten in dem hohen Gemach des Kapellenturms auf, das er selber von innen verriegelt hatte. Er war tot, ermordet, niemand weiß, wie oder von wem. Er war wie der hl. Sebastian gestorben. Wahr ist freilich, daß er nicht eigentlich von Pfeilen durchbohrt, sondern enthauptet wurde. Indessen hatte man, wie zur Erfüllung der Prophezeiung, seinen Körper mit Messerstichen verunstaltet, so daß er, als wir ihn fanden wie »ein mit Pfeilen durchbohrter Sankt Sebastian« aussah. - (stein)

Leichenfund (43) Es war keine Einbildung. Irgend etwas floß, Tropfen um Tropfen, langsam.

Begleitet vom Tumult des Echos stürzte ich die Treppe hinauf. Ich wollte Licht und menschliche Nähe in diesem grausigen Dunst von Wachs und Perücken. Als ich den letzten Treppenabsatz erreicht hatte, versuchte ich, meine Haltung wiederzugewinnen. Es war lächerlich. Bencolin und ich würden uns bei Cognac und Zigaretten köstlich amüsieren, wenn diese trübe Stätte hinter uns lag.

Und gerade, als ich hinaufstieg, betraten die anderen den oberen Raum, Bencolin, Augustin und Chaumont. Ich mäßigte mein Tempo und rief sie an. Trotzdem mußte etwas in meinem Gesicht gelegen haben, denn es fiel ihnen selbst bei dem trüben Licht auf.

»Was ist mit Ihnen los, Jeff?« fragte Bencolin.

»Nichts«, sagte ich. Meine Stimme strafte mich Lügen. »Ich habe - die Wachsfiguren da unten bewundert. Die Marat-Szene. Außerdem wollte ich den Satyr sehen. Er ist verdammt gut, der ganze Ausdruck des Satyrs, und die Frau in seinen Armen . . .«

Augustins Kopf fuhr zurück.

»Was?« fragte er. »Was sagen Sie da?«

»Ich sagte, dieser Satyr und die Frau in seinen Armen sind verdammt gut.«

Augustin sagte wie ein Hypnotisierter: »Sie müssen nicht ganz bei Trost sein. Der Satyr hält keine Frau in den Armen.«

»Aber jetzt ist eine Frau da«, sagte Bencolin. »Eine echte Frau. Und sie ist tot.«

Er beleuchtete die Gruppe mit einer großen Taschenlampe, während wir ihn umstanden.

Die Gestalt des Satyrs war leicht gegen die Wand gelehnt, dort an dem Absatz, wo die Treppe eine Kehre machte. Seine Arme waren so gebogen, daß es möglich gewesen war, den zierlichen Frauenkörper hineinzulegen, ohne die Figur aus der Balance zu bringen. Das Hauptgewicht des Körpers las tete auf dem rechten Arm und der Brust der Figur; der Kopf der Frau war nach innen gedrückt und der grobe schwarze Serge seines Umhangs über sie gezogen worden, um ihren Oberkörper zu verdecken. Bencolin richtete die Lampe nach unten. Die mit rauhen Haaren bedeckten Beine des Satyrs und auch seine Bockshufe waren beschmiert. In einer großen Lache hatte sich Blut am Boden gesammelt.

»Heben wir sie heraus«, sagte Bencolin kurz. »Vorsicht, machen Sie nichts kaputt. Jetzt!«

Wir hoben die leichte Bürde heraus und legten sie auf den Steinboden. Der Körper war noch warm. Dann beleuchtete Bencolin ihr Gesicht. Die braunen Augen standen weit offen, erstarrt in Schmerz, Entsetzen und Schrecken; die blutlosen Lippen waren zurückgeschoben. - John Dickson Carr, Club der Masken. München 1977(Crime Classics 1740)

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Leichenfund (47) Der Tote lag dicht neben dem Weg. Das Scheinwerferlicht erfaßte zunächst nur die Schuhsohlen, die so plötzlich auftauchten, daß er schon fast neben der Leiche war, bis endlich die Bremsen zogen. Joseph Begay legte den Leerlauf ein, ließ aber den Motor weitertaufen. Er knöpfte sein Hemd auf und zog einen kleinen Lederbeutel hervor, den er an einer Schnur um den Hals hängen hatte und der einen kleinen, annähernd wie ein Bär geformten Gagatfeuerstein und etwa dreißig Gramm Pollen enthielt. Begay drückte den Daumen in den Blütenstaub und rieb ihn sich auf die Brust. Dazu intonierte er:

« Wo immer ich gehe,
Möge das Glück mir beistehen,
Wo immer meine engsten Verwandten gehen,
Möge ihnen das Glück beistehen.»

Der Geist war fort - wenigstens für den Augenblick. Er hatte ihn den Teastah Wash hinauffliegen sehen. Begay stieg aus dem Wagen und blieb neben der Leiche stehen. Es war ein junger Mann in Jeans, rotem Hemd und Stadtschuhen. Der Tote lag auf dem Rücken, die Beine leicht gespreizt, den rechten Arm ausgestreckt, den Linken quer über der Brust. Handgelenk und Hand des linken Armes zeigten eine sonderbar steife Haltung. Blut war nicht zu sehen, aber die Kleidung war feucht vom Regen.

Die letzte Meile des holprigen Weges zum Highway legte Begay in schnellerem Tempo zurück als seinem Wagen eigentlich zuträglich war. Er sagte sich, daß er den Toten der Law and Order Division melden müsse, bevor er zur Bushaltestelle weiterfuhr. Krampfhaft versuchte er, nicht an die Grimasse zu denken, zu der das Gesicht des jungen Mannes gefroren war: an die toten, stier hervorquellenden Augen und an den in blankem Entsetzenverzerrten Mund. - Tony Hillerman, Wolf ohne Fährte.Reinbek bei Hamburg 1995

Leichenfund (48) Auf dem Kaminsims standen ein Pfeifenständer und eine Tabakdose, eine Atmos-Uhr, deren Werk vom Luftdruck angetrieben wurde und die anzeigte, daß es drei Minuten vor elf war, und ein Starfoto in silbernem Rahmen - der lächelnde Lance Leonard.

Lance entdeckte ich In der Diele, direkt vor der Haustür. Er trug eine karierte Smokingjacke und mitternachtsblaue Hosen und dunkelblaue Pumps, aber er hatte nicht vor, auszugehen. Er lag auf dem Rücken; seine Fußspitzen zeigten nach verschiedenen Ecken der Decke. Ein asphaltgraues Auge sah ins Licht - ohne zu zwinkern. Das andere war zerstört - durch ein Geschoß. - Ross Macdonald, Die Küste der Barbaren. Zürich 1976(zuerst 1956)

Leichenfund (49)

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Leichenfund (51)

Leichenfund (52) Vierzig Jahre oder nicht, sie war eine schöne Frau. Gewesen. Sie lag schräg auf dem Bett. Ihre gesamte Bekleidung bestand aus einem Uhrenarmband und einem bernsteinfarbenen Nylonstrumpf. Das Armband trug sie am Handgelenk, den Strumpf um den Hals. Wie der Wachmann eben machte der Sekundenzeiger auf dem Zifferblatt seine Runden. Das war aber auch das einzige, was sich an der Frau bewegte. - Léo Malet, Wie steht mit Tod? Reinbek bei Hamburg 1985

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Leichenfund (58) In der Pause um zehn gingen einige Leute auf die Toilette. Wieder blieb der Leichnam unentdeckt. Ich wurde langsam paranoid, überlegte schon, ob mit der Leiche etwas passiert war. Vielleicht hatte die Polizei sie gefunden und abtransportiert, da sie darauf hoffte, daß ich zusammenbrechen und gestehen würde. Oder Ed war gar nicht tot. Vielleicht hatte ich ihn nur bewußtlos geschlagen und er war irgendwann wieder aufgewacht, um jetzt sein perverses Spiel mit mir zu treiben, sich an mir zu rächen. - Jason Starr, Top Job. München 2006 (SZ Kriminalbibliothek 31)

Leichenfund (59) Mike ging zur Tür, warf einen Blick auf die Toilette, verlor das Gleichgewicht und taumelte zurück. Er begann zu zittern. Gleich darauf weinte er. Ich ging zur offenen Tür, urn selbst nachzuschauen. Ich wußte, wie wichtig meine Reaktion war. Sollte ich nicht ehrlich schockiert und verstört aussehen, würde sich später jemand daran erinnern und der Polizei davon erzählen. Doch meine Reaktion war perfekt. Kaum hatte ich die Tür aufgestoßen und Eds Leiche gesehen, die Augen, die mich direkt anstarrten, da spürte ich wieder den Drang, mich übergeben zu müssen. Diesmal hielt ich mich nicht zurück. Ich ließ es kommen, ließ es hemmungslos geschehen. Mike kam zu mir und legte einen Arm um mich, dann half man uns beiden aus der Toilette. - Jason Starr, Top Job. München 2006 (SZ Kriminalbibliothek 31)

Leichenfund (60)

Leichenfund (61)

Leichenfund (62)

Leichenfund (63) Juve bemerkte etwas Seltsames ...

- Sowas! sagte er und bedeutete Fandor, keinen Schritt vorwärts zu tun, guck mal... im Sand ist nicht die geringste Spur von Schritten, ausgenommen die des Kassierers! ...

Das war tatsächlich eine erstaunliche Feststellung ...

Die Leiche von Louis Meynan - denn bei genauem Hinsehen hatten Juve und Fandor sich davon überzeugen müssen, dass es mit Sicherheit der Kassierer war - lag in der Mitte des Raumes, das heisst in gleicher Entfernung von den beiden Türen. Zwischen dem Leichnam und Juve, wie auch zwischen ihm und Fandor befand sich der ganze mit Sand bedeckte Parkettboden, auf welchem man zwangsläufig die Fussspuren des Mörders hätte entdecken müssen, wenn es wirklich Mord war, wenn Louis Meynan wirklich das Opfer eines verbrecherischen Anschlags geworden war...

Nun aber war nichts dergleichen zu entdecken!

Ganz im Gegenteil! Auf dem weissen Sand, der den Boden des Raumes bedeckte, waren nur Fussspuren zu sehen, die eindeutig von der Tür der nördlichen Wandelhalle herkamen, aber zu Füssen des ausgestreckten Kassierers aufhörten und ganz ohne Zweifel von Louis Meynans eigenen Schritten herrührten, die er getan hatte, als er in die Geheimkammer eingetreten war, um von dort, den Anweisungen gemäss, zu den Gewölben zu gehen, wo die Stahlschränke standen ...

Nach Louis Meynan war also niemand mehr hereingekommen?...

Dann liess sich Louis Meynans Tod nicht durch Mord erklären ...

Wie um sich selber eine Antwort zu geben, fügte Juve, zu Fandor gewandt, hinzu:

- Und doch ist dies keinesfalls ein Freitod! Der Degen ist in den Rücken des Unglücklichen gedrungen ...

Was sollte man daraus schliessen? - Pierre Souvestre & Marcel Allain, Fantômas: Mord in Monte Carlo. Berlin 1986(zuerst 1911)

Leichenfund (64)  Niemand war im Zimmer. Das Bett war mit einem halben Dutzend Laken zugedeckt, darüber lagen eine Schlummerrolle und eine Tagesdecke und obenauf ein roter Damenplastikregenmantel. Unter all diesen Lagen war eine Erhebung sichtbar. Hoke trat ans Kopfende und zog die Schichten zurück, eine nach der anderen, und legte Troy Louden bis zur Taille frei. Die Leiche stand vor der Verwesung, und der Waschlappen auf Troys Gesicht war getrocknet; Hoke zog ihn mit spitzen Fingern beiseite, und ihm war, als nehme er den Geruch von gebrannten Mandeln wahr, aber später konnte er nicht mit Sicherheit sagen, ob er ihn wirklich gerochen hatte. Dale Forrests kleine .25er-Kugel, ein Dumdumgeschoß aus kreuzweise eingeritztem Blei, hatte Troys linke Wange getroffen und den Knochen durchschlagen; Splitter davon waren nach oben hin abgelenkt worden, hatten das Auge zerfetzt und die Augenhöhle zerschrammt. Troy hatte große Schmerzen gelitten, bevor er gestorben war. Hoke bedeckte das Gesicht des Toten wieder mit dem trockenen Waschlappen und zog dann das untere Laken über den Oberkörper und den Kopf. Zusammen mit Figueras kehrte er ins Eßzimmer zurück.

Stanley, die dünnen Arme auf dem Rücken gefesselt, starrte auf seine kalt werdende Suppe, aber anscheinend hatte er das Interesse daran verloren.

«Seit wann ist er schon tot?» fragte Figueras den alten Mann.

«Seit drei Tagen. Ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte. Er hat gelitten, aber er hat mir nicht erlaubt, einen Arzt zu holen oder ihn ins Krankenhaus zu bringen. Ich habe ihn mit nach Hause genommen, und als ich dachte, er kann es nicht mehr aushaken, habe ich ihm zwei Zyanidtablcttcn gegeben. Ich wußte nicht, was ich sonst für ihn tun sollte.»

«Zyanid?» fragte Hoke. «Woher zum Teufel hatten Sie Zyanid?»

«Es war in meinem Spazierstock. Die Leute halten sich manchmal bösartige Hunde, die Fremde und kleine Kinder beißen. Ihre Besitzer beißen sie nicht, weil die sie füttern, wissen Sie, aber da geht man irgendwo den Gehweg entlang, und sie fallen über einen her, ehe man sich versieht. Deshalb hatte ich immer ein paar Tabletten, um hin und wieder einen bissigen Hund zu vergiften, wenn ich Gelegenheit dazu hatte. Troy war ein guter Junge, zu mir jedenfalls war er gut, vielleicht auch, weil ich ihn gefüttert habe. Aber er hatte viel Ähnlichkeit mit einem bösen Hund.» - Charles Willeford, Seitenhieb. Reinbek bei Hamburg 1996

Leichenfund (65) «Ein Lastwagenfahrer der Firma <Miles Produco> drüben in Tice. Er hatte in Immokalee eine Ladung Melonen abgeholt, und ein paar Meilen hinter dem Abzweig zum Vogelpark Corkscrew hat er auf dem Highway angehalten, um zu pinkeln. Er stellte sich hinter die Reklametafel - die mit der Werbung für die Hunderennbahn in Bonita Springs - und sah, daß ein paar Zehen aus der Erde ragten. Es hatte geregnet, der Boden war sumpfig, und der Fuß hatte sich hochgearbeitet. Er stocherte ein bißchen mit einem Stock herum, bis er sich vergewissert hatte, daß es ein Fuß war, und als er in Bonita Springs ankam, rief er Sheriff Boggis an. Boggis sah es sich an und rief mich dann heraus, damit ich feststellte, ob es ein verschwundener Haitianer war. Es war einer.»

«Woher wußten Sie das? Doch nicht bloß, weil er schwarz war.»

«Er hatte eine Tätowierung auf dem linken Handrücken. Le Chat, und zwei spitze Ohren unter diesen Worten. Die Tätowierung war m die Haut eingeschnitten, wahrscheinlich mit einer Rasierklinge. Haitianer, wie Sie vielleicht wissen, essen Katzen- Charles Willeford, Bis uns der Tod verbindet. Reinbek bei Hamburg 1996

Leichenfund (66) Mrs. Feistinger war wirklich tot, und sie war es schon seit ein oder zwei Tagen, aber es roch nicht allzu schlimm, weil die Klimaanlage auf Hochtouren lief. Sie war über achtzig und fast kahl. Ihre blauschimmernde Perücke mit den Ringellockchen und den Mamie-Eisenhower-Fransen war über einen Styroporschädel auf dem Nachttisch gestülpt. Sie trug ein Nachthemd aus blauem Flanell und war mit einem Laken und einer bunten Afghanendecke zugedeckt. Ihre hellgrauen Augen starrten blicklos an die rissige Decke. Ihr Kiefer war starr; Hoke wußte, daß er ihr das Gebiß nur unter beträchtlicher Gewaltanwendung würde einsetzen können, und legte es wieder in das Wasserglas. Aber er setzte ihr die Perücke auf, denn er wußte, so hätte sie es gewollt, und sie hätte sie sich selbst aufgesetzt, wenn sie geahnt hätte, daß sie im Schlaf sterben würde. - Charles Willeford, Neue Hoffnung für die Toten. Berlin 2002 (zuerst 1985)

Leichenfund (67)

Leichenfund (68)

Leichenfund (69) Eine nackte Frau hing, an einem Bein aufgehängt, von der Decke herab über einem mit einer Steppdecke bedeckten Bett. Ihr Bauch war aufgeschlitzt, und die Eingeweide hingen über ihr blutverschmiertes Gesicht. Lloyd prägte sich den Anblick genau ein: das freischwebende Bein war dunkelrot angelaufen und im rechten Winkel abgeknickt; getrocknetes Blut klebte an ihren Brüsten, und die Hautstellen, die nicht blutverschmiert waren, waren blau angelaufen; die Bettdecke war so mit Blut getränkt, daß sich Schichten und Krusten gebildet hatten; Blut war auf der Erde, an der Wand, auf Schrank und Spiegel.- James Ellroy, Blut auf dem Mond (mit: In der Tiefe der Nacht). Frankfurt am Main / Berlin 1993

Leichenfund (70) Unübersehbar hing ein menschlicher Körper von der oberen Rohrleitung herab, der dicksten, die den Hauptabfluß des Swimmingpools mit der Filteranlage verband. Ein Erhängter nimmt nie eine elegante Haltung ein, obwohl es Erhängte gegeben haben soll, die ihre Henker anflehten, sich um ihr Aussehen zu kümmern, wenn sie tot waren. Aber im Fall des Tennislehrers war Carvalho bereit, die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, daß sich seine Leiche eines eleganten Aussehens erfreute; es war eine Leiche, die einen bevorzugten Platz in den besten Kriminalromanen eingenommen hätte, wegen des edlen Anstands, mit der sie den Kampf gegen das Gesetz der Schwerkraft verloren hatte. Selbst die Kürze und gute Farbe des Stücks Zunge, das aus dem Mund heraushing, waren lobend zu erwähnen. - Manuel Vázquez Montalbán, Wenn Tote baden. München 2003

Leichenfund (71) Daß Mme. Fedorownas Leiche auf der Asphaltschicht des Tennisplatzes gefunden wurde, auf der Nordseite, bekleidet mit einer leichten, aber züchtigen Kombination für weibliche Champions von Roland Garros aus den dreißiger Jahren, überraschte nicht so sehr wie die Tatsache, daß irgend jemand, wahrscheinlich der Mörder, den Tennisschläger mit dem Netz über ihr Gesicht gelegt hatte. Eine nutzlose Jalousie über dem Loch, wo die Kugel in der Mitte der Stirn eingedrungen war, während sich die Austrittsstelle an der Grube der Schädelbasis befand. Diese von oben nach unten verlaufende Geschoßbahn legte die Vermutung nahe, daß Mme. Fedorowna entweder von einem Riesen erschossen worden war, wenn man von der beträchtlichen Größe der Dame ausging, oder daß der Mörder sie gezwungen hatte, niederzuknien, um ihr den Gnadenschuß in die Mitte ihrer hohen, breiten, weißen Stirn zu geben, so voller nobler Gedanken über den Saft der Karotte und voller gesunder Warnungen vor der Tortilla und dem Gebirgsschinken. - Manuel Vázquez Montalbán, Wenn Tote baden. München 2003

Leichenfund (72)

Leichenfund (73)  Das Frontispiz ist ihr Porträt, und es folgt - der Nachruf: sie trug die Schule auf ihren Schultern. Wirklich? Nun ja - dann blättere das mal auf: — wir fanden Geld im Blut und etwas im Zimmer und auf der Treppe. Mein Gott, ich wußte gar nicht, daß ein Mann so viel Blut im Kopf hat! -und dreizehn leere Whiskyflaschen. Es tut mir leid, aber diejenigen, die diesen Weg kommen, treffen auf eine seltsame Gesellschaft. Dies ist, wie ihr seht, des Todes Hohelied.

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Eine junge Frau, die sich bei intellektuellen Unternehmungen hervorgetan hatte, eine Person von großer Autorität in ihrem Wirkungskreis, starb in der gleichen Nacht, in der ein Mann in der nächsten Straße ermordet wurde, ein Geselle von gröbstem Benehmen. Der Dichter nutzt dieses aus, um beide Seite an Seite auf ihren Weg zu schicken, ohne die üblichen unglücklichen moralischen Unterscheidungen zu machen. - (kore)

Leichenfund (74) vor dem bahnhofsbüffet findet man endlich den 35 jährigen revierinspektor helmut k. einen wachbeamten den man schon seit beginn dieses kapitels sucht und der trotz seiner jungen jahre als äusserst fähig und pflichtgetreu und beförderungswürdig und was weiss ich sonst alles beschrieben wird in einer blutlache tot auf. er wurde getötet durch: schüsse in die stirn die schlä fen in den unterleib in die gliedmassen in den mund die brust die nieren. ausserdem durch tritte stiche und bisse, er bietet ein grausames bild seine hände sind mit kot beschmiert die armen weissen hände helmuts an denen noch schneekristalle hängen, die armen roten lippen hel muts an denen blutstropfen wippen die armen blonden locken mit denen kein wind mehr spielt der arme kleine helmut schwanz der irgendwo in den fichten hängt, die armen füsse helmuts die noch immer auf einer rodel zutal sausen und nicht wissen dass der helmutbub nicht mehr ist.

die erbitterten polizeikollegen des ermordeten inspektors vermuten den täter in homosexuellenkreisen. die suche nach dem unerhört brutalen mörder dem die lynchjustiz angedroht wird geht unter stärkster bewachung auf vol len turen weiter, oh der schreckliche schmerz in helmuts weissen polizistenkörper unter dem weissen leintuch. - (loc)

Leichenfund (75) Am 17. Mai 1924 fanden Kinder, die au der Wasserkunst nahe dem Schlosse Herrenhausen spielten, einen Menschenschädel. Am 29. Mai wurde mitten in der Stadt an der Brückmühle hinterm Leineschloß im Mühlengraben ein feiner Jünglingsschädel angespült. Am 13. Juni klagten die augenlosen Höhlen zweier neuer Schädel zum Licht. Wiederum: der eine im Osten der Stadt bei der Wasserkunst; der andere im Westen neben der Brückmühle. Die gerichtsärztliche Untersuchung ergab, daß es sich handelte um Köpfe junger Menschen im Alter von 18 bis 20 Jahren. Bei dem am 13. Juni bei der Brückmühle gefundenen um den eines 11 bis 13 Jahre alten Knaben. Bei allen Schädeln war festzustellen, daß sie mit einem scharfen Instrument vom Rumpfe getrennt worden waren. Fleischteile fehlten fast völlig oder waren verwest, da die Knochen anscheinend schon lange Zeit im Wasser gelegen hatten. An dem am 13. Juni bei der „Wasserkunst" gefundenen Kopfe ließ sich feststellen, daß die Kopfhaut durch einen skal p artigen Schnitt vom Knochen abgelöst worden war. Man riet zunächst darauf, daß die Schädel aus der Göttinger 'Anatomie stammten, oder daß sie in Alfeld, wo zu jener Zeit eine Typhusepidemie herrschte, in die Leine geworfen waren, oder endlich, daß sie ins Wasser geschleudert wurden, gelegentlich von Gräberschändungen, die im Engesohder Friedhof entdeckt wurden.

Keine von diesen Vermutungen bestätigte sich. Dagegen fanden Knaben, die auf einer Wiese in der Döhrener Masch spielten, einen Sack mit menschlichen Knochen, und am 24. Juli wurde in der Feldmark Garbsen abermals ein offenbar vom Körper getrennter skalpierter Schädel aufgefunden, welcher wiederum von einem ganz jungen Menschen stammte. Die vielen Knoehenfunde konnten nicht verborgen bleiben. Es bemächtigte sich weiter Volkskreise eine schon lange vorbereitete Schrecksucht. Schon seit Jahr und Tag nämlich war im Volke ein abergläubisches Gerücht im Schwange: „Es gibt in der Altstadt Menschenfallen. Junge Kinder verschwinden in Kellern. Knaben werden in den Fluß versenkt." Man erzählte, daß in der schweren Notzeit Menschenfleisch auf dem Markt verkauft worden sei. In den Dörfern um Hannover weigerten sich junge Mägde, in die Stadt einkaufen zu gehen. Und die unge-wisse Angst vor einem die Gegend unsicher machenden „Werwolf" wuchs von Tag zu Tag. In den Jahren 1918 bis 1924 waren außergewöhnlich viele Menschen vermißt oder verschwunden. Im Jahre 1923 wuchs die Zahl der als vermißt Gemeldeten auf fast 600, und wenn auch die größere Anzahl der Vermißten sich wieder einfand, so blieb doch im Vergleich mit anderen gleichgroßen Städten die Anzahl der Verschwundenen in Hannover ziemlich groß. Die Nachforschung zeigte, daß es sich recht häufig handelte um Knaben und Jünglinge zwischen 14 und 18 Jahren.

Am Pfingstsonntag des Jahres 1924 zogen Hunderte aus Hannover und Umgebung an die „Hohen Ufer", besetzten die kleinen Stege und Leinebrücken der Altstadt und begannen ein fieberhaftes Suchen nach Leichenteilen und Knochen. Am fünften Juli in der Morgenfrühe wurde, nachdem man noch eine ganze Anzahl menschlicher Knochen gefunden hatte, das ganze Flußbett von der Brückmühle an bis zur großen Leinebrücke am Clevertor abgedämmt und durch Polizeibeamte und städtische Arbeiter gründlich nach Leichenteilen durchsucht. Diese Stelle der Leine liegt mitten in der Stadt. Sie kann von Selbstmördern wegen des dort stattfindenden starken Verkehrs nicht aufgesucht werden. Das Ergebnis war furchtbar. Es wurden über 500 Leichenteile gefunden, deren Untersuchung durch den Gerichtsarzt ergab, daß es sich um die Reste von mindestens 22 Personen handelte, von denen ungefähr ein Drittel im Alter zwischen 15 und 20 gestanden haben mochte. Etwa die Hälfte hatte schon längere Zeit im Wasser gelegen. — An den noch frischen Knochen aber wiesen die Gelenke glatte Schnittflächen auf. - Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925

Leichenfund (76)  Haarmann gibt an: "Eines Nachmittags, es war Schneetreiben und Frost, kamen Wittkowski und Grans zu mir und baten: 'Laß' uns zu heut Abend dein Zimmer. Wir haben eine Besprechung.' Ich sagte: 'Meinetwegen', und ging abends, wie ich immer tat, zum 'schwulen Kessel' (der Zusammenkunftsort der Gleichgeschlechtsliebenden unter den Linden am Hoftheater), blieb dort einige Stunden und ging dann auf den Bahnhof. Erst gegen Morgen komme ich nach Haus, Liegt da im Zimmer ein Toter. Ganz entkleidet. Hugo und Hans schnüren grade Kleider zusammen. Ich frage: 'Was ist das?' Sie sagen: 'Einer von den Deinen.' Ich denke: 'Er hat am Halse keine Wunde. Die meinen haben Lutschflecke.' Sie blieben bei ihrer Behauptung und liefen fort. Nur der Mantel blieb zurück; den hat Grans folgenden Tages auch geholt und mir acht Mark dafür hingelegt. Ich hatte die Mühe, die Leiche zu zerlegen und fortzuschaffen. Ich weiß nicht, wer es war. Aber es war der, dem dieser Mantel dort gehört hat." - Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925

Leichenfund (77)

Leichenfund (78)  »Mrs. Throgmorton war vorhin bei mir - ganz aufgeregt.«

»Entschuldige, Mutter, ich verstehe nicht. Wer?«

»Mrs. Throgmorton, die Frau des Pfarrers.«

»Oh, Mrs. Throgmorton. Ja, und?«

»Mr. Thipps rief heute morgen bei ihnen an. Er hätte nämlich zu ihnen kommen sollen.«

»Ja, und ?«

»Er rief an, um zu sagen, er könnte nicht kommen. Er war ganz aus dem Häuschen, der arme kleine Kerl. Er hatte in seiner Badewanne eine Leiche gefunden.«

»Entschuldige, Mutter, ich verstehe nicht. Was hatte er wo gefunden ?«

»Eine Leiche, mein Junge, in seiner Badewanne

»Was? - Nein, nein, wir sind noch nicht fertig. Bitte, unterbrebrechen Sie die Verbindung nicht. Hallo! Hallo! Bist du noch da, Mutter? Hallo! Mutter! O ja, entschuldige, das Fräulein vom Amt wollte uns trennen. Was für eine Leiche?« »Ein toter Mann, der nichts anhatte außer einem Zwicker. Mrs. Throgmorton wurde tatsächlich rotr als sie es mir erzählte. In ländlichen Pfarrhäusern werden die Menschen leider etwas prüde.«

»Na, das klingt ein bißchen ungewöhnlich. War es jemand, den er kannte ?«

»Nein, ich glaube nicht; aber natürlich konnte sie mir nicht viele Einzelheiten angeben. Sie sagte, er wäre ganz verstört gewesen. Der kleine Kerl ist ein so ehrbarer Mann, und daß er nun die Polizei im Hause hat und so weiter machte ihm wirklich Kummer.« »Das arme Thippscben! Sehr peinlich für ihn. Er wohnt in Battersea, nicht?«

»Ja, Queen Caroline Mansions 59, gegenüber dem Park. In dem großen Haus an der Ecke vom Krankenhaus. Ich dachte, du würdest vielleicht gern zu ihm gehen und ihn fragen, ob wir irgend etwas tun können. Ich fand den kleinen Mann immer so nett.«

»Oh, sicher«, antwortete Lord Peter und lächelte ins Telefon. Die Herzogin leistete ihm bei seinem Steckenpferd, kriminali-

stischen Untersuchungen, stets große Hilfe, obwohl sie nie darauf Bezug nahm und sich höflich den Anschein gab, als ob es nicht vorhanden wäre.

»Wann war das, Mutter?«

»Ich glaube, er fand die Leiche heute früh; aber natürlich dachte er nicht gleich daran, Throgmortons zu benachrichtigen. Sie kam kurz vor dem Essen zu mir - ärgerlich, ich mußte sie zum Bleiben auffordern. Zum Glück war ich allein. Es macht mir nichts, mich zu langweilen; aber ich schätze es nicht, wenn meine Gäste angeödet werden.«

»Armes Mütterlein! Also, tausend Dank, daß du mir Bescheid gesagt hast. Ich glaube, ich werde Bunter zur Auktion schicken und gleich nach Battersea fahren, um zu sehen, ob ich das arme Kerlchen trösten kann. Auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen, mein Junge.« -

»Bunter!«

»Bitte sehr, Mylord.«

»Ihre Durchlaucht erzählte mir, daß ein ehrbarer Architekt in Battersea einen Toten in seiner Badewanne entdeckt hat.«

»Wirklich, Mylord? Das ist sehr erfreulich.«  - Dorothy Sayers, Ein Toter zu wenig. Frankfurt am Main 1973

Leichenfund (79)

Leichenfund (80)   Weit   aufgerissen  und blicklos stierten ihre Augen zu der kalkigen Decke hinauf. Der Mann mochte dreiundvierzig oder vierundvierzig Jahre zählen. Er war mittelgroß, breitschultrig, hatte schwarzes Kraushaar und einen kurzgeschnittenen Bart. Er trug einen Gehrock aus schwarzem Tuch und eine Weste aus dem gleichen Material, dazu helle Hosen. Kragen und Manschetten waren blendend weiß. Sein tadellos und glänzend gebürsteter Zylinder stand neben ihm auf dem Boden. An seinen weitausgebreiteten Armen ballten sich die Fäuste. Die Beine hingegen  waren  angezogen  und  ineinander  verschlungen, was die Vermutung nahelegte, daß er einen harten Todeskampf gehabt hatte. Auf seinem erstarrten Gesicht stand noch das Entsetzen. Ja, ich las sogar solchen Haß darin wie in keines Menschen Antlitz je zuvor. Diese wütende, schreckliche Verzerrung, dazu eine niedere Stirn, eine dicke aufgestülpte Nase und ein plumpes Kinn gaben dem Toten das Aussehen eines bösen Affen; eine Ähnlichkeit, die durch die zusammengekrümmte  Haltung noch mehr hervortrat. - Sir Arthur Conan Doyle, Studie in Scharlachrot. Frankfurt a.M. - Berlin 1968 (zuerst ca. 1880)

Leichenfund (81)  »Kein Sterbenslaut, und doch, als ob lauter Menschen herumständen. Und dunkel!! Draußen war es schon stockfinster gewesen, dazu hatte es in Strömen gegossen - aber eine so pechschwarze Dunkelheit wie dort oben hab' ich meinen Lebtag noch nicht gesehen. Dabei immer das Gefühl, als ob mich hundert Augen beobachteten.

Nach einer Weile riß ich mich zusammen und knipste meine Taschenlampe an. Sind Sie mal dort oben gewesen? Haben Sie die Glocken gesehen? Mir kann keiner nachsagen, daß ich mich mit Hirngespinsten abgebe, aber ich muß schon sagen, da oben bei den Glocken hab' ich beinah Halluzinationen gekriegt!«

»Ich kenne das«, bestätigte Wimsey. »Man hat das Gefühl, als kämen sie im nächsten Augenblick auf einen herunter.«

»Sehen Sie - Sie verstehen mich«, sagte Nobby mit einem dankbaren Bück auf Wimsey. »Nun war ich zwar da oben, wußte aber nicht recht, was anfangen. Mit den Glocken wußte ich nicht Bescheid - wie man an sie rankam und so - und dann konnte ich auch nicht verstehn, wo Deacon abgeblieben sein sollte. Ich leuchtete also mit meiner Taschenlampe alles ab und - brr! - da fand ich ihn.«

»Tot?«

»Mausetot. An einen Pfosten angebunden, und sein Gesicht, seine Augen - so was Fürchterliches - mehr als selbst unsereins vertragen kann! Als wenn er totgeschlagen und verrückt geworden wäre - ich kann das nicht so erklären . . .«

»War er denn auch wirklich ganz tot?«

»Tot?« Mr. Cranton lachte. »Ich hab' so was noch nie gesehen.«

»Schon steif?«

»Nein, noch nicht. Aber kalt - Herrgott! Ich hab' ihn nur mal leicht angetippt. Er hing an den Seilen und sein Kopf war vornüber gefallen. Na, jedenfalls sah er aus, als hätten es ihm die Glocken richtig heimgezahlt und noch mehr als das. Als hätten sie kurzen Prozeß mit ihm gemacht, obwohl es anscheinend ziemlich lange gedauert haben muß, bis er hinüber war.«

»Wieso, war er denn erhängt?« fragte Mr. Parker ungeduldig.

»Keine  Spur.  Ich weiß  nicht,  wie er umgekommen ist.« - Dorothy Sayers, Die neun Schneider. Frankfurt am Main 1966

Leichenfund (82)

Leichenfund (83)   Es war ein junger Mann, nur mit einer langarmeligen Jacke bekleidet, die an seinen ausgestreckten Armen klebte. Lange Strähnen nassen Haares klebten an seinem aufgedunsenen, schauerlich verzerrten Gesicht. Seine nackten Beine und Füße zeigten schwere Brandwunden; seine Hände waren zerfetzt. Sein Bauch war aufgeschlitzt, und die bleichen Gedärme hingen heraus. Neben der Leiche kniete ein Leutnant, dessen Rücken unter den goldenen gebogenen Schulterstücken sehr breit wirkte.

»Da ist ein flaches Päckchen in seinem linken Ärmel!« sagte eine heisere Stimme. »Muß mein Silber sein!«  - Robert van Gulik, Halskette und Kalebasse. Zürich 1982

Leichenfund (84) Falls ein junger oder älterer Polizeibediensteter beim Anblick eines besonders belastenden Tatorts Anzeichen von Übelkeit verspürt, sollte er das nicht unbedingt einer individuellen psychologischen Anfälligkeit zuschreiben, sondern einer praktisch universell auftretenden Reflexreaktion der oberen Verdauungsorgane. Handbuch der Spurensicherung, Neufassung 1999. - Nach: Colin Dexter, Und kurz ist unser Leben. Reinbek bei Hamburg 2000

Leichenfund (85)

Leichenfund (86)

Leichenfund (87)  

Geschlecht: männlich; Alter: zwischen 60 und 65; Hautfarbe: weiß; Rumpf in gutem Ernährungszustand bei leichter Neigung zu Fettansatz; Kopf abgetrennt in Höhe des vierten Halswirbels, fehlt (Schnitt unregelmäßig, ungeübte Hand?); linke und rechte Hand oberhalb des Handgelenks abgetrennt, ebenfalls fehlend; rechtes und linkes Bein durch Schnitte (professionell?) ca. 12 cm unterhalb des Hüftgelenks abgetrennt, fehlen; Haut über den Waschfraueneffekt hinaus...

Nach einer Weile erhob der Pathologe sich ächzend aus seiner unbequemen Stellung und trat, die Hände auf den Rücken pressend, das Gesicht schmerzverzerrt, neben Morse. «Weißt du ein Mittel gegen Lumbago?»
«Ich dachte, du wärst hier der Arzt,»
«Arzt? Ich bin doch bloß ein Leichenschnippler.»  
«Was mich wundert: Wie schaffst du es, einen Hexenschuß mitten im Sommer zu kriegen?»   
«Mein Hexenschuß ist saisonunabhängig!»  - Colin Dexter, Das Rätsel der dritten Meile. Reinbek bei Hamburg 1988

Leichenfund (88)

Leichenfund (89)   Isaac ruderte mit den Armen. Er mußte nicht lange nach der Leiche suchen. Isaacs milchiger Neger lag mitten im Parkett über einer Stuhllehne, umgeben von einem kleinen Grüppchen von Detektiven. An der Stelle, an der sein Genick gebrochen war, hatte er eine blaue Beule. Seine Augen waren aus dem Schädel getreten. Die Zunge steckte in seiner Schulter. »Jesus«, sagte Brodsky mit dem Geschmack von Kotze in der Nase. Er hielt sich die Hand vor den Mund und rannte los, um sich ein Glas Wasser zu holen. Die Hose fiel ihm auf die Knie. Der Chauffeur trug geblümte Unterhosen. Die Haut auf seinen Oberschenkeln war weiß und bleich. Einer der Kriminalbeamten wandte sich an Isaac.

»Haben Sie eine Vermutung, Chef?«

»Nein«, sagte Isaac.

»Ich dachte, der kleine Nigger würde Ihnen gehören.«

»Na und«, knurrte Isaac. »Verdammt noch mal, stecken Sie ihn in einen Leichensack. Ich will nicht, daß er so rumliegt.«

»Haben Sie ein Herz, Isaac. Wir können die Untersuchung nicht abbrechen. Wir tüten ihn ein, sobald es geht.«  - Jerome Charyn, Marilyn the Wild. München 1996

Leichenfund (90)  Paul Dumas, Arzt, gibt an, um etwa Tagesanbruch zur Besichtigung der Leichname gerufen worden zu sein. Sie lagen zu diesem Zeitpunkt beide auf der Bettmatratze in dem Zimmer, in welchem Mademoiselle L. gefunden wurde. Der Körper der jungen Dame wies starke Quetschungen und Hautabschürfungen auf. Die Tatsache, daß er in den Kamin hinaufgestoßen worden, würde diese Erscheinungen hinreichend erklären. Die Kehle war in starkem Maße wund gescheuert. Gleich unter dem Kinn zeigten sich verschiedentliche tiefe Kratzer, zusammen mit einer Reihe bleigrauer Flecken, welche mit Entschiedenheit auf Fingerabdrücke zurückgehen. Das Gesicht hatte sich auf das fürchterlichste entfärbt, und die Augäpfel waren hervorgetreten. Die Zunge war teilweise durchbissen. Eine große Schramme wurde über der Magengrube entdeckt, hervorgerufen offenbar vom Druck eines Knies. Nach Meinung von M. Dumas war Mademoiselle L'Espanaye von einer oder mehreren unbekannten Personen erdrosselt worden.

Der Leichnam der Mutter zeigte grauenvolle Verstümmelungen. Alle Knochen des rechten Beines und Arms waren mehr oder minder zerschmettert. Die linke tibia weitgehend zersplittert, insgleichen alle Rippen der linken Seite. Der ganze Körper war furchtbar entstellt und verfärbt. Es war nicht möglich zu entscheiden, wie die Verletzungen zugefügt worden seien. Ein schweres Holzscheit oder eine breite Eisenstange - ein Stuhl -jede große, schwere und stumpfe Waffe würde solche Wirkungen etzielt haben, wenn von den Händen eines sehr starken Mannes geführt. Unmöglich hätte eine Frau mit irgend nur einer Waffe dergleichen ausrichten können. Der Kopf der Verstorbenen war, als vom Zeugen in Augenschein genommen, gänzlich vom Rumpfe getrennt und ebenfalls in starkem Maß zerschmettert. Die Kehle war entschieden mit einem sehr scharfen Instrument durchschnitten worden - vermutlich mit einem Barbiermesser.   - Edgar Allan Poe, Die Morde in der Rue Morgue. In: E. A. P., Werke I. Olten und Freiburg i. Br. 1966 (Übs. Arno Schmidt, Hans Wollschläger, Hg. Kuno Schumann, Hans Dieter Müller)

Leichenfund (91)  Sie lag auf dem Rücken, mit dem Kopf zur Tür, ein Bein auf dem gefliesten Boden ausgestreckt, das andere unter dem Körper angewinkelt. Der linke Arm ragte zur Seite, die rechte Hand lag verkrampft auf ihrer Brust. Das Kinn war hochgereckt, als hätte sie sehen wollen, wer hinter ihr zur Tür hereinkam, aber das Gesicht war wie eine dunkel schillernde Maske, die in stiller Konzentration zu vibrieren schien. Besonders deutlich regte es sich in dem klebrigen Schleim unter den Augenlidern, wo sich bereits neues Leben aus dem erloschenen nährte. Fliegen schwirrten böse summend auf, als der Maresciallo die Tür so weit es ging aufstieß und sich in den Flur zwängte. Bevor sie sich wieder niederließen, sah er, daß die bläulichen Lippen zu einer grotesken Grimasse verzerrt waren und die Wunde am Hals von Maden wimmelte.

Der Maresciallo stieg über den ausgestreckten Arm hinweg und machte einen Bogen um das geronnene Blut, das sich an der Fußleiste sammelte, sowie um das dünne, zähfließende Rinnsal, das auf den Treppenabsatz hinaussickerte. Die Blutlache war ungewöhnlich groß. Auf dem Boden neben der offenen Küchentür lag ein Tranchiermesser.  - Magdalen Nabb, Nachtblüten. Zürich 2002

Leichenfund (92)  Einen Meter vor dem Katamaran hielt sie inne und betrachtete argwöhnisch die Beharrlichkeit des Körpers, den nur das sanfte Hin und Her der Wellen bewegte. Sie schaute sich nach Beistand um und entdeckte den kahlen, olivhäutigen Mann, der die Szene aus etwa zwanzig Metern Entfernung beobachtete. Bestätigt durch seine Anwesenheit, näherte sie sich dem Körper. Als sie ihn mit der Hand berührte, löste sich der seltsame Schwimmer mit der Folgsamkeit eines Toten von dem Katamaran. Das Mädchen wandte sich zu ihrem Beobachter um und rief etwas in einer fremden Sprache. Dieser zögerte nicht und sorgte für rasche, präzise Schwimmzüge, um sie mit der Promptheit zu erreichen, die einem so herrlichen Mädchen zustand. Die Eindeutigkeit des entseelten Körpers gewann die Oberhand über das Goutieren der Frau. Der kahle, olivhäutige Mann schob den Körper schwimmend vor sich her zum Strand, bis er Boden unter den Füßen hatte, und schleppte ihn dann weiter, gefolgt von dem Mädchen, das nicht aufhörte zu schreien. Die Schreie öffneten erwartungsvolle Gassen im Gewimmel der Schwimmenden und derer, die auf dem Sand Schweiß absonderten oder trockneten. Einige Schwimmer versuchten, dem kahlen, olivhäutigen Mann seine Hauptrolle streitig zu machen, aber er hielt seine Trophäe fest mit dem Arm, den er dem Toten unter den Achseln durchgeschoben hatte.

Am Strand angekommen, hoben sie den Körper zu viert aus dem Wasser. Der kahle, olivhäutige Mann dirigierte die Operationen. Sie trugen ihn mit dem Gesicht nach unten, wie sie ihn aus dem Wasser geborgen hatten. Er war nur mit einer Badehose bekleidet, jung und blond und sonnengebräunt. Die vier Männer drehten ihn um, als sie ihn in den Sand legten. Ein Schrei des Entsetzens weitete den Kreis der halbnackten Menge. Er hatte kein Gesicht. Die Fische hatten Wangen und Augen gefressen. Man drehte ihn wieder um. In diesem Moment entdeckte ein kleiner Junge, daß auf der Haut des Rückens etwas zu lesen stand. Eine Hand wischte die nassen Sandkörner ab. Jemand las mit lauter Stimme die auf ein Schulterblatt tätowierten Worte vor: ICH BIN GEBOREN, DAS INFERNO AUS DEN ANGELN ZU HEBEN.  - Manuel Vázquez Montalbán, Carvalho und die tätowierte Leiche. Berlin 2014 (zuerst 1976)

Leichenfund (93)  

Leichenfund (94)  Er mußte sich dazu zwingen, noch einmal auf Miss Bolams Leiche zu schauen. Als sie noch lebte, hatte er sie für unverschämt und reizlos gehalten, und der Tod hatte ihr keine Würde verliehen. Sie lag mit angezogenen und gespreizten Knien auf dem Rücken, so daß man deutlich ein Stück rosa Wollschlüpfer sehen konnte, was viel unanständiger wirkte als nacktes Fleisch. Ihr rundes, schweres Gesicht war ganz friedlich. Die beiden dicken Zöpfe, die sie um den Kopf gewunden trug, schienen unbeeinträchtigt zu sein. Aber schließlich hatte nichts Miss Bolams altmodische Frisur durcheinanderbringen können. Dr. Steiner mußte an seine private Phantasievorstellung denken, wonach die dicken, leblosen Zöpfe eigene geheimnisvolle Säfte absonderten und unverrückbar über der ruhigen Stirn festsaßen, in alle Ewigkeit. Während er die Gestalt betrachtete, die in der wehrlosen Schmach des Todes vor ihm lag, versuchte Dr. Steiner Mitleid zu empfinden und stieß dabei auf die Angst in seinem Herzen. An die Oberfläche drang jedoch nur der Ekel, Es war unmöglich, empfindsam auf etwas zu reagieren, das so lächerlich, so schockierend, so obszön war. Das häßliche Wort wirbelte ungebeten in sein Bewußtsein. Obszön! Er verspürte den lächerlichen Drang, ihr den Rock herabzuziehen, das aufgedunsene, klägliche Gesicht zu bedecken, die Brille zurechtzurücken, die ihr von der Nase gerutscht war und nun schräg am unken Ohr hing. Ihre Augen waren halb geschlossen, der kleine Mund geschürzt wie in Mißbilligung eines so schmachvollen und unverdienten Endes. Dr. Steiner war mit diesem Blick durchaus vertraut; er hatte ihn oft erdulden müssen. Er dachte: Sie sieht aus, als hielte sie mir gerade meine Reisekostenabrechnungen vor.  - P. D. James, Eine Seele von Mörder. Reinbek bei Hamburg 1979

Leichenfund (95)

Leichenfund (96) Aus dem Protokoll der Tatortuntersuchung, vorgenommen am Abend des 15. März 1878 in der Villa von Lord Littleby, Rue de Grenelle (7. Pariser Arrondissement):

Aus ungeklärten Gründen befand sich die gesamte Dienerschaft im Anrichteraum im Parterre der Villa, links vom Vestibül (Raum 3 in Schema 1). Die genaue Lage der Leichen ist aus Schema 4 zu ersehen, es sind dies:

Nr. 1 der Haushofmeister Etienne Delarue, 48
Nr. 2 die Haushälterin Laura Bernard, 54
Nr. 3 der Kammerdiener des Hausherrn Marcel Proux, 28
Nr. 4 der Sohn des Haushofmeisters, Luc Delarue, 11
Nr. 5 das Stubenmädchen Arlette Foch, 19
Nr. 6 die Enkelin der Haushälterin, Anne-Marie Bernard, 6
Nr. 7 der Wächter Jean Lesage, 42, der im Spital Saint-Lazare am 16. März verstarb, ohne das Bewußtsein wiedererlangt zu haben
Nr. 8 der Wächter Patrick Trois-Bras, 29
Nr. 9 der Türsteher Jean Carpentier, 40

Die Leichen Nr. 1 - 6 befanden sich in sitzender Stellung rund um den großen Küchentisch: Nr. 1-3 mit dem Kopf auf den gekreuzten Armen, Nr. 4 mit der Wange auf den flachen Händen, Nr. 5 auf dem Stuhl zurückgelehnt und Nr. 6 auf dem Schoß von Nr. 2 sitzend.

Nr. 1-6 hatten ruhige Gesichter ohne die geringsten Anzeichen von Angst oder Leiden. Die Leichen Nr. 7-9 lagen, wie aus dem Schema ersichtlich, in einiger Entfernung vom Tisch. Nr. 7 hielt eine Trillerpfeife in der Hand, doch keiner der Nachbarn hat an dem betreffenden Abend einen Pfiff gehört. In den Gesichtern von Nr, 8 und 9 ist Entsetzen oder zumindest äußerste Verwunderung zu erkennen (die photographischen Aufnahmen werden morgen früh vorgelegt). Es gibt keine Kampfspuren. Körperliche Verletzungen wurden bei einer ersten Untersuchnung nicht entdeckt. Die Todesursache zu ermitteln ist ohne Obduktion unmöglich. An Hand der Leichenstarre stellte der Gerichtsmediziner Maitre Bernheim fest, daß der Tod zu verschiedenen Zeiten eingetreten ist, zwischen 22 Uhr (Nr. 6) und 6 Uhr, während Nr. 7, wie schon erwähnt, später im Spital verstarb. Ohne den Ergebnissen des medizinischen Gutachtens vorgreifen zu wollen, wage ich zu behaupten, daß alle Opfer unter der Einwirkung eines starken Giftes mit schnei! einschläferndem Effekt standen, und der Zeitpunkt des Herzstillstands war abhängig entweder von der Giftdosis oder von der physischen Stabilität des jeweiligen Vergifteten.

Die Eingangstür der Villa war angelehnt. Ein Fenster der Orangerie (Punkt 8 in Schema 1) zeigte deutliche Einbruchspuren: Die Scheibe war zerschlagen, und auf der lockeren Erde unter dem Fenster fand sich der undeutliche Abdruck eines Männerschuhs mit einer 26 Zentimeter langen Sohle, vorn spitz und der Absatz mit Eisen beschlagen.  ....

Die Leiche Lord Littlebys ist in Schema 2 als Nr. 10 eingezeichnet (als Umriß), Der Lord trug eine Hausjacke und eine Tuchhose, der rechte Fuß war dick mit einer Binde umwickelt. Eine erste Untersuchung der Leiche ergab, daß der Tod durch einen ungewöhnlich heftigen Schlag mit einem länglichen schweren Gegenstand auf den Schädel eintrat. Der Schlag wurde von vorn geführt. Der Teppich ist auf mehrere Meter ringsum mit Blut und Gehirnmasse vollgespritzt. Spritzer sind auch auf der zerschlagenen Glasvitrine, in der sich, nach einem Schildchen zu urteilen, eine goldene Statuette des indischen Gottes Schiwa befand. - Boris Akunin, Mord auf der Leviathan. Berlin 2003

Leichenfund (97)  Als meine Assistenten die Segeltuchplane ein wenig anheben, werfe ich einen Blick auf das Opfer. Fanariotis sitzt auf dem Fahrersitz, doch die Hände ruhen nicht am Lenkrad. Sein Körper ist nach hinten gesunken. Sein Kopf liegt auf dem Rücksitz und starrt auf den vor ihm sitzenden Körper, von dem er offenbar gerade gewaltsam getrennt wurde. Das «D«, das Markenzeichen des Mörders, wurde diesmal nicht an die Kleidung des Opfers geheftet, sondern - vermutlich aus Zeitmangel - auf dem Beifahrersitz deponiert.  - Petros Markaris, Faule Kredite. Zürich 2011

Leichenfund (98)  

Leichenfund (99)

Leichenfund (100)   Er hatte den Tod schon in vielerlei Gestalt gesehen, doch hier drehte sich ihm der Magen um. Die linke Gesichtshälfte war durch einen fürchterlichen Schlag zerschmettert, der das Auge herausgedrückt hatte. Es hing nur noch an ein paar Fäden roten Gewebes. Das andere Auge war zum Ausdruck totaler Angst erstarrt. Der Mund stand weit offen, als wolle er einen Schrei ausstoßen. Die linke Schulter des Hausgewandes war voll verklebtem Blut. Der Richter verscheuchte ein paar Schmeißfliegen. Ihr empörtes Summen war der einzige Laut in der Totenstille.

Yis Arme hingen in den langen Ärmeln schlaff herab, seine Beine waren weit gespreizt. Er mußte am Tisch gestanden haben, als der Schlag kam, so daß dessen Wucht ihn nach hinten in den stabilen Ebenholzsessel fallen ließ. Richter Di strich mit den Händen über des Toten Arme und Beine. Es war noch keine Leichenstarre eingetreten. Nachdem er Yi die Ärmel hochgerollt hatte, bemerkte der Richter, daß die Arme keine Blutergüsse oder sonstige Spuren von Gewaltanwendung zeigten. Er richtete sich wieder auf. Alles weitere war Sache des Leichenbeschauers.

Auf dem Fußboden, neben Yis schwarzer Kappe, lag eine Peitsche mit kurzem Griff und langen, dünnen Riemen. Zwischen den Riemen sah er ein paar verwelkte Blumen und etliche Scherben.  - Robert van Gulik, Mord nach Muster. Zürich 1989

Leichenfund (rothaariger, 101)   Die Felsarkaden des Mönchsbergs, die den Bühnenhintergrund gebildet haben. Der blaue Himmel über dem offenen Dach, das blendende Sonnenlicht, das die Bühnenbretter aufgeheizt hat, daß sie geduftet haben, wie wenn man im Sommer aus einem See steigt und sich naß auf das ausgedörrte Holz legt. Weil Nässe war natürlich auch ein bißchen herum, das muß ich schon zugeben.

Und das schönste war der rote Kranz, der sich um den Kopf der Leiche gebildet hat. Normalerweise wachsen ja die Haare aus dem Kopf, aber wenn du von einem Berg springst, ist es wieder umgekehrt, und der Kopf wächst aus den Haaren. Aber in diesem Fall hat es keinen Unterschied gemacht. Im gleißenden Hochsommerlicht haben die Haare, die aus dem Kopf gewachsen sind, um die Wette geleuchtet mit dem Kopf, der aus den Haaren gewachsen ist, Waldbrand nichts dagegen.  - Wolf Haas, Silentium! Reinbek bei Hamburg 2012

Leichenfund (101)  

Leichenfund (102)  

Leichenfund (103)  

Leichenfund (104)  

Leichenfund (105)

Leichenfund (106)  Der Kopf des Opfers war unverletzt. Sauber abgetrennt ruhte er auf einem der Sessel vor dem Kamin, eine kleine Blutlache hatte sich auf dem dunkelgrünen Samt gebildet; auf dem Sofa, ihm gegenüber, lag der Kopf eines großen schwarzen Hundes, der ebenfalls sauber abgetrennt war. Der Rest war ein einziges Blutbad, ein unglaubliches Gemetzel, der Fußboden war mit Fleischbrocken und Hautfetzen übersät. Doch weder das Gesicht des Mannes noch das des Hundes war in einem Ausdruck des Entsetzens erstarrt, sie spiegelten eher Ungläubigkeit und Wut wider. Zwischen denvermischten Fleischstücken des Mannes und des Hundes führte ein fünfzig Zentimeter breiter sauberer Gang bis zum Kamin, in dem sich Knochen stapelten, an denen noch Fleischreste hingen. Jasselin betrat vorsichtig den Gang und sagte sich dabei, dass er vermutlich von dem Mörder angelegt worden war. Dann drehte er sich um und ließ mit dem Rücken zum Kamin den Blick durch das Wohnzimmer schweifen, das eine Größe von etwa sechzig Quadratmetern haben mochte. Die gesamte Oberfläche des Teppichs war mit Blutflecken überzogen, die an manchen Stellen komplexe Arabesken bildeten. Die Fleischbrocken selbst, deren rote Farbe hier und dort schwärzliche Töne annahm, schienen nicht aufs Geratewohl hingelegt worden zu sein, sondern einer schwer zu entziffernden Logik zu gehorchen; er hatte den Eindruck, ein Puzzle vor sich zu haben. Kein Fußabdruck war zu sehen, der Mörder war methodisch vorgegangen, er hatte als Erstes die Fleischstücke abgetrennt, die er in den Winkeln des Raumes verteilen wollte, und war dann nach und nach zur Mitte zurückgekehrt, wobei er einen Weg zum Ausgang freigelassen hatte. Jasselin sagte sich, dass er Fotos machen lassen müsse, um das Gesamtbild rekonstruieren zu können. - Michel Houellebecq. Karte und Gebiet. Köln 2011

Leichenfund (107)  Etwa dreißig Meter voraus, entdeckte ich etwas am Fuß der Klippen, das aussah wie ein schwarzes Bündel. Ich eilte hin und fand eine ordentlich gefaltete Soutane und daneben eine braune Kutte, auch die sorgsam zusammengelegt. Nur wenige Schritte weiter war offenbar eine Klippe eingestürzt, denn auf dem Strand türmten sich große, kompakte SandklumQen, Grasbüschel und Geröll. Ich wusste gleich, was passiert war. Ich glaube, ich stieß einen kleinen Schrei aus, und dann begann ich mit bloßen Händen dm Sand wegzuscharren. Ich wusste, dass darunter ein Leichnam, begraben sein musste, aber es war unmöglich auszumachen, wo genau. Ich erinnere mich an den körnigen Sand unter meinen Nägeln und daran, wie langsam ich voranzukommen schien, bis ich schließlich wie im Zorn die Klumpen wegschleuderte und den Sand so hoch aufwirbelte, dass er mir wie mit Nadeln ins Gesiebt stach und in den Augen brannte. Dann bemerkte ich, etwa dreißig Meter meerwärts, ein scharfkantiges Holzstück. Das holte ich mir als Werkzeug. Nach ein paar Minuten stieß ich damit auf etwas Weiches, kniete nieder und grub abermals mit den Händen. Und dann sah ich, auf was ich gestoßen war: zwei sandverkrustete Gesäßhälften in beigem Kordsamt.

Danach konnte ich nicht weiter. Mein Herz klopfte wie wild, und ich hatte keine Kraft mehr. Ich hatte das dunkle Gefühl, den, der dort lag, gedemütigt zu haben, und die beiden entblößten Pobacken kamen mir irgendwie lächerlich, ja fast unanständig vor. - P. D. James, Tod an heiliger Stätte. München 2002

Leichenfund (108)  Maigret beugte sich über die Leiche am Boden. Nur die eine Gesichtshälfte war sichtbar. Soviel er sehen konnte, war eine Kugel in die Kehle eingedrungen und hatte die Halsschlagader durchschlagen. Auf dem Teppich war eine große Blutlache.

Nahour war klein und fett und trug einen kurzen braunen Schnurrbart. Er hatte eine Stirnglatze, und am Ringfinger der linken, sehr gepflegten Hand steckte ein Trauring. Mit der rechten schien er vergeblich versucht zu haben, das Blut aus der Halsschlagader zu stillen. - Georges Simenon, Maigret und der Fall Nahour. München 1977 (Heyne Simenon-Kriminalromane 108, zuerst 1967)

Leichenfund (109)

Leichenfund (110)

Leichenfund (111)

Leichenfund (112)

Leichenfund (113)   Sie stemmte sich gegen die Tür und fand es tröstlich, daß das dicke, mit Schnitzereien verzierte Eichenholz nicht nachgab. Aber weder dieser Halt noch ihre fest geschlossenen Augen konnten sie den grauenhaften Anblick vergessen machen. Hell erleuchtet wie auf einer Theaterbühne sah sie noch immer die Leichen vor sich liegen, deutlicher, in noch grellerem Licht als vorhin. Der eine Tote war von der niedrigen Liege rechts zur Tür hin geglitten und schien sie - den Mund weit aufgerissen, den Kopf fast vom Körper getrennt -anzustarren. Sie sah die durchschnittenen Blutgefäße, die wie zerfranste Kanülen aus dem geronnenen Blut ragten. Der zweite Tote lehnte wie eine unförmige Stoffpuppe an der Wand gegenüber. Der Kopf hing herab, und wie ein vorgebundenes rotes Lätzchen bedeckte ein großer Blutfleck die Brust. Eine braunblaue Wollhaube saß schief auf dem Kopf. Das rechte Auge war verdeckt, das linke glotzte sie mit einem abscheulich wissenden Ausdruck an. - P. D. James, Der Beigeschmack des Todes. München 1991

Leichenfund (114)  — Du bist lange weg geblieben, sagte Mac Cormack zu ihm, was hast du denn getrieben ?

— Ich war ohnmächtig geworden.

Gallager, nach einer Drittelsekunde der Überraschung, brach los. Er mußte furchtbar lachen. Er lachte helle Tränen.

— Vergiß nicht, daß ein Toter im Haus ist, sagte Kelleher zu ihm, ohne sich umzudrehen. Gallager schwieg.

— Na ? fragte Mac Cormack Dillon.

— Sein Kopf war ziemlich weit vom Körper weggerollt. Das hat mir einen Schock versetzt. Als ich wieder zu mir gekommen bin, hab ich ihm die Hose zugeknöpft und die Arme über der Brust gekreuzt, seinen Kopf in seine Hände gelegt, ihn mit einem Teppich bedeckt und ein paar Gebete für sein Seelenheil gesprochen,

— Hast du an den heiligen Patrick gedacht? fragte Gallager.

— Dann bin ich wieder runtergekommen. Ich würde gern einen Schluck trinken.

Larry hielt ihm die Whiskyflasche hin und fragte ihn mit schüchterner Stimme:

— Warum hast du von seiner Hose gesprochen P1 Mat zuckte trinkend die Achseln.  

— Ihr seht also, daß ich recht hatte, sagte Gallager.

— Und ich erst, fügte Callinan hinzu. Mat stieß, nachdem er den Liquor liquidiert hatte, einen Seufzer des Wohlbehagens aus,  rülpste,  schmiß die Flasche weg, die an dem Briefkasten für die Auslandspost zerbrach und setzte sich, Mat. Alle begannen schweigend zu meditieren. Jeder zündete sich eine Zigarette an, außer Mac Cormack, der am liebsten mit Hilfe seiner Pfeife dachte.

— In der Tat, artikulierte er schließlich, wir können sie ihnen nicht übergeben.

— Aber wir können sie doch nicht töten, sagte Gallager.

— Was mag sie von uns denken, murmelte Mac Cormack.

— Na, in der Hinsicht, rief Callinan, können wir auch allerhand von ihr denken.  - (sally)

Leichenfund (115)

Leichenfund (116)

Leichenfund (117)  Der Ingenieur Luparello war immer ein eleganter Mann gewesen, ausgesprochen gepflegt, was sein Äußeres anbelangte. Jetzt aber war er ohne Krawatte, das Hemd zerknittert, die Brille hing ihm schief auf der Nase, der Kragen des Jacketts war unziemlich hochgestellt, die Socken heruntergeschoben und so lose, daß sie über die Mokassins fielen. Was den Commissario aber am meisten schockierte, war die bis zu den Knien hinuntergelassene Hose, der Slip, der aus dem Innern der Hosen weiß herausleuchtete, und das zusammen mit dem Unterhemd bis zur Brust aufgerollte Hemd.

Und das Geschlecht: schamlos, anstößig zur Schau gestellt, groß, behaart und in scharfem Kontrast zu dem feingliedrigen Bau des restlichen Körpers. - Andrea Camilleri, Die Form des Wassers. Köln 2014

Leichenfund (118)  Er öffnete den Deckel der Koffertruhe. Die Leiche war erkennbar, weil sie in einige Lagen der großen Nylonfolien gewickelt worden war, mit denen man auch die geheim gehaltene Wohnung eingepackt hatte. Außerdem hatte man sie durch mehrmaliges Umwickeln mit braunem Paketband versiegelt. Die Leiche wirkte wie ein Mittelding zwischen einer Mumie und einer abgepackten Wurst. Als er die Taschenlampe ziemlich dicht heranführte, sah er, dass der Körper, wenigstens soweit er ihn erkennen konnte, einigermaßen gut erhalten war. Dieses ganze Nylonzeug musste ähnlich wie ein Vakuum gewirkt haben. Es ließ nicht den geringsten Verwesungsgeruch durchdringen

Er gab sich Mühe, genauer hinzuschauen, und bemerkte, dass der Kopf oben und ringsum mit blonden langen Haaren bedeckt war, während er das Gesicht nicht erkennen konnte, weil der Kopf genau dort doppelt mit braunem Klebeband umwickelt war.

Dass es sich um eine Frau handelte, dessen war er sich sicher.  - Andrea Camilleri, Die schwarze Seele des Sommers. Köln 2010

Leichenfund (119)

Leichenfund (120)

Leichenfund (121)   Er klingelte lange, niemand antwortete. Er zog die Handschuhe an und nahm einen dicken Schlüsselring aus dem Lederbeutel, an dem ein Dutzend unterschiedlich geformter Dietriche hingen. Beim dritten Versuch ging die Tür auf, sie war nur zugeschnappt und nicht abgeschlossen gewesen. Er ging hinein und schloss die Tür hinter sich. Im Dunkeln bückte er sich, schlüpfte aus seinen durchnässten Schuhen und stand in Strümpfen da. Er schaltete die Taschenlampe ein und hielt sie auf den Boden gerichtet. Er befand sich in einem geräumigen Esszimmer mit anschließendem Salon. Die Möbel rochen nach Lack, alles war neu, sauber und ordentlich. Eine Tür führte in eine Küche, die so blitzblank war, dass sie einer Reklame entnommen schien; eine andere Tür ging in ein derart auf Hochglanz poliertes Bad, dass man meinen konnte, es sei noch nie betreten worden. Langsam stieg er die Treppe hinauf, die in das obere Stockwerk führte. Dort waren drei geschlossene Türen. Die erste, die er öffnete, gab den Blick auf ein sauberes kleines Gastzimmer frei; die zweite führte in ein Bad, das größer war als das im Erdgeschoss, im Gegensatz zu dem unteren herrschte hier allerdings ziemliche Unordnung. Ein rosa Frotteebademantel lag auf dem Boden, als hätte ihn derjenige, der ihn getragen hatte, einfach fallen lassen. Das dritte Zimmer war das Schlafzimmer der Hausbewohner. Und gewiss war das die junge blonde Hausherrin, dieser nackte, fast kniende Körper, der mit dem Bauch über der Bettkante lag, die Arme ausgebreitet, das Gesicht im Leintuch vergraben, das von den Fingernägeln der Frau zerfetzt worden war, als sie sich, offenbar in den Krämpfen des Erstickungstodes, daran festgeklammert hatte. Montalbano trat zu der Leiche, zog einen Handschuh aus und berührte sie leicht: Sie war eiskalt und starr.  - Andrea Camilleri, Die Stimme der Violine. Köln 2014

Leichenfund (122)  

Leichenfund (123)  

Leichenfund (124)  

Leichenfund (125)  Fazio hob den Deckel an, und Montalbano stellte sich auf die Zehenspitzen, um hineinzusehen. Ganz unten in dem Container lag nur die Leiche. »Verdammter Mist«, rief der Commissario. Dann sagte er zu Fazio: »Halt mal dagegen.«

Er wollte sich vergewissern, ob er richtig gesehen hatte. Fazio bildete ein Gegengewicht, indem er den Rand des Containers mit beiden Händen festhielt. Montalbano holte Schwung, stützte sich ab, beugte sich mit dem Bauch über den Rand des Containers, berührte mit dem ausgestreckten Arm die Leiche und zog sich dann hoch, bis seine Füße wieder den Boden berührten.

Fazio sah ihn fragend an. Auch die Signora stand auf und kam gemeinsam mit den drei anderen näher. Montalbano aber blieb stumm, benommen und verwirrt.

»Es ist eine Gummipuppe«, sagte er schließlich. Wie viele gab es denn davon noch in Vigáta! »Besser so«, meinte Fazio. »Die können wir dalassen.«

»Nein, holt sie raus.« Fazio ließ sich von Gallo helfen. Sie legten die Puppe auf die Erde und betrachteten sie.

Alle drei waren auf einmal stumm und ernst geworden, denn die Puppe sah haargenau so aus wie jene, die in Gregorio Palmisanos Bett gelegen hatte. Ihr fehlten ein paar Haarbüschel und ein Auge, eine Brust war eingefallen und der gesamte Körper mit runden und viereckigen Flicken übersät.   - Andrea Camilleri, Das Spiel des Poeten. Köln 2015

Leichenfund (126)  

Leichenfund (127)

Leichenfund (128)

Leichenfund (129)  Morse stand jetzt schweigend da und machte keinen Versuch, über das hüfthohe, rotweiße Band zu gelangen; seine Augen registrierten das, was er vor sich sah. Er sah die auseinandergezerrten Knochen, die noch übriggebliebenen zerstreuten Kleidungsstücke, und im besonderen sah er das Halstuch mit Fransen neben dem schrecklich zugerichteten Kopf. Es erinnerte ihn an etwas aus einem Do-it-yourself-Handbuch, wo verschiedene Pfeile von den äußeren Teilen auf eine angenommene Mitte zeigen und Anweisungen für den Zusammenbau des erworbenen Gegenstandes erteilen: «Fügen Sie dieses Teil dort ein, befestigen Sie dieses Teil dort, verbinden Sie hier, es wird sich alles zusammenfügen, wenn Sie sich genug Zeit nehmen, die Anweisungen sorgfältig lesen und wissen, daß Sie auf dem falschen Weg sind, wenn mehr als sanfter Druck für den Zusammenbau erforderlich ist.«  - Colin Dexter, Finstere Gründe. Reinbek bei Hamburg 1996

Leichenfund (120)  Ein gelber Nacken, ein auf die Seite gedrehtes Gesicht, das in den Spiegel an der Wand glotzte. Ich machte ein paar Schritte und sah in den Spiegel. Das Gesicht glotzte tatsächlich merkwürdig.

Der linke Arm und die Hand lagen zwischen einem Knie und der Stuhlkante, der rechte Arm hing über die Stuhllehne hinunter, die Finger berührten den Teppich. Sie berührten auch den Griff eines kleinen Revolvers etwa vom Kaliber 32, einer Handtaschenwaffe fast ohne Lauf. Die rechte Seite des Gesichts lag gegen die Stuhllehne, aber die rechte Schhulter war voll dunkelbrauem Blut, und auch an der rechten Schläfe war Blut. Auch auf dem Stuhl. Auf dem Stuhl sehr viel.

Ich konnte mir nicht vorstellen, daß sein Kopf diese Lage von selbst eingenommen hatte. Irgendeiner feinfühligen Seele hatte seine rechte Seite nicht gefallen. - Raymond Chandler, Das hohe Fenster. Zürich 1975 (zuerst 1942)

Leichenfund (121)

Leichenfund (122)


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